Zum Zweiten
Besuchte Aufführung: 8.6.2019 (Premiere: 23.3.2019)
Emanzipation einer Nixe
Wenig bekannt ist, dass der Komponist Antonin Dvorak immerhin zehn Opern geschrieben hat. Von diesen hat sich indes lediglich die am 31.3.1901 in Prag aus der Taufe gehobene Rusalka durchsetzen können. Dieses lyrische Märchen, wie Dvorak sein Hauptwerk bezeichnete, erfuhr jetzt am Staatstheater Darmstadt eine durchaus beachtliche Neuinszenierung. Leider verzichtete man dabei auf die Tschechische Originalsprache und ließ die Sänger in einer von Bettina Bartz und Werner Hintze geschaffenen deutschen Übertragung singen. Dieses Vorgehen mutete wenig glücklich an, da die in Rede stehende Übersetzung etliche unschöne Ecken und Kanten aufwies. Da ging es oft recht unelegant und wacklig her und teilweise litten sogar schöne musikalische Phrasen darunter. Da die Übertitel gut funktionierten, hätte man das Stück in seiner ursprünglichen Diktion belassen sollen.
Katharina Persicke (Rusalka), Thorsten Büttner (Prinz)
Das Staatstheater Darmstadt hat schon seit jeher eine eher traditionelle Ausrichtung. Moderne Produktionen sind an diesem Haus die Ausnahme. Demgemäß war auch die Inszenierung von Luise Kautz in dem Bühnenbild von Lani Tran-Duc und Hannah Barbara Bachmann s Kostümen eher konventioneller Natur. Der erste Akt wird von einer gebirgsartigen Moorlandschaft geprägt, in der ständig Nebel aufsteigt – ein ästhetisch schönes Bühnenbild, das zudem noch durch mannigfaltige Lichteffekte und gelungene Projektionen unterstützt wird. Hier haben wir es mit einer doch leicht gruseligen Welt zu tun, die das Zuhause von Rusalka, den anderen Nixen und dem Wassermann bildet. Auch surreale Effekte machen sich breit. Der zweite Akt spielt in einem Ballsaal. Beherrscht wird er von drei von der Decke herabhängenden Lüstern, die allmählich ein Eigenleben entwickeln und ständig auf und nieder schweben. Geschickt wird hier mit dem Medusen-Motiv operiert. Im dritten Akt sind sie dann zur Erde gestürzt und bilden gleichsam einen Kerker. Nachhaltig prallen hier die Menschen- und die Nixenwelt aufeinander, wobei letztere ebenfalls im Verfall begriffen ist. Wir haben es gleichsam mit einer Metapher für zwei zerstörte Welten zu tun, deren erfolgreiche Wiedererrichtung zumindest fraglich ist. Rusalkas Unglück hat sich klar ersichtlich auch auf ihre Heimat negativ ausgewirkt. Die Bewohner der Moorlandschaft sind nicht mehr dieselben wie im ersten Akt und wirken nun etwas ramponiert.
Katharina Persicke (Rusalka), Thorsten Büttner (Prinz)
Insgesamt betont Frau Kautz das Märchenhafte der Handlung. Indes inszeniert sie nicht nur brav am Libretto entlang, sondern wartet auch mit so mancher guten Idee auf. Sie deutet die Handlung als Emanzipationsprozess des Wasserwesens Rusalka. Die Titelfigur ist in dieser Deutung ein pubertierendes Mädchen, dessen Identität noch nicht ganz ausgereift ist und das sich in seiner Heimat nicht wohl fühlt. Sie drängt es weg. Für diesen Wunsch ist der Prinz das geeignete Vehikel. Dieser liebt sie indes nicht wirklich, sondern fühlt sich nur sexuell zu ihr hingezogen. Einmal vergewaltigt er Rusalka sogar. Hier lässt die Regisseurin geschickt einen gehörigen Schuss Psychologie einfließen. Rusalka projiziert ihre Wünsche und Sehnsüchte auf den Prinzen, der ihre Gefühle in keiner Weise erwidert und nur ihren Körper begehrt. Echte Gefühle spielen bei Luise Kautz keine Rolle. Sie setzt den Fokus gekonnt auf gegenseitige Projektionen und psychologische Aspekte, was der Inszenierung gut tut. Hier merkt man, dass sie sich über das Werk auch tiefer schürfende Gedanken gemacht hat, deren Umsetzung von der Personenregie her teilweise indes etwas dichter und geschlossener hätte ausfallen können. In der Personenführung stellten sich leider manchmal Leerläufe ein.
