
Noch keine 15 Jahre alt war Wolfgang Amadeus Mozart, als seine erste opera seria am 26. Dezember 1770 im Mailänder Teatro Regio Ducale (das fünf Jahre später abbrannte und durch das jetzige Haus ersetzt wurde) uraufgeführt wurde. Der Auftrag war die Folge einer gelungenen „Akademie“ im Beisein des Grafen Firmian, des kaiserlichen Statthalters in der Lombardei. Dem mit 22 Folgeaufführungen schönen Erfolg sollten 1771 noch „Ascanio in Alba“ und 1772 „Lucio Silla“ folgen.
Das Libretto von Vittorio Amedeo Cigna-Santi war bereits 1766, vertont von Quirino Gasparini, am Teatro Regio in Turin zur Aufführung gekommen. Es steht ganz in der Tradition Metastasios und erzählt von Mithridates, dem König von Pontos, einer Region, die in der heutigen südöstlichen Türkei liegt. Ihm ist die Prinzessin Aspasia versprochen, die aber auch von seinen Söhnen Farnace und Sifare geliebt wird; die Liebe des Letzteren wird von ihr erwidert. Dazu gesellt sich die in Farnace verliebte Ismene. Als Mithridates aus einem verlorenen Krieg heimkehrt und die Situation entdeckt, tobt er und will alle töten lassen. Er zieht aber neuerlich in die Schlacht und vergibt sterbend den Söhnen, sodass sich die Paare Aspasia-Sifare und Ismene-Farnace ergeben. Wie in Barockopern üblich: Ende gut, alles gut. Mozart stand eine ausgezeichnete Besetzung zur Verfügung, nämlich Pietro Benedetti, genannt Sartorino, Giuseppe Cicognani und Antonia Bernasconi. Benedetti war ein Soprankastrat, Cicognani ein Alt – die beiden sangen das verfeindete Brüderpaar. Bernasconi war drei Jahre zuvor mit Glucks erster Wiener Alceste berühmt geworden. Dementsprechend konnte das junge Genie in der Komposition anspruchsvollster Rollen voller Intervallsprünge und sovracuti schwelgen. Persönlich war mein Eindruck, dass Mozart in den Arien eher barocken Vorbildern folgt (vielleicht mit Ausnahm von Aspasias melancholischer Kavatine „Pallid’ombre“), während er das Orchester fortschrittlicher behandelt, etwa beim Einzugsmarsch des Mithridates.
Diese konzertante Produktion war zuvor in Paris zu hören gewesen und gastierte im Rahmen der Reihe „Außerordentliche Konzerte“ an der Scala. Christophe Rousset mit seinen so spielfreudigen Talens Lyriques ist immer ein Garant für die stilistisch sichere und auch schwungvolle Wiedergabe von Barockmusik, obwohl sich das Horn ein paarmal mit der Intonation schwertat und der Dirigent nicht warten konnte, um die Instrumente neu zu stimmen, sondern zur Durchführung unterbrechen musste (allerdings wurden der 1. und der 2. Akt pausenlos in zwei Stunden gespielt). Im Ganzen gab es drei Stunden Musik zu hören, dabei waren schon zahlreiche Rezitative gestrichen worden (wobei Mozart bereits fortschrittliche begleitete Rezitative einsetzte).

Angeführt wurde die Besetzung von Jessica Pratt (Aspasia), deren Sopran ein quellklares Timbre besitzt und von seiner Besitzerin mit höchster Virtuosität geführt wird – Koloraturen und Triller standen immer im Bezug zur Bedeutung des Textes, eine wunderbare Leistung. An die in England geborene und in Australien aufgewachsene Künstlerin kam keine/r ihrer KollegInnen heran. Der Ukrainerin Olga Bezsmertna (Sifare) gelangen im ersten Teil vor allem die lyrischen, wehmütigen Passagen, doch ermüdete sie gegen Ende hörbar. Die Kanadierin Rose Neggar-Tremblay (Farnace) gefiel mehr durch ihre temperamentvolle Interpretation als durch ihren nicht immer homogen klingenden Mezzo. Die Russin Maria Kokareva (Ismene) setzte ihren wenig persönlich timbrierten Sopran korrekt ein. Die Titelrolle gestaltete der Südafrikaner Levy Sekgapane wild gestikulierend, sein Tenor blieb in der Mittellage noch recht klangvoll, war in den extremen Höhen allerdings geradezu quietschend. Sehr angenehm klang der Mezzo der Niederländerin Nina van Essen in ihrer kleinen Arie als Stichwortbringer Arbate, aber quälend war die Leistung des britischen Tenors Alasdair Kent in seiner umfangreichen Arie als Marzio, der Römer, welchem der böse Farnace zunächst das Reich überantworten will.
Das sehr gut besetzte Haus (nur in der Pause gab es ein paar Flüchtende) dankte am Schluss mit reichem Beifall, der vor allem für Rousset und Pratt beträchtlich anschwoll.
Eva Pleus, 19. Mai 2025
Mitridate re di Ponto
Wolfgang Amadeus Mozart
Teatro alla Scala
Einzige Aufführung am 19. Mai 2025
Musikalische Leitung: Christophe Rousset
Ensemble Les Talens Lyriques