Bielefeld: „Aida“, Giuseppe Verdi

Verdis vielleicht berühmteste Oper „Aida“ hatte bereits am 30.11.2019 im Theater Bielefeld eine viel beachtete  und vom Publikum enthusiastisch gefeierte Premiere erlebt. Nun gab es eine Wiederaufnahme, die einer zweiten Premiere gleichkam und vom Publikum mit langanhaltendem Beifall bedacht wurde. Wie sehr die Inszenierung von Nadja Loschky angesichts des schrecklichen Kriegsgeschehens in der Ukraine den Nerv der Zeit trifft, wird dabei vor allem in der Triumphmarsch-Szene deutlich. Von Siegeseuphorie keine Spur. Loschky zeigt die mörderische Brutalität jeglicher kriegerischer Auseinandersetzung mit beklemmenden Bildern. Auf einem Gazevorhang erscheint übergroß das Abbild Aidas, das alle Gefühle widerspiegelt, die Aida bei der Vorführung der gefangenen Äthiopier beim Triumphzug der siegreichen Ägypter mit ihrem Feldherrn Radames empfindet: Freude über die Rückkehr des Geliebten, Trauer, Entsetzen, Schmerz und Verzweiflung über Tod und Verwundung der als Trophäen des Sieges vorgeführten äthiopischen Krieger.

(c) Bettina Stöß

Vor dem Einheitsbühnenbild, das ein burgähnliches graues Gemäuer mit vielen Durchbrüchen, aber auch modernen Neonröhren zeigt (Bühnenbild: Ulrich Leitner), präsentiert die Drehbühne wie auf einem Laufband die barbarischen Folgen des Krieges: Leichen, Verwundete und Gefangene – unter ihnen Aidas Vater Amonasro als König der Äthiopier -, denen Säcke über ihre Köpfe gestülpt worden sind. Eine derartige Umdeutung des Siegestaumels in einen beklemmenden Totenreigen ist sicherlich nicht neu und erinnert in unseren Breiten an Inszenierungen Hilsdorfs in Essen und Bonn, gewinnt in der Umsetzung durch Loschky aber eine besonders beeindruckende, oder besser erschütternde Wirkung. Ansonsten erzählt die Regisseurin das dramatische Geschehen um die schließlich in die Katastrophe  führende Dreiecksbeziehung zwischen Aida, Amneris und Radames einsichtig und ohne verstörende Subtexte. Die teils historisierenden, teils modernen Kostüme (Ulrich Leitner) verorten das Geschehen im allgemeingültig Ungefähren des Einst und Jetzt. Gezeigt wird eine Welt, die geprägt ist von Liebe, Aufopferung, Treue und Versöhnungsbereitschaft auf der einen Seite, von Eifersucht, Hass, Unversöhnlichkeit und militaristischem Denken auf der anderen Seite.
Dieser Gegensatz wird schon äußerlich in der Farbgebung der Kostüme (Irina Spreckelmeyer) deutlich. Amneris trägt ein langes schwarzes, Aida ein weißes, beinahe folkloristisches Kleid. Die Tochter Amonasros ist eindeutig das Gegenbild der rachsüchtigen Amneris. So widersteht sie auch dem durch die Regisseurin in die Handlung interpolierten Ansinnen der Begleiterinnen der Pharaonentochter, Amneris zu erdolchen. Dass sie durch ihren Vater in einer beispiellosen, von falschem Patriotismus getriebenen Erpressung ihre Liebe zu Radames der Staatsraison opfert, ist in der Lesart Loschkys nicht ihr anzurechnen. Und auch Amneris erscheint am Schluss als Opfer. Auch ihr Lebensglück ist zerstört, alle Versuche, das Unheil abzuwenden, scheitern an der Unerbittlichkeit der unheiligen Allianz von Thron und Altar. Der gemeinsame Liebestod von Aida und Radames erhellt da nur unwesentlich das düstere, verhängnisvolle Geschehen.
Mögen auch einige Details der Inszenierung irritieren – Warum bleibt der König stumm und einer der drei ihn umgebenden Hofschranzen singt seinen Part? Ist es im Sinne einer Ver-deutlichung wirklich notwendig, immer wieder durch Doppelung der Figuren und Paral-lelhandlungen eine Kommentarebene einzuziehen? -, so bietet Loschky insgesamt doch eine sehr überzeugende Regiearbeit, die immer wieder verstörende, tief bewegende Akzente setzt.

(c) Bettina Stöß

Premierenstatus gewann die Aufführung vor allem dadurch, dass bis auf die Partie des Amonasro alle anderen Hauptpartien neu besetzt waren. Hier kann man den Verantwortlichen am Bielefelder Theater nur für ihre glückliche Hand gratulieren.

