Salonoper in drei Akten von Pauline Viardot (1821-1910)
Vorstellung am 31.03.2013 (Premiere 27.03.2013)
Das Theater Baden-Baden
Diese Produktion im Rahmen der Baden-Badener Osterfestspiele entstand als Kooperationsprojekt des Festspielhaus Baden-Baden , der Berliner Philharmoniker, der Deutsche Bank Stiftung und des Theaters Baden-Baden. Es seien daher vorab einige Worte dem Theater der Schwarzwaldstadt gewidmet, das seine Existenz unseren westlichen Nachbarn verdankt. Dort hatte der König Louis Philippe 1838 ein Spielbankverbot erlassen. Wie immer führen Restriktionen an einem Ort zur Prosperität anwoanders. „Enrichissez-vous!“ Etliche Franzosen waren reich, wollten spielen und unterhalten werden. So entstand nicht nur das Casino in Monte Carlo, sondern auch im nahen liberalen Großherzogtum Baden empfing die Kurstadt Baden-Baden mit ihrem Casino immer mehr vermögende französische Sommergäste, wurde gar zur „Capitale d’été“! Die Vorliebe französischer Besitzbürger für die Stadt am Rande des Schwarzwalds wurde damit ebenso begründet wie beispielsweise die für Bad Ems, wo bekanntlich Jacques Offenbach im Sommer regelmäßig Hof hielt.
In Baden-Baden wurde mit Jacques Bénazet gar ein französischer Direktor für das Spielcasino eingestellt, der sich um Unterhaltung für seine französische Clientèle kümmerte und dessen Zuwendungen aus den Erträgen der Spielbank die Errichtung des Theaters in Baden-Baden (natürlich im Stil des französischen Klassizismus) zu verdanken ist. Zur Eröffnung des Theaters 1862 wurde bei Berlioz die Oper „Béatrice und Bénedict“ bestellt, die in Baden-Baden zur Uraufführung gelangte. Natürlich war das Theaterprogramm ansonsten mehr auf die Mode in Paris ausgerichtet. 1871 hatte diese deutsch-französische Idylle ein abruptes Ende. Badische Truppen zerschossen das Straßburger Opernhaus aus dem second empire ; in ihrem noch von Mme. de Staël geprägten Deutschlandbild ersetzten die Franzosen die Schlafmütze des Michels durch die Pickelhaube der Preußen. Die französischen Gäste (nun von jenseits der Vogesen) blieben aus, in Baden-Baden wie in Bad Ems.
Erst 1945 kamen die Franzosen nach Baden-Baden zurück. Ein durch sein CV zur Verständigung prädestinierter Franzose (Ernest Bour) wurde später Chef des SWF Sinfonieorchesters, das auch vielfach von Pierre Boulez geleitet wurde, der zum Glück in Baden-Baden kein Opernhaus zum Sprengen vorfand. Nur das Theater, das indes mit wesentlichen Beiträgen des Mäzens Max Grundig wieder zu einem Schmuckstück hergerichtet wurde. Nun ist in Baden-Baden wieder alles wie vor langer Zeit: neben Deutsch und den lokalen Dialekten sind die meistgesprochenen Sprachen in den Straßen der Stadt Französisch und Russisch…
Pauline Viardot
Die Schwester der legendären Sängerin Maria Malibran , ein musikalisches Multitalent, Schülerin Franz Liszts, selbst eine begnadete Mezzo-Sopranistin und nach Auftritten in Russland Objekt der Bewunderung von Iwan Sergejewitsch Turgenjew hatte bei Anton Reicha auch Kompositionslehre studiert. Sie zog 1863 mit ihrem Mann, dem Theaterdirektor Louis Viardot nach Baden-Baden, wo sie schon als Sängerin Triumphe gefeiert hatte. In Paris war es unter Napoleon III für einige eng geworden. (Turgenjew ließ dann nicht lange auf sich warten.) In einem fürstlichen Anwesen mit Konzertraum und kleinem Theatersaal unterhielt sie einen musikalischen Salon, in welchen die Größen der damaligen Musikwelt Einzug hielten. Die Viardot wurde nach ihrer Sängerkarriere Gesangspädagogin und Schöpferin von Salonopern, die sie in Baden-Baden für die Stimmen ihrer Schüler geschrieben hat. 1871 gingen die Viardots nach Paris zurück. Hier wurde ihre viel später geschriebene Salonoper „Cendrillon“ 1904 uraufgeführt. Salonopern waren seit Rossinis Zeiten eine Art, die Kulturbeflissenheit des Besitzbürgertums in ihren Salons auszudrücke. (Mit der Erfindung der Einkommensteuer ging diese Aufgabe in den Besitz des Staats über.) Pauline Viardot starb 1910 89-jährig. Ihre Salonoperette wurde nie ganz vergessen und erscheint ab und zu in Schulvorführungen oder Kindertheatern.
Welch eine blendende Idee der ersten Baden-Badener Osterfestspiele 2013, das Werk mit so viel lokalem Kontext wieder auszugraben, wenn auch sein musikalischer Wert heute sicher relativiert gesehen wird. Die Handlung des gut einstündigen Werks entspricht ziemlich genau der von Rossinis Cenerentola (1817)oder Massenets Cendrillon (1899) nach dem Märchen von Charles Perrault, wobei die Personen der Handlung aber andere Namen tragen. Die Viardot hatte ihre Salonopern zu Klavierbegleitung geschrieben. Die in Baden-Baden vorgelegte Neufassung ist Von Andres N. Tarkmann für zehn Instrumentalisten der Berliner Philharmoniker und Stipendiaten der Orchester-Akademie der Philharmoniker instrumentiert. Mit zwei zusätzlichen Musiknummern („Ich habe ein Diwanpüppchen“, Paul Abraham 1931 und „Schließe mir die Augen beide“, Alban Berg 1907) wird das musikalische Spektrum des Werks verbreitert, indem als Eckpunkte die Operette und ein neutönerisches Lied markiert werden (jeweils zu Klavierbegleitung), während aus dem Orchester mehrmals Offenbach grüßen lässt. Dieses kleine Gesamtkunstwerk wird so auf 80 Minuten ausgeweitet und lässt sich weder dem Genre Operette oder Oper zuordnen.
