Premiere am 25. Juli 2022
Guter Start mit Potential zur Steigerung
So stellt man sich den Wellnessbereich eines der ganz großen neuen Kreuzfahrtschiffe vor, die ja mit immer verrückteren Einfällen aufwarten, natürlich in der 1. Klasse: Ein eleganter ellipsenförmiger Pool mit schicken weißen lederbezogenen Ruhesesseln drum herum und, durch einen großen Ausschnitt im Oberdeck, freier Blick zunächst auf den blauen Himmel mit Schäfchenwolken und später auf den präzedierenden schwarzen Sternenhimmel wie aus einem Raumschiff, und so alles Mögliche zwischendurch. Immerhin sind wir mit Tristan und Isolde auf der für sie nicht ganz freiwilligen Überfahrt von Irland nach Cornwall, sodass die quirlenden blauen Video-Wassermassen (Luis August Krawen), die zunächst die Ellipse füllen, durchaus Sinn machen. Heiner Müller hatte seinerzeit zwei schmale, wässernde Lichtstreifen links und rechts des Geschehens, schon damals eindrucksvoll aufgrund der reduzierten, aber stimmigen Symbolik.
Die Vorteile einer vertikalen Verdoppelung der Spielfläche, wie sie nun der Bühnenbildner Piero Vinciguerra mit Regisseur Roland Schwab dem Bayreuther Premieren-Publikum vor Augen führte, sind evident. Schwab und Vinciguerra haben nicht zuletzt mit einer genialen Inszenierung des „Lohengrin“ in der Salzburger Felsenreitschule 2019 mit einem riesigen abgestürzten Jet sinnvoll von sich reden gemacht. Auf besonders eindrucksvolle Weise machte sich auch Itay Tiran in seiner ebenso genialen Inszenierung der „Salome“ 2019 an der Opera Tel-Aviv-Yafo diese Verdoppelung der Bühne mit einem großen Ausschnitt nach oben zu Nutze.
Damit war im neuen Bayreuther „Tristan“ auch gleich ein abstrakter navaler Mehrdeck-Eindruck gesichert, wobei oben sehr gut zunächst die Silhouette Tristans als Wächter des Kurses nach Cornwall zu sehen ist, dann Kurwenal aktiv wird, König Marke erscheint und die abziehende Jagdgesellschaft im 2. Aufzug nur angedeutet wird, während später der Englischhorn-Solist zwischen Strandfelsen berührend sicht- und hörbar wird und der oft peinlich geratende finale Kampf dezent über die Oberbühne geht. Nicol Hungsberg steuerte das gut dimensionierte Licht bei, und Gabriele Rupprecht schuf modisch elegante Kostüme. Isolde hätte man allerdings eine ansprechendere Perücke verpassen können.
Das Oberdeck ist somit eine Spielfläche der zweiten Kategorie, ein kluger Schachzug, um sich unten ganz auf das Schicksal der Protagonisten zu konzentrieren. Und hier wird die quirlige Ellipse zum zentralen Instrument der Inszenierung. Denn offenbar nur Tristan und Isolde dürfen sie betreten. Sie wird zum Spiegelbild ihrer und vor allem Tristans Emotionen, Begierden und Bedenken. Diese werden durch phantasievolle Video-Animation im Einklang mit der jeweiligen Situation nachvollziehbar in der Ellipse dargestellt.
So färbt sich das zunächst naturgemäß blau wirbelnde Wasser blutrot, als Isolde Brangäne von der tödlichen Geschichte Tristans und Morold erzählt. Und besonders eindrucksvoll wird es zum Ende des 1. Aufzugs, wenn sich Tristan und Isolde nach Genuss des Liebestrankes in einer Art rasendem Strudel immer mehr annähern, ohne sich jedoch zu berühren. Warum nicht?! Das Konfliktpotential für den 2. Aufzug wird jedoch auch so stringent vorgezeichnet.
