München: „In fernem Land“, Wagner-Opern und Schlossarchitekturen als Erlösung für Ludwig II.

Nein, die Moriskentänzer Erasmus Grassers sind keine Nürnberger Lehrbuben, aber ein Vortrag Marcus Spangenbergs in an jedem Ort am rechten Platz – zumal dann, wenn es sich um Ludwig II. handelt. Er war bekanntlich Richard Wagners bedeutendster Mäzen und ließ nicht weniger als vier seiner neuesten Opern in München uraufführen; später kam noch, da war der König schon tot, in der Prinzregentenzeit Die Feen dazu, womit fünf von 13 Opern, also knapp 40 Prozent seiner komponierten Bühnenwerke, an der Isar ihre erste Aufführung erlebt haben. Grund genug also, zum Münchner Stadtgründungsfest, das sich heuer zum 867. Mal jährt, auf Einladung der Freunde Münchens im spätgotischen Festsaal des Alten Rathauses am Marienplatz (in dem die Morisken seit 550 Jahren an den Wänden ihre grotesken Bewegungen machen) über das Verhältnis des Königs zum Komponisten zu sprechen, genauer: über die Frage, welchen Einfluss die zeitgenössischen Bühnenbilder der Wagner-Opern auf Ludwigs II. Bauten hatten. „In fernem Land, unnahbar euren Schritten“ – Wagner-Opern und Schlossarchitekturen als Erlösung für Ludwig II., so lautete denn der gemäßigt barocke Titel des bilderreichen Festvortrags.

Marcus Spangenberg ist ein seriöser Ludwig II.-Forscher; seine Magisterarbeit, die 1999 in einer bekannten und guten kunstgeschichtlichen Reihe publiziert wurde, drehte sich um den Thronsaal von Schloss Neuschwanstein. Wer sich in der Wagner-Literatur ein wenig auskennt, kennt auch das Monumentalwerk von Detta und Michael Petzet Die Richard-Wagner-Bühne König Ludwigs II., dem sie später eine profunde Arbeit über die Hundingshütte folgen ließen. Spangenberg präsentierte also Funde, die dem „normalen“ Ludwig- und Wagner-Freund vermutlich kaum vertraut sind, auch wenn sich in den Führern der Bayerischen Schlösserverwaltung die nötigen Hinweise auf den innigen Zusammenhang zwischen den szenischen Visionen der wagnerzeitlichen Bühnenbildner und der gebauten Architektur finden lassen. Trägt man also mit einem derartigen Thema Eulen nach Isar-Athen (wie die Stadt seit den Tagen des Großvaters Ludwig I. heißt)? Gewiss nicht. Spangenberg bietet eine so konzise wie genaue Übersicht über die königliche Wagnermanie im Zeichen des Schwans: beginnend mit der Inspiration, die der Kronprinz schon in Hohenschwangau (nomen est omen) empfing und seiner damals beginnenden, schließlich „lebenslangen Suche nach Männern, die wie Lohengrin aussahen“. Von hier ging es geradewegs zu den königlichen Bauten, in denen sich ein für die damalige Zeit durchaus typisches, also historistisches Interesse an den verschiedensten Stilepochen spiegelte. Ludwig II. adaptierte also nicht allein Wagners politische Ideen, sondern auch seine als ideal verstandenen (Bühnen-)Bilder, indem er zumal Lohengrin, Tannhäuser und Parsifal in Neuschwanstein und Linderhof wiedererstehen ließ. Wer heute den Burghof von Neuschwanstein betritt, steht, so Spangenberg, in einem aus Stein gebauten Bühnenbild. Wer den Festsaal besucht, besucht zugleich die Sängerlaube der historischen Wartburg und den 2. Akt des Tannhäuser, an dessen Raum sich der im 19. Jahrhundert wiedererstandene Festsaal der Wartburg orientierte. Augenmenschen haben ihr Vergnügen auch an den Parzival-Fresken, einem wahren „Bilderbuch“, in dem sich die mittelalterliche Gestalt und Wagners reiner Tor verbunden haben.

All das hatte, so der Referent, eine Bedeutung, die über die Lust am Kopieren Wagnerscher Bühnenbilder hinausging. In den nachgebauten Architekturen fand der König eine Entsprechung zu jenem monarchischen Ethos eines „Gottgesandten“, das ihm in der realen Welt des konstitutionellen Königtums längst abhandengekommen war. Als er den Thronsaal von Neuschwanstein bauen ließ, bezog er sich so gut auf die Hagia Sophia, in der zu byzantinischer Zeit die politische und die religiöse Macht in eins fielen, wie auf die These des fleißig spekulierenden Joseph Göres, wonach die Hagia Sophia das Vorbild für den Gralstempel im Epos des Jüngeren Titurel gewesen sei. Hier kam Vieles zusammen: christlicher Mystizismus, absolutistische Überzeugungen und bildkünstlerische Inspirationen, an denen Wagner, soweit es die „mittelalterlichen“ Bauprojekte betraf, den ausschlaggebenden Anteil hatte. Es ist gewiss kein Zufall, dass der König kurz nach dem Empfang des Parsifal-Textbuchs den Bau der Einsiedelei des Gurnemanz in Auftrag gab und die Hundinghütte unmittelbar nach dem Besuch der ersten Bayreuther Festspiele entstand. So verbanden sich des Königs religiöse Sehnsüchte (Karfreitag war sein heiliger Tag) und die durchaus weltlichen Vergnügungen (Lektüren, Gastmähler), wie sie in der Hundinghütte praktiziert wurden: als sei’s ein Stück des Meisters.

Ludwigs II. wagnerisch inspirierter synkretistischer Hang zu Nachschöpfungen, die man nicht als bloße Kopien abtun sollte, weitete sich sogar auf jene Bauprojekte aus, die offensichtlich nichts mit Wagner zu tun hatten. Neben den altgermanischen und mittelalterlichen Welten favorisierte Ludwig II. das französische Königtum des 17. und 18. Jahrhunderts, wie es in Herrenchiemsee und Linderhof seine bayerische Auferstehung erlebte. Spangenberg präsentiert das Sonnengesicht, das gemeinhin mit dem Sonnenkönig verbunden wird. Er weist allerdings auch darauf hin, dass Ludwig daran glaubte, dass der Name „Lohengrin“ übersetzt „Sonnenantlitz“ bedeuten würde – und die Sonne: das ist nun einmal Apollo, dem als Tier der Schwan zugeordnet ist. Der Schwan, der Schwan!…

Langer Beifall also für einen informierten Vortrag über die vielfältigen Beziehungen eines Ausnahmekomponisten zu einem Ausnahmekönig.  Den anwesenden Wagner-Freunden, Freunden Münchens und den Moriskentänzern hat er zweifellos Neues gebracht.

Frank Piontek, 10. Juli 2025


„In fernem Land, unnahbar euren Schritten“
Wagner-Opern und Schlossarchitekturen als Erlösung für Ludwig II.

Festvortrag von Marcus Spangenberg

10. Juli 2025

Veranstalter: Freunde Münchens
München, Altes Rathaus, Festsaal