Berlin: „Die Ausflüge des Herrn Brouček“, Leoš Janáček

Berlin im Opernglück

Wer seine erste Bekanntschaft mit Leoš Janáček durch seine Oper Katja Kabanova machte, der vermeinte im Aufrauschen des Orchesters den gewaltigen russischen Strom Wolga, in dem sich die unglückliche Titelheldin ertränkt, seine Bahn ziehen zu vernehmen, aber ganz ähnlich hört sich der Beginn von Die Ausflüge des Herrn Brouček an, ein ganz anderes Thema und dazu eine Geschichte mit nicht tragischem, sondern, zumindest bei Janáček, heiterem Ausgang. Auch ein aus der Ferne tönender, geisterhafter Chor stellt eine Verbindung zwischen beiden Werken her, doch ist es in Wahrheit der Duktus der mährischen Sprache, die mährische Folklore, denen Janáček folgte und der die Wiedererkennbarkeit seiner Musik vor allem ausmacht.

© Arno Declair

Die Ausflüge des Herrn Brouček ist des Komponisten zweite Oper nach Jenufa, das Libretto beruht auf Novellen von Svatopluk Čech und wurde nicht wie die anderen Opern Janáčeks allein vom Komponisten selbst verfasst, sondern von mehreren Autoren, der zweite Teil über den Hussitenkrieg erst unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. Das Werk hatte und hat es viel schwerer als ein Schlaues Füchslein oder sogar ein Aus einem Totenhaus die Opernbühnen zu erobern, erst 1986 gab es die französische Erstaufführung in Lyon, die deutsche immerhin bereits 1956 in München unter Keilberth und mit Lorenz Fehenberger, Fritz Wunderlich und Wilma Lipp.

Es geht in Die Ausflüge des Herrn Brouček um den geizigen, übellaunigen Hausbesitzer gleichen Namens, dem der Schriftsteller Svatopluk Čech mehrere Texte widmete, von denen zwei zum Libretto für die Oper wurden, deren erster den Titelhelden auf den Mond entführt, während der zweite ihn nicht räumlich, sondern zeitlich in das 15. Jahrhundert versetzt, als in Böhmen Hussiten und Kaiserliche einander bekämpften. Der Schöpfer der Figur gehört selbst zum Personal der Oper.

Ausgangspunkt des Geschehens ist eine Prager Kneipe, in der Herr Brouček so fleißig dem Bier zuspricht, dass es seine Phantasie beflügelt und die jeweilige abenteuerliche, wenn auch nur imaginäre Reise erst möglich macht. Verflochten in das turbulente Geschehen ist ein junges Liebespaar, dem Brouček zu Beginn die Wohnung kündigt (hochaktuelles Thema!), welchen grausamen Akt er am Schluss wieder zurücknimmt und damit auch und besonders in den Augen des heutigen Berliner Zuschauers ein tatsächliches Happy End garantiert. Inmitten der in lächerlicher Weise Ästhetisierung betreibenden Künstlergesellschaft auf dem Mond wie auch der religiösen Fanatiker in Prag erscheint die Titelfigur wie einer der slawischen Antihelden à la Schwejk.

© Arno Declair

Robert Carsen, Modernisierungen nicht abgeneigt, aber stets dem Geist einer Oper treu bleibend, hat Broučeks Landung auf dem Mond mit der der amerikanischen Astronauten sowie Woodstock und den Kampf der Hussiten mit dem der Tschechen, insbesondere dem des Studenten Jan Palach (= Jan Hus), der sich aus Protest gegen die sowjetische Besetzung und die Absetzung Dubceks auf dem Wenzelsplatz selbst verbrannte, verbunden. Auch die tschechischen Eishockeyspieler, die zweimal gegen die der Sowjetunion gewannen, finden ihren Platz in der Inszenierung. Da die Produktion zunächst Ende 2024 in Brünn im Rahmen des Festivals mit dem Motto Grenzenlos zu sehen war und auch für das Madrider Opernhaus bestimmt ist, ist sicherlich auch Rücksichtnahme auf nationale Empfindlichkeiten bzw. auf den Operngeschmack eines mediterranen Publikums in die Inszenierung eingeflossen. So zeigt sich dem Zuschauer beim Betreten des Saals das vorhanggroße Testbild des tschechischen Fernsehens, und er nimmt immer wieder an wichtigen Ereignissen der Sechziger im originalen Schwarz-Weiß-Fernsehen teil, was wunderbar funktioniert, auch wenn nicht jeder Zuschauer wissen kann, welche damals bekannte Boy group sich gerade beim Fototermin ablichten lässt. Kommt es aber zum Defilee der Kamera über die ernsten, traurigen, ergriffen aussehenden Gesichter der die Prager Straßen säumenden Bürger beim Trauerzug für Jan Palach, dann ist dieser Eindruck ein so tiefer und nachdenklich machender, dass die Oper erst einmal keine Chance mehr gegen die wenn auch vergangene, aber doch wieder bedrohlich nahe Wirklichkeit hat. Auch dass ganz am Schluss ein Panzer in die feiernde Menge fährt, scheint mir keine gute Idee zu sein, da er mit seinem Erscheinen die über drei Stunden hinweg aufgebaute gute Laune mir nichts dir nichts niederwalzt.