Roland Schwab wollte das Stück aus der Musik heraus inszenieren, schonmal ein sehr guter Ansatz, den auch immer Peter Konwitschny verfolgt, ein Wagner-Kenner par excellence, der sich dennoch immer wieder mit mehr oder weniger Klarheit am deutungsschwangeren Regietheater versucht. Das ist hier nicht der Fall, es geht um story telling mit intelligentem Einsatz heutiger technischer Möglichkeiten des Theaters – insofern ein guter konzeptioneller, dramaturgischer und technischer Ansatz. Für Schwab ist das „singuläre Kapitel des Stückes“, was auch den Enthusiasmus des Publikums erkläre, wie er in einem Gespräch mit Dramaturg Christian Schröder darstellt, dass man mit ihm der Welt abhanden komme und sich von ihr loslöse, „eine zelebrierte Weltflucht“. Das ist ganz sicher richtig, aber dafür bedarf es in einem Einheitsbühnenbild wie es sich in dieser Produktion darstellt – lediglich die Hängepflanzen von oben werden von Aufzug zu Aufzug länger – einer äußerst fein ausgefeilten Personenregie, eigentlich ein Gesetz, um der vergleichsweisen Langeweile des Enheitsbühnenbildes entgegenzuwirken.
Man muss aber konzedieren, dass das leading team nur sehr wenig Zeit hatte, diesen „Tristan“ zu entwickeln, der als Joker eingesetzt werden soll, wenn wegen Corona Aufführungen der chorintensiven Opern der Festspiel-Saison ausfallen sollten. Und an Personenregie fehlt es in dieser Neuinszenierung. Die an sich gute Idee, dass das Betreten der Ellipse nur den beiden Liebenden vorbehalten ist, führt dazu, dass alle anderen Charaktere marginalisiert werden. So darf Marke bei seinem immerhin sehr intensiv anklagenden Auftritt im 2. Aufzug nur um die Ellipse herumwandern.
Das wird noch viel problematischer bei Kurwenal im 3. Aufzug, der doch als sich für Tristan aufreibender Freund, zumal in dessen letzter Stunde, ständig seine direkte Nähe sucht. Er darf mit einem kleinen Glühlämpchen, wie man es bei den Rettungswesten der Airlines durch die Präsentation vor dem Start vermutet, nur um den Pool herumwandern, spielt also eine viel zu kleine Rolle, ähnlich wie Brangäne. Der Regisseur geht sogar so weit zu spekulieren, dass man alles Personal um das Liebespaar herum aussparen könne, und es würde trotzdem nicht überleben – eine Hypothese oder Spekulation, die er spannend findet. Sie stellt sich jedoch gegenteilig auf der Bühne dar.
Interessant ist aber, dass ausgerechnet Melot in die Ellipse von Tristan und Isolde eintritt, in dem Augenblick nämlich, als er Tristan für König Marke in flagranti der Untreue überführt. Er zwingt ihn auf einen Stuhl in der Ellipse und damit in die Position eines Verhörs, welches mit dem einfallsreichen Herabsenken lichtstarker Leuchtröhren einen immer intensiveren Verlauf nimmt und Tristan schließlich ohne direkte Einwirkung Melots die Wunde zufügt – eine Wunde des „hellen Tags“. Denn im Finale des 2. Aufzugs haben ihn die Leuchtröhren fast wie ein Gitter eingeschlossen. Interessant ist aber auch, dass Melot mit dem Kabel des Scheinwerfers, den Isolde zuvor nicht ganz löschen konnte und mit dem er Tristan nun ins helle Licht gerückt hat, eine Schlinge knotet – er sieht wohl sein Ende schon jetzt besiegelt… Judas, der Verräter, lässt grüßen!
Nicht ganz wird klar, was Schwab damit meint, dass der Mensch nicht an der Gesellschaft, sondern an sich selbst zugrunde gehe. Wie Wagner selbst sagte, gebiert das Sehnen ständig neues Sehnen und findet nie Erfüllung. Das wird im 3. Aufzug aber nicht klar. Besonders hier versagt die Personenregie, die zunächst Tristan wie bei einer Totenaufbahrung von Kerzen umgeben in der Ellipse zeigt, Isolde aber später nicht zu ihm kommen lässt. Stattdessen steht sie, bisweilen völlig von den Rankpflanzen verdeckt, unscheinbar im Hintergrund und singt ihren Liebestod nicht ganz nachvollziehbar, ja stirbt schließlich weit entfernt von Tristan, der zuvor aus der erloschenen toten Ellipse herausgetreten ist (und in der Realität angekommen?). Das war am Ende dann doch ein Maß an Entfremdung, welches zu dieser, der Werkaussage Wagners glücklicherweise sehr verpflichteten Interpretation, nicht passte.
