Das „beste Orchester der Welt“ gibt sich nach langer Zeit wieder die Ehre in der Elbphilharmonie Hamburg. Das Chicago Symphony Orchestra ist nach dem Skandal und dem unrühmlichen Kommentar seines damaligen Chefdirigenten Riccardo Muti beim Eröffnungsfestival im Januar und Februar 2017 wieder zurück und glänzte in einem Doppelkonzert mit Gustav Mahlers Sechster und Siebenter Sinfonie.
„Dieser Saal ist akustisch maximal Mittelklasse“ nuschelte der Stardirigent und damalige Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestra Riccardo Muti in die Mikrophone der verblüfften Journalisten. „Hier kommen wir wohl nicht wieder hin“.
Das saß bei allen. Die Intendanz war untröstlich, Presse und Publikum irritiert. Man reiste dem Maestro sogar nach Italien nach und versuchte ihn zu beschwichtigen. „Basta, jetzt gibt’s Pasta“, soll wohl seine Antwort auf die Bitten des Hauses gewesen sein, seinen Kommentar zur Akustik zurückzunehmen.
Unterdessen rieb man sich die Augen nach den harschen Worten und den möglichen Konsequenzen für den Ruf der Elbphilharmonie Hamburg. Einer der weltbesten Dirigenten meckerte am gerade erst eingeweihten Saal. Man erinnert sich zu gerne an das Eröffnungskonzert, danach das fast einen Monat währende Eröffnungsfestival, wo sich die Weltelite der klassischen Musik täglich die Klinke in die Hand gab.
Dabei war sein Doppelkonzert damals mit u.a. Tschaikowskys Vierter und Strauss‘ Don Juan eine wahre Ohrenweide und zählte mit zu den am meisten umjubelten Konzerten, denen man in Hamburgs Prachtsaal beiwohnen durfte.
Im Rahmen des diesjährigen Musikfestivals waren die Musiker aus Übersee wieder dabei: Eines der traditionsreichsten und prestigeträchtigsten Orchester der USA, für viele Kritiker das „beste Orchester der Welt“, das Chicago Symphony Orchestra reüssierte unter der Führung von Gastdirigent Jaap van Zweden zweimal im Großen Saal der Elbphilharmonie mit der visionären Musik von Gustav Mahler.
Da war dann am ersten Abend des Doppelkonzerts seine überragende und düstere Sechste Sinfonie zu hören, in der mit neuen Schlagzeugeffekten, auch dem berühmten Hammerschlag, die damaligen Kritiker bei der Uraufführung irritiert wurden. Im tragischen finalen Satz beschwor Mahler das Ende der Welt mit diesem Effekt, der dann zum Sinnbild des ganzen Werkes wurde. 1903 komponierte er das Werk in seinen Ferien in den Alpen, inspiriert von Natur und Geist. Der Kontrast zwischen dem beklemmenden Inhalt und seinen persönlichen Erfolgen im privaten wie geschäftlichen Bereich konnte kaum größer sein. Oder war es bereits eine innere Eingebung seiner düsteren Zukunft mit Tod und Misserfolgen?

Die Sechste setzte neue Maßstäbe in der Klangsprache trotz viersätziger traditionellen Form, allerdings mit der Vertauschung von Scherzo und Andante. Einhundertzehn Musiker saßen dichtgedrängt auf dem gefüllten Podium und unterstrichen die enorme Dimension. U.a. zwei Harfen, Celesta, ein riesiges Schlagwerk, der berühmte Holzhammer für die beiden Schläge im Finale, Kuhglocken, neun Bässe, neun Hörner und satt besetzte Streicher, sowie viel Holz und Blech fuhr man auf.
Berührt und berauscht von der ersten bis zur letzten Note drang man mit seinen aufgestellten und feinst fokussierten Ohren ein in die Klangwelt Gustav Mahlers. Das Spektrum der Klänge reichte von leisester Zartheit bis zu vollendeter Pracht und Wucht bei schauervoll verrückten Tänzen und Märschen, die die Zuhörer in ein ungläubiges Taumeln versetzten. Aber auch meditative Ruhe und sehnsuchtsvolle Gesänge brachen den Bann der Komposition, gingen an die Grenzen des musikalisch Darstellbaren. Kaleidoskopartig öffnete und schloss sich der Vorhang bis zu den Hammerschlägen, als alles Positive scheinbar endete.
Die Musiker aus Chicago, die zu den weltbesten Mahlerspezialisten zu zählen sind, interpretierten dann am zweiten Abend Mahlers anspruchsvolle Siebente Sinfonie, die ein Sinnbild im Grenzgang zwischen Traum und Wahrheit darstellte.
In seinem Werk voller Gegensätze, mit düsteren Nachtmusiken behaftet, aber strahlend hell und majestätisch endend, auch „Lied der Nacht“ genannt, zeigte das erneut riesig besetzte Orchester Mahlers Welt in den schillerndsten Kolorierungen. Extreme Stimmungen und Gefühle wurden lebendig. Man griff förmlich in die dargestellte Schönheit des Klangs, in groteske und triviale Rhythmen, hörte Volkstümliches und arg militärisch Geprägtes, drang ein in überirdische Welten aber auch in menschliche Regungen. Die Liebe und der Tod waren greifbar nahe.
Jaap van Zweden, der aus den Niederlanden stammende ehemalige Konzertmeister des Concertgebouw Orchestra Amsterdam und Chefdirigent des Seoul Philharmonic Orchestra gab als Gastdirigent des Chicago Symphony Orchestra eine Visitenkarte des Orchesters in Hamburg ab, die sich sehen- und vor Allem hören lassen konnte. Der Gleichklang in den verschiedenen Instrumentengruppen war schon beinahe beängstigend. Die neun Hörner klangen so rein, wie man es nur selten bei einem Orchester zu hören bekam.

Man hatte das Gefühl, das Orchester war wie ein Jet im Autopiloten unterwegs mit äußerster Perfektion und Präzision. Brauchte man eigentlich einen Dirigenten, schoss es mir durch den Kopf? Klar brauchte man ihn, den ehemaligen Konzertmeister aus Amsterdam. Gerade bei den zarten Passagen gab er klare metrische und interpretatorische Impulse, rief die einprogrammierte „Mahler-DNA“ des Orchesters mit recht zügigen Tempi ab und ließ diesen unfassbaren Klangkörper in allen Facetten jubilieren. Himmlisch!
Patrik Klein, 19. Mai 2025
18. Mai 2025
Gustav Mahler:
Sinfonie Nr. 7 e-Moll
17. Mai 2025
Gustav Mahler:
Sinfonie Nr. 6 a-Moll
Elbphilharmonie Hamburg
Dirigent: Jaap van Zweden
Chicago Symphony Orchestra