Premiere: 21. Oktober 2017
Eine Verdi Oper, ganz speziell „LA TRAVIATA“ verspricht ein volles Haus, der Wunsch aller Intendanten. Der Grossaufmarsch des erwartungsvollen Premierenpublikums in Basel erfreute Andreas Beck, die Operndirektorin Laura Berman und das gesamte Team.
Die Ouvertüre wurde wieder einmal traditionell bei geschlossenem Vorhang unter der Leitung von Titus Engel vom Sinfonieorchester Basel (SOB) fein empfunden „zelebriert“. Geleitet durch seine hervorragende Stabführung musizierte das Orchester mit gewohnter Präzision ohne dass die Emotionen darunter verloren gingen.
Diese Emotionen hingegen gingen im ersten Akt durch das opulente, ja überladene Bühnenbild (Lizzie Clachan) des ersten Aktes ein wenig verloren. Hektische Aktion, viele Requisiten, zu viele Regie-Ideen stören die musikalische Dramaturgie Verdis. Die ganze Personenführung war nicht zielführend und verunmöglichte es, den Ablauf der Geschichte nachzuvollziehen. Die Auffassung des amerikanischen Regisseurs Daniel Kramer für die Institution der Kurtisanen in der Mitte des 18. Jahrhunderts zeigt vielleicht die neidvolle Sichtweise des durchschnittlichen Bürgers im vorletzten Jahrhundert. Die Kreise jedoch, in denen die Kurtisanen sich bewegten, waren vermögend und teilweise hochgebildet, nicht aber nur primitiv und sexistisch, wie das Kramer in seiner Regie darstellt.
Das Bühnenbild des ersten Bildes im zweiten Akt dagegen unterstützt optimal die musikalische Dramaturgie Giuseppe Verdis. Schlicht, ländlich und einfach gehalten, erlaubt diese Art von Bühnenszenerie das sich Vertiefen in Musik und Handlung, unterstützt also auch das Verständnis der Geschichte. Aber wiederum ist ein Mangel in der Regie auszumachen. Die Sängerinnen und Sänger stehen auf der Bühne, singen, aber es entsteht keine nachvollziehbare Interaktion zwischen den ProtagonistInnen.
Im zweiten Bild befinden wir uns wieder im Haus von Flora Bervoix mitten im Trubel des Karnevals. Zigeunerinnen und Stierkämpfer unterhalten die Gäste. Hier ist die Regie wesentlich zwingender als in der grossen Szene des ersten Aktes. Die Personenführung unterstützt den Fortlauf der Geschichte, auch wenn die Solisten und Solistinnen immer noch relativ statisch singen. Die Halbwelt, in welche Violetta zurückgekehrt ist, wird hier stringenter dargestellt.
Hervorragend gelungen ist der dritte Akt. Das Bühnenbild wirkt düster, es herrscht eine Endzeitstimmung. Violetta gräbt, sie gräbt sich ein Grab. Die Frage stellt sich: Will sie sterben, oder hat sie einfach das unvermeidliche akzeptiert? Grandios der Einsatz des Chores der Maskierten „Largo al quadrupede“.
Das Schlussbild mit Violetta Valerie, Alfredo und Giorgo Germont, Annina und Dottore Grenvil bildet einen fulminanten Abschluss dieser Oper, einer der meistgespielten Opern weltweit.
Die Amerikanerin Corinne Winters singt und spielt mit viel Einfühlungsvermögen die Kurtisane Violetta Valeries. In den Höhen ist sie kraftvoll, vielleicht ein bisschen zu kraftvoll, in den Mittellagen und im tiefen Bereich jedoch moduliert sie ihre Stimme der Situation entsprechend mit grossem Können. Ihre Diktion ist ansprechend. Nicht hundertprozentig überzeugt jedoch ihre Körpersprache. Zu rar sind Gestik und Mimik mit den darzustellenden Emotionen gekoppelt. Hier ist die Regie, der Regisseur gefragt.
Der Russe Pavel Valuzhyn, seines Zeichens einer der führenden Tenöre am Bolschoi-Theater, gibt in Basel sein westeuropäisches Debut. Seine Stimme zeichnet sich durch eine sanfte Lyrik und ein weiches Timbre aus. Sein „Libiamo ne’ lieti calici“ im ersten Akt jedoch ist zu schwach, zu lyrisch, zu wenig kraftvoll. Schade, dass sich seine Stimme nicht durchsetzen kann. Ganz anders im Rest des Werkes, schon bei den ersten Tönen des zweiten Aktes „Lunge da lei per me non v’ha diletto!“ und vor allem in „De’ miei bollenti spiriti“ hörte ich einen ganz anderen, einen wunderbaren Tenor. Seine Diktion ist gut. Aber auch bei Valuzhin stelle ich fest, dass seine schauspielerischen Fähigkeiten, seine Mimik und Gestik nicht überzeugt. Personenführung? Regie? Ich weiss es nicht, will und kann es nicht wissen.
Ivan Invernardi als Giorgio Germont überzeugt nicht unbedingt trotz seines kraftvollen Baritons.
Als Flora Bervoix erlebten wir das Basler Ensemblemitglied Kristina Stanek. Mit hohen Absätzen in schrillem Kostüm war Karl-Heinz Brandt zu sehen und zu hören. Solide wie immer gab Andrew Murphy den Dottore Grenville. Anastasia Bickel, Mitglied des Opernstudios Operavenir, sang die Annina.
Der Chor des Theater Basel unter seinem neuen Leiter Michael Clark meisterte seine darstellerischen und gesanglichen Aufgaben solide und professionell wie immer.
Die vielfältigen Kostüme wurden von Esther Bialas entworfen. Das Lichtdesign besorgte Charles Balfour. Die Lichtführung des dritten Aktes ist speziell erwähnenswert. Sie verstärkte die musikalische Emotion und unterstützte die Handlung, welche subtil, unterschwellig tief empfundene Gefühle wecken konnte, weckte.
Nach kurz gefühlten drei Stunden ging der Opernabend zu Ende. Das Premierenpublikum feierte die Solistinnen und Solisten mit frenetischem Beifall. Auch Statisterie, Chor und Chorsolisten kamen nicht zu kurz.
Eine Inszenierung des Basler Theaters, welche Musiktheater-Freunden wärmstens empfohlen werden kann!