München: „Der fliegende Holländer“, Richard Wagner

Wieder einmal hat sich der Besuch von Peter Konwitschnys im Bühnenbild und den Kostümen von Johannes Leiacker spielenden Inszenierung von Wagners Fliegendem Holländer an der Bayerischen Staatoper München voll und ganz gelohnt. Konwitschny hat sich über Wagners romantische Oper treffliche Gedanken gemacht und diese mit einer an Hegel orientierten dialektischen Erzählweise sowie Brecht‘ schen Verfremdungseffekten hervorragend umgesetzt. Aber für derartige hoch innovative Erzählweisen ist Konwitschny ja bekannt.

© Geoffroy Schied

Zu Beginn hat das indes noch nicht den Anschein. Wenn man sich allein den ersten Aufzug betrachtet, drängt sich nachhaltig der Eindruck auf, dass Konwitschny, der Großmeister anspruchsvollen modernen Musiktheaters, auf einmal die konventionelle Schiene betreten hat. Die ausgesprochen naturalistisch anmutende Felsenlandschaft in diesem Akt ist gänzlich der Tradition verpflichtet. Wenigstens hat der Regisseur die Schiffe Dalands und des Holländers ausgespart und dafür auf beiden Seiten der Bühne Landungsbrücken positionieren lassen. Zu guter Letzt hält aber doch noch die Moderne Einzug in Konwitschnys ansprechende Produktion: Die beiden Kapitäne besiegeln ihr Übereinkommen in zeitgenössisch wirkenden Liegestühlen, was in dem herkömmlichen Umfeld erheiternd wirkt.

Alle Register seines großen Könnens zieht der Regisseur dann im zweiten Aufzug, in dem ein modernes Fitnessstudio an die Stelle der traditionellen Spinnstube tritt. Hier strampeln sich die zu Sportlerinnen umgedeuteten Mädchen eifrig auf zahlreichen Hometrainern ab. Dieses Bild stellt ein modernen Zeiten entsprechendes, ähnlich gleichgeschaltetes und monotones Pendant (vgl. Programmbuch) zu konventionellen Spinnstuben dar. Diese ebenfalls Heiterkeit auslösende visuelle Impression ist durchaus sinnvoll. Das Fitnessstudio ist andererseits nicht nur den Frauen vorbehalten. Auch Männer haben dort Zutritt. Damit wird seitens der Regie der eingetretenen Gleichstellung der Geschlechter Rechnung getragen. Der im Bademantel erscheinende Erik scheint gerade aus der Dusche zu kommen. Erst im dritten Aufzug tritt er als Jäger auf.

Neben solchen äußeren Aspekten nimmt vor allem der geistige Gehalt, den Konwitschny seiner trefflichen Regiearbeit angedeihen lässt, voll und ganz für sich ein. Gekonnt lässt er zwei Welten aufeinanderprallen. Zum einen die der in moderne Kostüme gekleideten Norweger, zum anderen die der altmodisch und schwarz gewandeten Holländer. Der Fluch, unter dem die Titelfigur leidet, ist nicht Ausfluss einer irgendwie gearteten Auflehnung gegen eine höhere Instanz, sondern ist voll und ganz von gesellschaftlichen Normen geprägt.

© Geoffroy Schied

Der ungebremste Drang des Holländers, den ihm widerstrebenden Naturgewalten zu trotzen, erscheint dem althergebrachten Empfinden der Gemeinschaft als diametral entgegengesetzt. Dieses meint, dass Unwetter und andere Katastrophen gottgegeben sind und aus diesem Grund von den Menschen hingenommen werden müssen. Der Protagonist wurde verflucht, weil er infolge seines Tuns mit den gesellschaftlichen Konventionen gebrochen hat, was nicht akzeptabel ist. Der den Holländer begleitende weibliche Engel lässt sich als Allegorie einer nur scheinbar höheren Macht deuten. Dieses Schicksal belastet indes nicht nur den Holländer. Er teilt es mit zahlreichen Wissenschaftlern, deren grundlegende Erkenntnisse von der Gesellschaft ihrer Zeit als kirchenfeindliche Ketzerei verfemt wurden.