Die Entdeckung des Abends war der junge koreanische Tenor Young Woo Kim, der in Bielefeld mit der Rolle des Radames ein grandioses Debut gab. Noch vor wenigen Jahren Mitglied des „Internationalen Opernstudios der Oper Köln“ und inzwischen festes Ensemblemitglieder der Kölner Oper, wo er u.a. als Don José und Faust in Gounods gleichnamiger Oper brillierte, steht Young Woo Kim inzwischen auf den Besetzungszetteln zahlreicher Intendanten. Gastspiele an der Hamburger Staatsoper als Cavaradossi, den er auch in der neuen Spielzeit in Köln verkörpern wird, oder in London als Bacchus in Strauss‘ Oper „Ariadne auf Naxos“ belegen, dass man nicht nur in Köln um die Qualitäten dieses wunderbaren Sängers weiß. In Bielefeld blieb Young Woo Kim der anspruchsvollen Partie des Radames jedenfalls nichts schuldig. Schon die große Anfangsarie „Celeste Aida“ dokumentierte, über welch kraftvolle, in allen Lagen warm timbrierte, leuchtende Tenorstimme der junge Koreaner verfügt. Nicht nur das große Duett zwischen Aida und Radames in der Nilszene des 3. Aktes, sondern ganz besonders die Auseinandersetzung zwischen Amneris und Radames im 4. Akt bewiesen im weiteren Verlauf dieses Abends die großartigen sängerischen, aber auch schauspielerischen Möglichkeiten des jungen Tenors. Wenn man weiß, dass einst Sandor Konya in Bielefeld nicht nur seinen ersten Lohengrin, sondern auch seinen ersten Radames gesungen hat, dann mag man hierin ein verheißungsvolles Omen für die weitere Karriere Young Woo Kims erblicken.
Young Woo Kim ebenbürtig war vor allem Julia Faylenbogen als Amneris. Die Mezzosopranistin ist nach ihrem Engagement in Hannover mittlerweile festes Ensemblemitglied in Mannheim. Sie gestaltet in Spiel und Gesang die wie von Furien gehetzte Pharaonentochter mit einer Intensität, Differenziertheit und emotionalen Wucht, dass es einem schier den Atem verschlägt. Das erste Bild des 4. Aktes wird auf diese Weise zu einem weiteren Höhepunkt der ganzen Aufführung. Eine wirklich bewundernswerte Leistung.

Die Amerikanerin Mary Elizabeth Williams als Aida erscheint in Stimmfärbung und Rollengestaltung als eine ideale Verkörperung der Titelfigur. Besonders in den tiefen und mittleren Lagen besticht die Sängerin mit ihrem warm flutenden, hoch dramatischen Sopran. Es ist nicht verwunderlich, dass Frau Williams noch im Februar an der Opéra Bastille in Paris die Isolde in Wagners „Tristan und Isolde“ gesungen hat. In den Ensembleszenen überstrahlt sie mühelos Orchester und Chor und liefert auch in ihren großen beiden Arien „Ritorna vincitor“ im 1. Akt und „O patria mia“ in der Nilszene ein bewegendes Rollenportrait ab. Dass gerade in der Nilszene der hohe Ton erst im zweiten Anlauf gelingt, schmälert nicht die ansonsten superbe Leistung.

(c) Bettina Stöß

Evgueniy Alexiev als besonders schauspielerisch überzeugender Amonasro, Moon Soo Park als sonorer Ramphis, Yoshiaki Kimura als Stimme des Königs und ganz besonders Lou Denès in der kleinen Rolle der Tempelsängerin fügten sich in das insgesamt brillante Sängerinnen- und Sängerensemble  gewinnbringend ein. Bielefelds GMD Alexander Kaladjdzic leitete den Bielefelder Chor und Extrachor sowie die Bielefelder Philharmoniker sängerfreundlich und mit großem Einfühlungsvermögen. Besonders beim Triumphmarsch und auch im 4. Akt gewann seine Interpretation dann deutlich an Feuer und Dramatik. Dabei gilt ein besonderes Lob den Bläsern, die man selbst an großen Opernhäusern selten so differenziert und klangrein hört.

Das Publikum im nahezu ausverkauften Haus bedachte alle Beteiligten mit riesigem Beifall. Ganz besonders wurden aber Young Woo Kim und Julia Faylenbogen für ihre wirklich außergewöhnliche Leistung an diesem Abend geradezu stürmisch gefeiert. Mein Tipp: Diese „Aida“ in Bielefeld sollte sich kein Opernfan entgehen lassen.

Norbert Pabelick 2. März 2023


„Aida“ Giuseppe Verdi

Theater Bielefeld

Premiere 30. November 2019

Besuchte Aufführung: 25. Februar 2023

Regisseurin: Nadja Loschky

Bühne: Ulrich Leitner

Chor: Hagen Enke

Dirigat: Alexander Kalajdzic

Bielefelder Philharmoniker

Weitere Aufführungen: 4./8./21.03.2023