Johannes Seokhoon Moon (Wassermann), Rebekka Reister, Gundula Schulte, Maren Favela (Elfen)
Rusalka ist in dieser Lesart ein Wesen, das sich von Anfang an nach Liebe sehnt. Diese bleibt ihr aber verwehrt. Daraus resultiert ihr Wunsch, aus ihrer Umwelt auszubrechen und sich der nüchternen Menschenwelt zuzuwenden. Da es sich bei beiden Welten aber lediglich um Konstrukte handelt, muss ihr Unterfangen letztlich erfolglos bleiben. Auf der anderen Seite macht sie geistig eine nicht unerhebliche Entwicklung durch. Der Erkenntnisprozess, den sie durchläuft, wird seitens der Regie recht eindrucksvoll aufgezeigt. In der Wasserwelt bzw. der Moorlandschaft ist ihr Wesen noch nicht ganz ausgeprägt, weswegen die Realität ihr zu Beginn noch verschlossen bleibt. Erst ihr ausgeprägter Liebeskummer öffnet ihr in der Welt des Prinzen die Augen. Am Ende geht sie gestärkt und emanzipiert aus dem ganzen Geschehen hervor, während der überlebende Prinz überhaupt keine Entwicklung durchmacht. Im dritten Akt ist er durch das Verhalten der fremden Fürstin in eine ausgemachte Krise geraten und erhofft sich von Rusalka Erlösung. Diese bleibt ihm aber verwehrt. Am Ende sehen wir ihn ungereift wie bei seinem ersten Auftritt.
Katharina Persicke (Rusalka)
In der Titelpartie war Katharina Persicke zu erleben, die die Nöte der Rusalka nicht nur darstellerisch glaubhaft darstellte, sondern mit gut sitzendem, ausdrucksstarkem und in der Höhe schön aufblühendem, slawisch gefärbtem lyrischem Sopran auch ansprechend sang. Neben ihr bewährte sich als Prinz Thorsten Büttner. Hier haben wir es mit einem ungemein begabten Tenor zu tun, dessen prachtvolles, bestens italienisch geschultes und obertonreiches Stimmmaterial bei aller an den Tag gelegten lyrischen Noblesse bereits ins dramatische Fach tendiert. Das sollte er indes nicht überstürzen. Wunderbar war auch Johannes Seokhoon Moon, der einen in jeder Lage sauber ansprechenden, hervorragend fokussierten und markanten hellen Bass für den Wassermann mitbrachte. Mit beeindruckendem dramatischem Sopranmaterial und robustem Auftreten gab KS Katrin Gerstenberger eine überzeugende Fremde Fürstin. Mit sonorem Bariton sang David Pichlmaier den Wildhüter. Einen volltönenden Mezzosopran nannte Xiaoyi Xu s Küchenjunge ihr Eigen. Die trefflich singenden Elfen von Rebekka Reister, Gundula Schulte und Maren Favela bildeten einen homogenen Gesamtklang. Der oftmals recht schrill intonierenden Hexe KS Elisabeth Hornung s fehlte es insbesondere in der Höhe an der notwendigen Körperverankerung ihrer Stimme. Auch Michael Pegher verfügte in der kleinen Rolle des Jägers nur über dünnes, kopfiges Tenormaterial. Solide entledigte sich der von Sören Eckhoff einstudierte Opernchor des Staatstheaters Darmstadt seiner Aufgabe.
Einen ausgezeichneten Eindruck hinterließen Dirigent Daniel Cohen und das bestens aufgelegte Staatsorchester Darmstadt. Dynamisch hervorragend abgestuft, differenziert und nuancenreich und dabei niemals überlaut ließen Dirigent und Musiker Dvoraks herrliche Musik sich entfalten. Der von ihnen erzeugte Klangteppich zeichnete sich zudem durch große Intensität aus. Die dramatischen Phrasen erklangen recht kompakt, die lyrischen zart und fein. Das war eine große Leistung!
Ludwig Steinbach, 9.6.2019
Die Bilder stammen von Hans Jörg Michel