Die Irrfahrten des Holländers entsprechen gänzlich den auf Mobilität beruhenden Verhältnissen unserer Gegenwart, in der der Mensch am laufenden Band auf der Suche nach neuen Aufgaben ist, beruflich viel auf Reisen ist und immer wieder seinen Wohnort wechselt. Wie vielen Menschen des Hier und Heute vermag er nirgendwo richtig Fuß zu fassen und geht deshalb seiner Wurzeln verlustig. Das weckt Assoziationen an moderne Geschäftsleute oder auch international gefragte Künstler, die stets auf Achse sind und praktisch nur aus dem Koffer leben. Seine Erlösung betreibt der Holländer indes nur halbherzig. Er lebt durch seine Reisen und ist unfähig, zu einer Frau eine echte Beziehung aufzubauen – auch nicht zu Senta, weswegen er sich krampfhaft auf der Suche nach einem Vorwand befindet, wieder auf das Meer zu flüchten und seine Fahrt fortzusetzen. Dieser wird ihm von Erik in seiner Cavatine geliefert. Über deren wahre Bedeutung ist er sich voll im Klaren. Gleichwohl klammert er sich an diesen scheinbaren Rettungsanker. Damit vertut er die ihm von Senta offerierte Chance auf Erlösung.

Senta hat sich im Lauf des Stücks zu dem von Wagner in seiner Schrift Eine Mitteilung an meine Freunde propagierten Weib der Zukunft entwickelt. Dieses wurde vorher noch von einer allegorischen Figur verkörpert, hat nun aber ihre reale Verkörperung gefunden. Abweichend von der Interpretation des Bayreuther Meisters hinterfragt Konwitschny gründlich das Wesen des Weibes der Zukunft. Er deutet sie als Terroristin, die zum Schluss die Fackel in ein Pulverfass wirft und derart eine alles vernichtende Explosion herbeiführt. Während die Sänger/innen sich schon zum Applaus bereitmachen, werden die verhaltenen Schlusstöne vom Tonband eingespielt. Die alten Verhältnisse sind zum Untergang verurteilt und ein neuen Erkenntnissen gegenüber aufgeschlossenes Zeitalter muss anbrechen. Diese Interpretation Konwitschnys entspricht wieder gänzlich der Ansicht Wagners. Der Komponist vertrat ja bekanntermaßen die Ansicht, dass etwas Neues nur durch eine vorangegangene Revolution entstehen kann. Genau das zeigt Konwitschny hier mit großer Meisterschaft auf. Insgesamt ist seine ausgesprochen interessante Regiearbeit von einer eingehenden, stringenten Personenregie geprägt.

© Geoffroy Schied

Am Pult erwies sich Patrick Lange als versierter Theaterdirigent. In zügigen Tempi und ausdrucksstark wies er dem Bayerische Staatsorchester den Weg durch Wagners vielschichtige Partitur, die er zudem trefflich auslotete. Leider waren die Hörner an diesem Abend nicht sonderlich in Form.

Ein noch junger, aber mit bester italienischer Technik, sonor und voluminös singender Holländer war Nicholas Brownlee. Auch darstellerisch wurde er durch intensives Spiel seiner Rolle voll gerecht. Ebenfalls eine schauspielerisch imposante Leistung erbrachte Camilla Nylund als Senta. Die Sängerin, die inzwischen erfolgreich im hochdramatischen Fach gelandet ist, vermochte durch einen gut fokussierten Sopran, schöne Linienführung sowie imposante Ausbrüche für sich einzunehmen. Ihre geradlinig und ebenmäßig gesungene sowie von zarten Piani in der Höhe geprägte Ballade war einer der Höhepunkte der Aufführung. Einen soliden Bass brachte Franz-Josef Selig in die Partie des Daland ein, den er auch überzeugend spielte. Eine in jeder Beziehung tadellose Mary war Natalie Lewis. Lediglich über dünnes, maskiges Tenor-Material verfügte der Erik von Benjamin Bruns. In gleicher Weise fehlte es Tansel Akzeybeks Steuermann erheblich an der nötigen Körperstütze der Stimme. Mächtig ins Zeug legte sich der von Christoph Heil einstudierte Bayerische Staatsopernchor. Insbesondere der Geisterchor im dritten Aufzug ging ganz schön unter die Haut.

Ludwig Steinbach, 26. März 2025


Der fliegende Holländer
Richard Wagner

Bayerische Staatsoper München

Premiere: 26. Februar 2006
Besuchte Aufführung: 25. März 2025

Inszenierung: Peter Konwitschny
Musikalische Leitung: Patrick Lange
Bayerisches Staatsorchester