Frankfurt: „Der Rosenkavalier“, Richard Strauss

Die erste Wiederaufnahme des Frankfurter Rosenkavaliers präsentierte 2016 mit Maria Bengtsson eine neue Marschallin, und man gewann seinerzeit den Eindruck, damit erst sei die Inszenierung vollendet worden. Regisseur Claus Guth hat der „wienerischen Maskerade“ mit einer Melange aus morbidem Charme, sanfter Melancholie und pointensicherem Humor eine neue Sichtweise jenseits aller Rokoko-Plüschigkeit abgewonnen. Es ist eine typische Guth-Inszenierung, die einen überraschenden Blickwinkel wählt, doch dem Stück kein überambitioniertes Regietheater-Konzept gewaltsam überstülpt, sondern vielmehr auf eigene Art werktreu wirkt, weil der Ansatz gekonnt aus der Dramaturgie des Stückes entwickelt wird. Die eindrucksvollen Kulissen von Christian Schmidt beschwören mit Sanatoriumsoptik eine Atmosphäre wie in Thomas Manns Zauberberg herauf: mondän, aber mit in die Jahre gekommenem Luxus. Gleich zu Beginn erlebt die Marschallin in einer Vision ihre eigene Beerdigung. Mehr und mehr festigt sich bei ihr die Gewißheit, daß sie tödlich erkrankt ist. So gewinnt der berühmte „Zeit“-Monolog eine für sie existentielle Bedeutung, ist plötzlich viel mehr als eine philosophische Betrachtung. Sie will „die Uhren anhalten“, weil ihr tatsächlich die Zeit davonläuft. Diese Oper ist ihr ganz persönliches Endspiel. Wenn sie zum Schluß ihren jugendlichen Geliebten Oktavian freigibt, läßt sie mit ihm auch ihr Leben los. Mit dem „In Gottes Namen“ fügt sie sich in ihr Ende. Das ist sehr genau mit der Musik inszeniert, sehr sorgfältig wurde der Text auf die Tragfähigkeit der Inszenierungsthese abgeklopft. Todeshauch und Walzerseligkeit gehen eine stimmige Verbindung ein. Der Tod, das muß ein Wiener sein.

Ida Ränzlöv (Octavian; sitzend) und Maria Bengtsson (Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg) / © Barbara Aumüller

Maria Bengtsson war in Frankfurt zuvor bereits als fabelhafte Daphne in Guths preisgekrönter Regie-Tat gefeiert worden, in Berlin stand sie als Gouvernante in seiner Deutung von Brittens Turn oft the screw auf der Bühne. Man merkt ihr im Rosenkavalier die Vertrautheit mit Arbeiten des Regisseurs an. Claus Guth war seinerzeit bei der Wiederaufnahmepremiere persönlich anwesend, erschien sogar zum Schlußapplaus und hob damit die erste Wiederaufnahme in den Rang einer Neuproduktion. Nun ist Maria Bengtsson neun Jahre später auch in der zweiten Wiederaufnahmeserie in dieser Partie zu erleben und vertieft ihr eindringliches Rollenporträt noch weiter. Die darstellerische Anverwandlung der Figur ist total. Das schlägt sich auch in der vokalen Umsetzung nieder. Es ist wieder eine ungewöhnliche Bandbreite an Piano-Nuancen zu bestaunen. Dabei riskiert die Bengtsson auch, gelegentlich von den Klangwogen des groß besetzten Orchesters überdeckt zu werden.

Michael McCown (Valzacchi) und Claudia Mahnke (Annina) sowie liegend Elena Villalón (Sophie; vorne) und Ida Ränzlöv (Octavian) / © Barbara Aumüller

