VOŘÍŠEK – MOZART – BEETHOVEN: REVOLUTIONÄRE DER WIENER KLASSI
Festspielhaus Baden-Baden 11. Januar 2020
Die Musik ist jenes lockende Medium jenseits der Worte, jenseits von Gut und Böse (George Steiner „Warum Denken traurig macht“). Also machen sich die Bamberger Symphoniker wieder einmal auf Tournee, beginnen diese in Baden-Baden gemeinsam mit der Pianistin Hélène Grimaud und eröffnen mit dieser Premiere für sich das sog. Beethoven-Jahr zur Feier des 250. Geburtstages des Komponisten. Sie könnten ausschließlich Beethoven spielen, aber nicht doch: sie zeigen die Entwicklung zu dessen Musik, die ihn zum Außenseiter machte.
Sie selbst sind im Ursprung ein Orchester der Vertriebenen, geflohen 1938 aus der Tschechoslowakei nach dem Anschluss an Nazi-Deutschland, ließen sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Bamberg nieder, gaben dort 1946 ihr erstes Konzert. Das Motto für den Neubeginn war ihr Programm: „Rückkehr und Zuflucht zu den Werken und Werten hoher Menschlichkeit“. Der ihnen zugeschriebene warme „böhmische Klang“, seine dunkel-sonore Tiefe, ist eine musikalische Lebenseinstellung, die der seit 2016 neue Chefdirigent Jakub Hrůša ebenso verinnerlicht hat: „Das Alte zu bewahren und nichts vom Guten zu verlieren, zugleich neue Qualitäten zu kultivieren und neue Horizonte zu eröffnen.“
Den Anfang machte die Symphonie D-Dur von Jan Václav Voříšek, dann führte die D/d-Durmolltonalität durch den Abend bis zur Zugabe. Jan Václav Voříšek wurde 1791 in Ostböhmen geboren, studierte Komposition an der Prager Universität. Er zog nach Wien, studierte Jura, arbeitete aber musikalisch auch in der Gesellschaft der Musikfreunde – selbstverständlich immer ehrenhalber und unentgeltlich. Er starb 1825 an Lungentuberkulose, verarmt und wurde auf dem Währinger Friedhof beigesetzt wie auch 1827 Beethoven und 1791 Mozart im unbekannten Armengrab. „Der Tod muss ein Wiener sein …“. Viele seiner Kompositionen sind verschollen, die D-Dur Symphonie op. 23 von 1821 ist erhalten und der Entdeckung wert.
Die vier Sätze zeigen seine Verehrung für Beethoven, den er persönlich kannte. Erster und vierter Satz ‚Allegro con brio‘ sind festlich und voller Energie, die beiden Mittelsätze ‚Andante‘ und ‚Scherzo‘ werden von den Holzbläsern dominiert, die Streicher klingen oft chromatisch, ‚verfärben‘ die Töne. Manches erinnert an Mozarts Opern.
Dann nach dem Hereinrollen des Flügels betritt Hélène Grimaud die Bühne und nimmt von ihm Besitz. Eine Persönlichkeit, die so Vieles in sich vereint. 1969 in Aix-en-Provence geboren, studierte sie als Kind am dortigen Konservatorium, um mit 13 Jahren am Pariser Concervatoire angenommen zu werden. Ihr pianistischer Weg führte sie dann steil nach oben. Ihre Bücher zu lesen gibt tiefe Einblicke in die Musik, die sie spielt und wie sie diese verstehen lernt. Ihre Liebe zu den Wölfen und deren und die eigene Freiheit lassen sie ein Naturschutzzentrum in New York leiten. Das alles und mehr fließt in ihren Mozart ein: Klavierkonzert d-Moll KV 466.
Am 10. Februar 1785 hatte Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) die Komposition fertiggestellt. Tags darauf am Tag der Aufführung in Wien reiste sein Vater Leopold dorthin und schreibt an seine Tochter Nannerl: „ein vortreffliches Clavierconcert vom Wolfgang, wo der Copist, da wir ankamen, noch daran abschrieb, und Dein Bruder das Rondo noch nicht einmal durchzuspielen Zeit hatte, weil er die Copiatur übersehen mußte.“ Mozart schlägt hier völlig neue Töne an, ist nicht gefällig oder unterhaltsam. Es ist düster und abgründig, sein Pathos kompromisslos. Es sind Don Giovanni, der Komtur, die Finsternis und Tod ausstrahlen. Diese geheimnisvolle Unruhe und Dunkelheit spielte Hélène Grimaud. Das Klavier setzt schlicht ein, greift nach dem Zarten, keine donnernden Oktaven, Himmelsmusik erklingt.