Sollten nicht die Darsteller mit ihren Gefühlen absolut im Fokus stehen?! Man würde nach Ansicht des Regisseurs die „Vehemenz von Gefühlen“ erleben, ist zu lesen. So blieb der „perpetuierende Gedanke der Liebe“ am Ende im Unklaren. Hier könnte man im Sinne der „Werkstatt Bayreuth“ mit etwas Zeit gut nacharbeiten und in dieser ansprechenden Ästhetik des „Welt-Atems wehendem All“ noch einiges bewirken.
Natürlich glänzen Stephen Gould und Catherine Foster mit ihren Rolleninterpretationen von Tristan und Isolde. Gould, noch vor zwei Wochen in Leipzig als Jung-Siegfried zu erleben, bringt seinen klangvollen und stimmstarken Heldentenor bei nicht immer ganz guter Wortdeutlichkeit in die Rolle ein. Darstellerisch ist er ohnehin schon ein Tristan mit hohem Depressions-Potential. Catherine Foster war zuletzt mit der Brünnhilde in Budapest und Isolde in Leipzig, wo sie überall zur großen Begeisterung auch der Wagner-Kenner gesungen hatte, an diesem Abend in einer nicht ganz so ausgezeichneten Verfassung. Nach gutem Beginn im 1. Aufzug bei starkem Dialog mit der auszeichneten und äußerst wortdeutlich singenden Ekaterina Gubanova als Brangäne, ließ Foster im Verlauf des Abends und besonders im Liebestod, an Wortdeutlichkeit nach und sang auch bisweilen etwas zu tief. Vielleicht liegt es an ihrer momentan sehr hohen Beanspruchung, denn Hochdramatische für die ganz großen Bühnen wie Bayreuth sind an weniger als einer Hand zu zählen.
Der Weltklasse-Bass Georg Zeppenfeld brilliert einmal mehr stimmlich als König Marke, denn darstellerisch sind ihm relativ enge Grenzen gesetzt. Markus Eiche singt einen klangvollen Kurwenal mit seinem samtenen Bariton. Olafur Sigurdarson, exzellenter Alberich noch im Dezember 2021 im neuen Göteborger „Ring“, ist eine Luxusbesetzung für den Melot, und Jorge Rodrìgues Norton als Hirt, Raimund Nolte als Steuermann sowie Siyabonga Maqungo als junger Seemann runden das gute Ensemble ab.
Am Pult des Bayreuther Festspielorchester s stand diesmal als Einspringer der Linzer GMD Markus Poschner, wohl auch, weil er mit Katharina Wagner im Januar 2019 mit einer semi-konzertanten „Walküre“ mit diesem Orchester in Abu Dhabi gastierte, auch damals als Einspringer. Für ein Debut an dem mit elementaren Besonderheiten versehenen Schlag im mystischen Bayreuther Graben machte Poschner seine Sache recht gut, versuchte viele Details herauszuarbeiten und konnte auch dynamischere Momente ansprechend gestalten. Allein, es blieb allzu vieles zu leise und unerfindlich, riss nicht recht mit. Die ganz große Emotion, von der Regie postuliert, fehlte im Graben. Auch hier kann in den Folgejahren, sollte Poschner weiter am Pult stehen oder der heuer auf den neuen „Ring des Nibelungen“ umgebuchte Cornelius Meister das Dirigat übernehmen, gewinnbringend nachgearbeitet werden.
Alles in allem eine gute „Tristan“-Premiere auf dem Grünen Hügel von Bayreuth, die Potential für gesteigerte Intensität bietet. Allein das Premieren-Publikum war schon jetzt völlig zufrieden. Man klatschte gleich schon die Schlusstakte hinein, besonders schlimm bei diesem Werk Richard Wagners, und begann sofort mit dem irren Trampeln auf den Holzboden im Sinne des von mir hier schon einmal detailliert geschilderten „Pawlowschen Applauses“. Das hatte nur begrenzte Authentizität. Man beklatschte sicher auch sich selbst, dass man dabei war…
Fotos: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Klaus Billand/29.7.2022