Auch im Übrigen hat Guths nuancierte Personenregie mit ihren genau kalkulierten Blicken und Gesten nichts an ihrer Frische eingebüßt, gelingen die präzise durchchoreographierten Massenszenen und Ensembles überzeugend. Ida Ränzlöv gibt in Frankfurt ihren ersten Oktavian. Mit ihrem frischen Mezzosopran kann sie ihr intensives Spiel beglaubigen. Sichtlich großen Spaß hat sie insbesondere an der Darstellung eines jungen Mannes, der seine liebe Not damit hat, ein Kammermädchen zu spielen. Fabelhaft besetzt ist die Sophie mit Ensemblemitglied Elena Villalón, deren runder Sopran gar nicht mädchenhaft-naiv klingt und der Figur eine reizvolle Brise Selbstbewußtsein verleiht. Wilhelm Schwinghammer ist als Ochs optisch tatsächlich der „ländliche Don Juan“, den der Komponist vor Augen hatte. Die Konversationspassagen gehen ihm ohne Baßbehäbigkeit geradezu bariton-leicht von den Lippen. Die gefürchteten tiefen Schlußtöne setzt er gleichwohl treffsicher und hält sie nötigenfalls souverän über mehrere Schläge aus. Über manche Höhe mogelt er sich geschickt mit Falsett und Sprechgesang hinweg. Insgesamt eine rollendeckende Besetzung. Liviu Holender ist ein ungewöhnlich junger Faninal, der dem neureichen Emporkömmling mit seinem sonoren Bariton eine in ihrer Aufgesetztheit komische Entschlossenheit verleiht.

Wilhelm Schwinghammer (Baron Ochs auf Lerchenau), Elena Villalón (Sophie) und Magdalena Hinterdobler (Marianne Leitmetzerin) / © Barbara Aumüller

In den vielen Nebenrollen brillieren Frankfurter Spitzenkräfte, so die wunderbare Claudia Mahnke als klangsatte Annina, Magdalena Hinterdobler mit üppigem Sopran als Marianne Leitmetzerin und Magnus Dietrich mit seinem ins Jugendlich-Heldenhafte greifenden Tenor als Haushofmeister und Wirt.

Am Pult des sehr gut disponierten Orchesters demonstriert Generalmusikdirektor Thomas Guggeis seinen persönlichen Zugriff auf Strauss. Mit großer Sorgfalt arbeitet er jedes noch so kleine Detail heraus, so daß man zu Beginn dem Orchester mehr Aufmerksamkeit schenken möchte als dem Bühnengeschehen, weil man die reiche Partitur in selten gehörter Klarheit aufgeblättert bekommt. Zwar ist auch gerade zu Beginn der Text nicht immer optimal zu verstehen. Das ist jedoch werkimmanent. Schon Thomas Mann wußte von der Uraufführung in einem galligen Brief an den Textdichter Hoffmannsthal zu berichten, daß man „gar nichts versteht, kein Wort verständlich“ sei. Ganz so ist es nun in Frankfurt nicht. Im weiteren Verlauf zeigt sich Guggeis durchaus sängerfreundlich. Andererseits hat sein Vorgänger Sebastian Weigle in den letzten Jahren das Museumsorchester zu einem Strauss-Klangkörper erster Güte geformt, wovon zahlreiche Plattenaufnahmen beredtes Zeugnis ablegen. Auch im Rosenkavalier lassen es sich die Musiker natürlich nicht entgehen, diesen üppig-blühenden, fabelhaft ausgewogenen Sound zu präsentieren. Wäre auch schade drum. Strauss geht einfach nicht ohne Rausch, da muß im Hinblick auf die Textverständlichkeit im Zweifel eben die Übertitelungsanlage helfen.

Magdalena Hinterdobler (Marianne Leitmetzerin), Liviu Holender (Herr von Faninal) und Wilhelm Schwinghammer (Baron Ochs auf Lerchenau) / © Barbara Aumüller

Nun hat diese Rezension schon eine Serie von Superlativen gebraucht: von der für den Regieansatz idealen Marschallin und der Spitzenbesetzung im Übrigen, der brillanten und ebenso lebendig wie präzise aufbereiteten Inszenierung bis zu einem Orchester in Hochform unter der erhellenden und souveränen Leitung seines Chefs. Welches Adjektiv bleibt da für das Resümee? Noch dieses: festspielwürdig.

Michael Demel, 24. April 2025


Der Rosenkavalier
Komödie für Musik in drei Aufzügen von Richard Strauss

Oper Frankfurt

Aufführung am 21. April 2025
Premiere am 24. Mai 2015

Inszenierung: Claus Guth
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Frankfurter Opern- und Museumsorchester