Savonlinna: „Boris Godunow“, Modest Mussorgski

Ein beeindruckender Zar Boris!

In diesem Festspiel-Sommer wurde eine sehr erfolgreiche Produktion von Modest Mussorgskis „Boris Godunow“ wieder aufgenommen, in der Regie der deutschen Opernregisseurin und -direktorin Nicola Raab, bekannt für ihr detailreiche Charakterarbeit. Sie hat dieses Werk in den Bühnenbildern von George Souglides und den Kostümen von Julia Müer aus der Gestehungszeit der Oper inszeniert. Hinzu kam ein sehr gut und oft subtil eingesetztes Licht von Linus Fellbom. Man spielte Mussorgskis Urfassung von 1869, die aus sieben locker miteinander verbundenen Szenen besteht. Getreu dem Drama Alexander Pushkins aus dem Jahre 1825 und historischen Quellen handelt sie aber nicht nur von den politischen Entwicklungen, sondern auch von der Figur des Zaren selbst, von seinem Inneren also.

© Toni Härkänen

Und das interessiert die Regisseurin in ihrer Interpretation in besonderem Maße: Wie ergeht es einem Herrscher auf der zu Ende gehenden Reise seiner Macht, einer Art moderner via crucis, die schließlich zu seinem Tode führt? Deshalb kommt es Raab auch nicht auf die späteren Erweiterungen an, wie dem Polen-Akt oder der Rolle der Primadonna. Sie fokussiert hingegen scharf auf Boris und sein Verhältnis zur Macht, seine Schuld, Furcht und Einsamkeit. Dabei zeigt sie den Zaren, wie er auf Momente seines Lebens zurückblickt aus einem dem Ende nahen Blickwinkel, wie er sie wiedererlebt, aber auch beurteilt.

Dazu wird die Bühne von einem riesigen Käfig beherrscht, einem symbolischen goldenen Käfig der Macht des Zaren, virtueller Raum von Erinnerung und Reflektion. Von innen blickt Boris nach außen, von außen schauen alle nach innen. Jeder beobachtet, hinterfragt, erinnert sich – an irgendetwas. Geschichte steht im Zentrum! Der Mönch Pimen hält drinnen alles schriftlich fest, denn Geschichte kann nur bewusst und nachvollziehbar werden, wenn sie aufgeschrieben wird.

© Toni Härkänen

In diesen Bildern kommen in Olavinlinna die ganze Traurigkeit und der Stress der Bevölkerung im Kampf gegen die Armut und ums schiere Überleben in der russischen Geschichte hervor, wie man sie nicht nur aus der Boris-Erzählung kennt. Der Gottesnarr wird in diesem Ambiente eine starke Figur. Raab stellt Boris in den Mittelpunkt des Geschehens, seinen Umgang mit der Macht, sein Verhältnis zum Volk und zu sich selbst sowie zu seinen Kindern.

Die Hauptfigur wird hier äußerst eindrucksvoll, emotional mitnehmend und sowohl darstellerisch wie sängerisch erstklassig repräsentiert durch Mika Kares, den noch relativ neuen großen finnischen Bass, der auch schon an einigen großen Häusern als Hagen in Wagners „Götterdämmerung“ aufgetreten ist. Kares absolvierte an diesem Abend sein Rollendebut mit einer wunderbaren Resonanz, einem klangvollen Timbre, sowie einer großartigen darstellerischen Leistung. Das Publikum gab standing ovations, als er herauskam, ein hervorragendes Rollendebut!

Sehr gut waren auch die anderen Sänger. Timo Riihonen sang einen souveränen und ruhigen Mönch und Chronisten Pimen. Er tritt ja als Bassist auch in Wagner-Opern auf. Die Mezzosopranistin Irina Nuutinen war Fjodor, Sohn des Zaren in einer Hosenrolle also, und Olga Heikkilä Xenia, seine Tochter, beide mit ansprechenden vokalen und darstellerischen Leistungen. Raymonds Bramanis gab einen gefährlichen Fürst Wassili Schuiski. Matti Turunen als Warlaam und Tuomas Miettola als Missail gaben einige derbe komödiantische Einlagen. Tuomas Katajala war Grigori Otrepjew/Dimitri.

© Toni Härkänen

Der Savonlinna Opera Festival Choir, einstudiert von Jan Schweiger, sowie der Savonlinna Opera Festival Children’s Choir unter der Leitung von Leena Astikainen waren wieder phantastisch wie tags zuvor in der „Turandot“. Das Festival hat hier vokal starke und auch engagiert agierende Ensembles! Das Savonlinna Opera Festival Orchestra wurde von dem russisch-finnischen Dirigenten Dima Slobodeniouk dirigiert. Kompetent und mit ruhiger Hand wusste er die düsteren Farben der Partitur, die ja so stark von Leid und Not erzählt, mit dem bestens aufgelegten Orchester herauszuarbeiten. Ein beeindruckender und zeitweise unter die Haut gehender Abend in der Festung Olavinlinna.

Klaus Billand, 24. August 2025


Boris Godunow
Modest Mussorgski

Savonlinna Opera Festival 2025

Besuchte Aufführung am 11. Juli 2025

Inszenierung: Nicola Raab
Musikalische Leitung: Dima Slobodeniouk
Savonlinna Opera Festival Orchestra