Ihre Hände führen ein Eigenleben. Dieses Kompliment einer adligen Dame an Mozart darf man hier für Hélène Grimaud wiederholen. Sie sitzt aufrecht am Flügel, nach jedem Lauf hebt sie die Arme für den nächsten Anschlag, beide Pedale werden wunderbar (oft gleichzeitig) benutzt, ihre geliebte linke Hand hat viel zu tun und ist oft der rechten im Ausdruck überlegen. Das Leichte ist eben schwer!
Das Hauptthema wird vom Soloklavier vorgestellt, ist eine einfache Liedform. Orchester und Klavier sind gleichberechtigte Partner. Die Streicher spielen wilde Synkopen, die Bässe grollen in einer Auftaktbewegung. Das Konzert endet in D-Dur! Mozart fand hier zur eigenen Freiheit und Kunst. Die Zeit war vorbei, wegen Geldnöten und Schulden „Everybody’s Darling“ zu sein! Er komponierte keine Solo-Kadenzen, die etliche Musiker dazugaben. Hier war es die von Beethoven, der das Klavierkonzert gerne spielte und diese zugefügt hat.
Dann nach der Pause die Fortsetzung der Kadenz: Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 36. Komponiert 1801/02, dem Fürsten Lichnowsky gewidmet, Uraufführung am 5. April 1803 im Theater an der Wien. Sie entstand zur Zeit des ‚Heiligenstädter Testaments‘, also in Beethovens großer Lebenskrise. Von alledem steht nahezu nichts in der hinreißend frischen Partitur. Manchmal kann man ihr anhören, dass sie kurz vor der „Eroica“ entstand. Das Werk hat einen großen Zug nach vorn, punktierte Sechzehntel fallen wie Blitze und Fortissimo-Achtel funkeln, die die sorgfältige thematische Arbeit des Komponisten sprengen könnten.
Hier war Jakub Hrůša der kompetente Walter des Werks, der sich sein Verständnis erarbeitet hatte. Bestechend war die Anzahl der Musiker: kammermusikalisch! Alles war am Anfang klar zu hören. Die beiden Fortissimo-Schläge der Einleitung zielen auf eine Fermate, die Bläserakkorde erklingen zuerst im Forte, dann im Piano, unmittelbar nacheinander, die Koda hat wilde Sforzato-Vorschriften, acht Fortissimo-Takte während der Synkopen der Zweiten Geigen. Das Larghetto sind melodische Einheiten mit Charakter. Das Scherzo ist ähnlich, wilde Dissoziationen sind möglich. Das Finale ‚Allegro molto‘ ist ein Triumph an Temperament und Schwung, führt zum Teil in eine heroische Landschaft. Die Tempi beinhalten rasende Geigenläufe, die anderen Instrumentengruppen müssen mithalten. Beethovens Vorschrift dazu: die Steigerungen ergeben sich von selbst. Und ihn hatte die Bonner Hofgesellschaft 1792 nach Wien geschickt, um „Mozarts Geist aus Haydens Händen“ zu empfangen.
So wurden aus den drei Komponisten Revolutionäre ihrer musikalischen Zeit, und ihre Meisterstücke führten weiter, auch wenn sie erst vom bestimmenden Adel nicht goutiert und verstanden wurden. So trägt die Symphonie oft Merkmale einer Buffo-Ouvertüre, und es ist gewiss kein Zufall, daß sie mit Mozarts „Figaro“-Ouvertüre auch die Tonart gemeinsam hat. Und sie gab es nach großem Beifall des voll besetzten Festspielhauses als Zugabe des Orchesters und seines sensiblen und kenntnisreichen Dirigenten. Beaumarchais nannte es: „Ein toller Tag!“
Inga Dönges, 13.1.2012
Bilder (c) A. Herzau / M. Bode