Um die hundertste Wiederkehr des Geburtstags von Franco Zeffirelli, verstorben 2019, zu feiern, setzte die Scala acht Aufführungen seiner Maßstäbe setzenden, weltweit bekannten „Bohème“-Inszenierung an. 1963 an der Scala aus der Taufe gehoben und noch im selben Jahr auch in Wien zu sehen, erfuhr die Produktion immer wieder kleine, von Zeffirelli selbst vorgenommene Änderungen, die teils auch von seiner Regiearbeit für die Met beeinflusst waren. So war zum Beispiel im 3. Akt anstelle der Bank, auf welcher Mimì und Rodolfo ihr Duett singen, ein Brunnen mit gefrorenem Wasser zu sehen. Überhaupt war dies die Szene, wo die meisten Details verändert wurden, die Marktfrauen und durch den Schnee stolpernden Menschen anders angeordnet waren.
Marco Gandini, Zeffirellis Regieassistent, hatte wieder gute Arbeit geleistet, was sich in der sehr präzisen Personenführung niederschlug und den vielen sorgfältigen Details im so bewegten 2. Akt, wie etwa einem Schnellzeichner. Verwunderlich bleibt allerdings, dass nach der Pause zwischen dem 2. und dem 3. Akt eine ebenso lange zwischen dem 3. und dem 4. stattfindet, was der Atmosphäre in keiner Weise förderlich ist.
Die musikalische Leitung hatte Eun Sun Kim, der ein energischer Zugriff bestäigt werden kann, aber leider auch eine Vorliebe für große Lautstärke vorgeworfen werden muss. Wenn Marcellos „Coraggio“ am Schluss des Werks in den Orchesterwogen untergeht, stimmt etwas nicht. Und in den heiklen Massenszenen zu Beginn des 2. Akts gab es einen Wackler zwischen Orchester und (dem ansonsten ausgezeichneten, von Alberto Malazzi einstudierten) Chor.
Da ich ihn nur vom Streaming der Wiener „Butterfly“ kannte, galt meine Neugierde galt vor allem dem Rodolfo von Freddie De Tommaso, dem Covid im Vorjahr einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, als er hier in „Adriana Lecouvreur“ debütieren sollte. Die Stimme ist nicht nur voluminös, sondern hat auch ein strahlendes, genuin tenorales Timbre, und über die Technik kann nicht geklagt werden. Allerdings übertrieb er es an diesem Abend mit endlosen Fermaten, die schon fast zum Kapitel „schlechter Geschmack“ gehören. Szenisch tat er, was ihm aufgetragen worden war, mehr nicht, sodass seine Gestaltung des Poeten nicht sonderlich berührte. Allerdings hatte er in Marina Rebeka auch eine Mimi, die wenig Rührung auslöste. Zu kalt ist das Timbre der Sängerin, die meines Erachtens in Belcanto-Opern besser aufgehoben ist.
Die Musetta von Irina Lungu litt in ihrem Walzer unter einigen schrillen Tönen, gab der Gestalt aber das ihr zustehende Profil. Die nächsten vier Vorstellungen wird Lungu die Mimi singen, und als Musette wird Mariam Battistelli zu hören sein. Luca Micheletti ließ sich als indisponiert ansagen, kämpfte aber tapfer mit seiner im Laufe des Abends rauer werdende Stimme und war schauspielerisch ein ausgezeichneter Marcello. Überzeugend im weiteren Alessio Arduini (Schaunard), Jongmin Park mit ausladendem Bass und Andrea Concetti (Benoit und Alcindoro).
Heftiger, aber kurzer Beifall zum Schluss – während der Aufführung wurden nur die Arien beklatscht, während „Donde lieta…“ und das Duett Rodolfo-Marcello unbedankt blieben.
Eva Pleus, 17. März 2023
Giacomo Puccini
„La Bohème“
Teatro alla Scala
Premiere: 4. März 2023
Besuchte Vorstellung: 14. März 2023
Regie und Bühnenbild: Franco Zeffirelli
Regie der Wiederaufnahme: Marco Gandini
Musikalische Leitung: Eun Sun Kim
Kostüme: Piero Tosi / Anna Biagiotti
Chorleitung: Alberto Malazzi
Orchestra del Teatro alla Scala
Bilder: Brescia & Amisano / Teatro alla Scala