© Arno Declair

Die Bühne ist von Radu Boruszescu überaus phantasiereich gestaltet, mit vielen überraschenden Einfällen wie das zur Mondrakete umfunktionierte Biergefäß, die Ausstattung von „Moonstock“; das Eishockeyballett ist Rebecca Howell zu verdanken, und auch auf dem Mond darf eine witzige Bierwerbung nicht fehlen. Nicht nur auf diesem durfte Annemarie Woods als Kostümbildnerin ihrer Phantasie freien Lauf lassen und tat es offensichtlich mit Lust.

Lediglich dem Liebespaar, das nicht nur in der Rahmenhandlung, sondern auch auf dem Mond wie im Prag der Hussiten handlungstreibend präsent ist, werden lyrische Ergüsse gestattet. Die Titelfigur hat natürlich ihre großen Szenen, die Peter Hoare trotz der gleichzeitig zu meisternden intensiven Darstellung hohe Anforderungen an die Stimme zu bewältigen hat und denen er mit Glanz gerecht wird. Was Höhensicherheit und tenorales Leuchten betrifft, wird dem Sänger des Liebhabers Mazal, auf dem Mond Blankytry und bei den Hussiten Petřik, schier Unglaubliches abverlangt und von Aleš Briscein auch geliefert. Anspruchsvoll und umfangreich ist auch die Partie von Malinka, Etherea und Kunka, und Lucy Crowe singt sie mit Höhenglanz und Sopranliebreiz. Gyula Orendt lässt seinen Bariton als Domšik und Svatopluk Čech in sonorer Geschmeidigkeit gefallen, ebenfalls aus dem Ensemble sind Arttu Kataja mit sonorem Bass in drei Partien, Stephan Rügamer mit technisch versiertem Tenor in gleich vier Partien. Die wichtigste Rolle für Carles Pachon ist der Wirt, aber auch in zwei weiteren Rollen kann er sich bewähren, ebenso wie Clara Nadeshdin, Natalia Skrycka, Linard Vrielink, Seong-Hoon Hwang und Jens-Eric Schulze als Taboriten.

© Arno Declair

Für Sir Simon Rattle ist Brouček die letzte der großen Janacek-Opern, die er noch nicht dirigiert hatte. Auffallend ist das Herausstellen der Tatsache, dass es sich dem musikalischen Charakter nach um eigentlich zwei sehr unterschiedliche Werke handelt, was das Orchester unter seiner Hand auch deutlich zu vermitteln vermag. Die Musik zeigt neben dem typischen Janaček-Stil auch impressionistische Einflüsse in der Mondszene, satirische Elemente in der Figur des Mondästhetikers Lunobor, die auf einen dem Komponisten nicht wohlgesonnen Kritiker zielt, und verwendet so aparte Instrumente wie die auch aus Lucia di Lammermoor bekannte Glasharmonika und den Dudelsack. Rattle lässt seinen Janáček atmen, blühen und sich in aller Farbenpracht entfalten, was dem Publikum, der jubelnde Applaus bereits nach der Pause bezeugte es, durchaus bewusst war.

Berlin hatte das Glück, an einem Wochenende zwei bisher nicht bekannte Opern kennen zu lernen und bedankte sich dafür.

Ingrid Wanja, 16. März 2025


Die Ausflüge des Herrn Broucek
Leoš Janáček

Staatsoper Berlin

Premiere am 16. März 2025

Regie: Robert Carsen
Musikalische Leitung: Sir Simon Rattle
Chor und Orchester der Staatsoper

Sehr schöner TRAILER