Hamburg: „Tosca“, Giacomo Puccini

Wenn man in eine „Tosca“-Aufführung geht, zumal wenn es sich um eine ältere Inszenierung wie die von Robert Carsen aus dem Jahr 2000 (Bühnenbild und Kostüme: Anthony Ward) handelt, dann steht natürlich im Raum, wie leidenschaftlich die Titelheldin ihre Liebe und Eifersucht gestalten, auch wie heroisch und standhaft Cavaradossi seine Überzeugung verteidigen wird. Seien wir ehrlich – am meisten gespannt sind wir doch alle, wie fies der Scarpia seine Ränke spinnen wird und wie brutal sein hässliches Wesen sich in der jeweiligen Interpretation äußern mag.

Entgegen der Courtoisie, die der Dame den Vorrang lässt, erfolgt an dieser Stelle tatsächlich zuerst die Würdigung von Gesang und Spiel des uruguayischen Bassbaritons Erwin Schrott am Abend des 30. März in der Hamburger Staatsoper. Sein „Scarpia“ ist von erlesener Bosheit, was allein schon an seiner umfangreichen, wandlungsfähigen und überaus starken Stimme liegt. Bereits der erste Ton bei seinem Auftritt in der Kathedrale dringt mächtig in die letzten Ritzen des Opernsaales und niemand zweifelt daran, daß dieser Polizeichef alles unter Kontrolle hat, mit welchen ruchlosen Mitteln auch immer.

(c) Arno Declair*

Schrott moduliert das Libretto mit natürlichen Silbenbetonungen, sodass der Text eine erschreckende Lebendigkeit erhält. Er wechselt gekonnt vom reinen Gesang immer wieder in eine Art Parlando und spielt mit den Dynamiken, was gerade die scharfen Töne seiner Äußerungen sowohl inhaltlich als auch von der Intonation her besonders ausfeilt und die ganze Unbarmherzigkeit dieser Rolle erlebbar macht. Seine Arie „Ha più forte sapore“, die seine Menschen- und vor allem Frauenverachtung aufs Unsympathischste offenlegt, eröffnet den Blick in seine sadistische Seele. Ja, so einen Typen will man gerne so bald als möglich unschädlich machen und das tut Tosca bekanntlich im zweiten Akt. Natalya Romaniw singt die Heldin mit großer Leidenschaft; Begehren, Eifersucht, Angst und vor allem widerständige Trotzigkeit erhalten in ihrem Vortrag greifbare Intensität. Die Sopranistin ist in allen Färbungen der Partie nicht nur überzeugend voluminös, sondern auch in jeder noch so hohen Lage bewundernswert sicher. Ihr „Vissi d´arte“ geht denen zu Herzen, die fühlen, lieben, sehnen können. Das vermag Scarpia eben nicht und so erdolcht sie ihn, bevor er sie vergewaltigen kann. Der Dolchstoß ist in der Umsetzung aber eher ein Piks – gerade, wenn man einen solchen Partner wie den spielfreudigen Erwin Schrott hat, könnte sich die Tosca da gerne mehr ins Zeug legen. So verbleibt ihre darstellerische Leistung eher statuarisch und im Ansatz, so makellos ihr Gesang auch ist.

Stefan Pop als Cavaradossi gibt all der Innigkeit, Aufrichtigkeit und Stärke durch seinen Glauben an eine bessere Welt farbenreichen Ausdruck. Natürlich sind es solche Arien wie „E lucevan le stelle“, die er mit seinem gefühlvollen Schmelz aufblühen lässt, aber auch sein mutiges Widerstehen gegen den Terror der Staatsmacht nimmt man ihm in jeder Sekunde ab. Seine tenoralen Höhen sind voller Hingabe, aber er vermag es auch, männlich und füllig zu klingen. Eine tiefe Fülle voller seelenvollem Ausdruck der Angst im Moment der Verfolgung mag man gerne auch Blake Denson als Angelotti bescheinigen. Wer diesem Bass beim Schluss Applaus für seine Leistung zu Recht applaudieren wollte, vermisste ihn voller Bedauern. Mußte er schon früher gehen, ebenso wie die Mitglieder des absolut überzeugenden Chores in der Einstudierung von Christian Günther?

(c) Arno Declair*

Schade, all diesen Stimmen, auch David Minseok Kang (Sagrestano), Claire Gascoin (Un Pastore) und Leo Yeun-Ku Chu (Un Carceriere), hätte man gerne den gebührenden Beifall beschert; wenigstens Peter Galliard (Spoletta) und Liam James Karai (Sciaronne) traten am Ende mit vor den Vorhang.

Das Publikum verhielt sich an diesem Abend leidlich diszipliniert und es gab nur wenige Huster oder Geflüster. Was wirklich störte, war ein angetrunkener Typ, der sich nach der Pause entweder in das Opernhaus geschlichen oder von einem der oberen Ränge in Reihe 15 gestohlen hatte und die unablässigen Geräusche und Kommentare von sich gab. Auch durch nachhaltiges Anzischen war er nicht zu beruhigen, beim brandenden Schluss Applaus wankte er schließlich zur Türe. Hier wäre mehr Aufmerksamkeit seitens der Sicherheitskräfte wünschenswert.

Solche Störungen konnten aber nicht wirklich das Erlebnis eines großartigen Opernabends in erstklassiger Besetzung mindern. Herzliche „Bravi!“ an alle Beteiligten!

Andreas Ströbl, 1. April 2023


Giacomo Puccini

Tosca

Staatsoper Hamburg

30. März 2023

Musikalische Leitung: Stefano Ranzani

Inszenierung: Robert Carsen

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

*Bilder von der Premiere – leider keine aktuellen Bilder