Christian Georg (Prinz); Lydia Leitner (Cendrillon); Jianeng Lu (Kammerdiener Barigoule)
Dazu trägt auch die Bearbeitung durch die Regie bei, die neben dem vorgesehenen siebenköpfigen Personaltableau noch drei Sprechrollen eingeführt hat: den Conférencier („Meister“), die Ehefrau des falschen Grafen sowie einen General. Gerade mit letzterem, der zunächst als Knallcharge auftritt (er hat sein Gehör im Krieg bei einer Teekesselexplosion verloren; wie heißt der chinesische Informationsminister? Na: Tsai-Tung – und der Schifffahrtsminister? Na: Lho-Tse!), lässt den Prinzen zum Schluss eine vom General verfasste Erklärung über den Eintritt in einen „uns aufgezwungenen“ Krieg verlesen. Die Geschichte – auch die Baden-Badens sagt hallo – und um ein operettenhaftes fröhliches Ende ist es geschehen.
Die Bühneneinrichtung des Stücks durch Maximilian von Mayenburg ist so gekonnt wie einfach. Auf den beiden Drehtellern des mit ordentlicher Bühnentechnik ausgestatteten Theaters lässt der Bühnenbildner Nikolaus Frinke im Wesentlichen nur eine große Vitrine sowie einen Buffet-Tisch rotieren, die durch Hebe- und Senkungsmöglichkeiten wechselseitig hoch- und runtergefahren werden. Julia Schnittgar hat die Handelnden in ulkig verzerrte bis hübsche Kostüme gekleidet. Der Graf ist ein betrügerischer Emporkömmling, früher mal unehrlicher Gemüsehändler, dann wohl nur noch Betrüger, schließlich Baron de Pictordu. Seine Frau eine rassige rrrussische „Adlige“. Die gute Fee will dem ehrlichen Prinzen eine Frau backen; die beiden albernen Töchter des Barons kommen wie zwei Millionen anderer Frauen für den ernsten Prinzen, der eine Liebesheirat sucht, nicht infrage. Alles Stoff zu einer (Salonoperette), die sich aber zum Ernsten wendet, wenn der General die Leute abmarschieren lässt und bloß Aschenputtel , eine fiktive Person, am Boden zerstört zurück bleibt.
Die Intentionen des Regisseurs wurden von den sehr jungen Darstellern lebendig umgesetzt. Die drei Sprechrollen waren mit Ensemblemitgliedern des Theaters Baden-Baden besetzt: Nadine Kettler eine blasiert aufreizende Baronin Pictordu, Christian Schaefer als die üble Witzfigur des Generals und Michael Laricchia als vielseitiger und wendiger Conférencier: er konnte tanzen, singen und schauspielern. Leider sprach er in dem doch recht kleinen Theater mit Microport, wobei durchaus störend war, dass die Stimme nicht immer aus der Ecke tönte, wo er sich gerade aufhielt. Auch Natasha Young als Fee, gleichermaßen sprechend wie singend eingesetzt, war über Microport verstärkt; die Ortung gelang aber hier besser.
Natasha Young (Die Fee); Lydia Leitner (Cendrillon)
Bei den Sängern handelte es sich fast ausschließlich um junge Absolventen im Rahmen ihrer ersten Schritte im Bühnenleben. Natasha Young , auch als Jazz-Sängerin ausgebildet, preisgekrönt an der Musikschule Trossingen, sang mit weichem Mezzo die Fee und gestaltete sie mit nobler Bühnenerscheinung. Mit attraktiver Bühnenpräsenz verlieh Lydia Leitner dem Aschenputtel stimmlich mit klarem leuchtenden Sopran Gestalt. Die beiden „Barons“töchter heißen hier Maguelonne (mit wendigem schlankem Sopran: Tamara Banješević) und Armelinde (etwas ausladend der Mezzo von Deniz Uzun). Manos Kia gefiel in der Rolle des Baron de Pictordu mit kräftigem Bariton und erzkomödiantischem Spiel. Mit warmem, baritonalem Tenor sang Christian Georg die Rolle des Prinzen. Daneben machte er noch einen Ausflug in sein ehemaliges Hauptfach, indem er auf dem Klavier gekonnt die beiden Einlagen von Paul Abraham und Alban Berg begleitete. Der Tenor Jianeng Lu konnte sich Kammerdiener Barigoule mit seinem stimmschönen Tenor auch einen erfolgreichen, wenn auch kurzen Exkurs ins Spint-Fach leistete. Übrigens: gesungen wurde in tadellosem Französisch; gesprochen auf Deutsch. Lediglich das Aschenputtel als Projektion eines Dienstmädchens konnte natürlich gar kein Französisch und sang auf Deutsch. Die musikalische Leitung des Abends hatte Stanley Dodds.
Das Publikum im sehr gut besuchten Baden-Badener Theater hatte für die Nachmittagsvorstellung auch etliche Kinder mitgebracht. Denen dürften wohl die Kaspereien des Barons am, besten gefallen haben. Und es ist immer schön zu beobachten, wie die Kleinen von Theater und Musik fasziniert sind. Großer Beifall für das gelungene Experiment.
Manfred Langer, 02.04.2013 Produktionsfotos: Jochen Klenk