Hamburg: „Lady Macbeth von Mzensk“, Dmitri Schostakowitsch

Die Handlung der Oper Lady Macbeth von Mzensk von Dmitri Schostakowitsch bietet „Sex and Crime“ pur: Vergewaltigung, Ehebruch, Brutalität und Mord sind die äußerlichen Zutaten. Katerina Ismailowa lässt sich auf ein Verhältnis mit Sergei ein, einem Arbeiter im Betrieb ihres Schwiegervaters Boris.  Dieser Boris ist ein bigotter, brutaler und geiler Tyrann. Katarina vergiftet ihn. Und zusammen mit Sergei bringt sie ihren Mann Sinowij um, der von einer Reise zurückkehrt.  Die Taten werden entdeckt, Katerina und Sergei in die Verbannung geschickt. Als Sergei sich der Mitgefangenen Sonjetka zuwendet, tötet Katerina erst ihre Rivalin und dann sich selbst.

(c) Monika Rittershaus

Die russische Film-Regisseurin Angelina Nikonova zeigt in ihrer ersten Operninszenierung diese Handlungselemente in aller Deutlichkeit, allerdings nie plakativ oder voyeuristisch. So wird etwa der Liebesakt von Katerina und Sergei von einer Art Paravent verdeckt, auf den einzelne, wie entfesselt spielende Musiker projiziert werden. Auch die Vergewaltigung der Köchin wird eher angedeutet. Die Musik sagt ohnehin sehr deutlich, was da gerade passiert. Ihre Inszenierung kommt ganz ohne Effekthascherei aus, erzählt die Geschichte von Katerinas Verzweiflung und Sehnsüchten völlig ohne überflüssige Zutaten und erzielt gerade dadurch eine tief berührende Wirkung. Ihre Personenführung lotet die Psyche jeder Figur punktgenau aus. Sie zeigt, dass Katerina nicht nur auf der Suche nach ihrem Glück über Leichen geht, sondern dass sie auch Opfer der Verhältnisse ist. So wird sie von ihrem schmierigen und notgeilen Schwiegervater Boris ständig gedemütigt, belauert und mittels Videokameras auf Schritt und Tritt überwacht. Immerhin scheint ihr Liebhaber Sergei zunächst echte Gefühle für sie zu haben, bevor er sich am Schluss doch als triebgesteuerter Egomane entpuppt. Die Szenen mit der Polizeitruppe und auch die mit dem Popen gestaltet sie mit feiner Ironie und erfüllt damit die Vorstellungen des Komponisten. Großartig setzt sie den Tod des Boris und den anschließenden Trauerzug in Szene, eine gespenstische Stimmung erzeugt sie, wenn Katerina in einer Halluzination der tote Boris erscheint. Es ist eine Inszenierung, die mit vielen Details ohne Einschränkungen überzeugt.

(c) Monika Rittershaus

Eine entscheidenden Anteil haben auch das Bühnenbild und die Kostüme von Varvara Timofeeva: Ein ländlicher Gutshof, auf den fast romantisch die Schneeflocken rieseln und auf dem die Arbeiter eifrig herumwuseln. Es ist ein helles, freundliches Ambiente, das über die Schrecken hinwegtäuscht. Im Hintergrund zeigen Landschaftsvideos  den Wechsel der Jahreszeiten – Frühling, bedrohliche Gewitterstürme oder am Ende treibende Eisschollen. Die Lichtstimmungen von Igor Fomin illuminieren das meisterhaft.

Meisterhaft gelingt auch die musikalische Seite. Da gibt es in dem von Camilla Nylund als Katerina angeführten Ensemble keinen Schwachpunkt. Nylund erfüllt mit ihrem an Wagner und Straus bewährten Sopran und ihrer außergewöhnlichen Bühnenpräsenz alle Anforderungen der Partie. Gesanglich und darstellerisch kann sie alle Gefühle der Katerina, von Sehnsucht bis Abscheu, von Angst und Verzweiflung bis hin zu zärtlicher Liebe in ausdrucksstarken Gesang mit oft dramatisch geführtem Sopran umsetzen. Mit Dmitry Golovnin steht für ihren Liebhaber Sergei ein Sänger zur Verfügung, der mit expressivem Tenor durchweg beeindruckt. Glanzlichter setzen u. a. auch Alexander Roslavets als Boris, Tigran Martirossian als Pope, Vincent Wolfsteiner als Sinowij, Marta Świderska als Sonjetka oder Karl Huml als Polizeichef – eine beeindruckende Ensembleleistung.

(c) Monika Rittershaus

Der Chor der Staatsoper Hamburg (in der Einstudierung von Eberhard Friedrich) zeigt schon gleich in der ersten Szene mit überwältigendem Klangvolumen seine Sonderklasse.

Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg spielt unter Kent Nagano in Höchstform. Kraft und rhythmische Energie, aber auch subtilere Klänge, etwa wenn die Musik am Ende ins fast Unhörbare verdämmert, werden optimal umgesetzt. Die Zwischenspiele geraten zu klangopulenten Miniaturen, teils mit Schroffheiten und immer mit schillernden Farben.

Wolfgang Denker,  23. Januar 2023


„Lady Macbeth von Mzensk”

Dmitri Schostakowitsch

Staatsoper Hamburg

Besuchte Premiere am 22. Januar 2023

Inszenierung: Angelina Nikonova

Ausstattung: Varvara Timofeeva

Musikalische Leitung: Kent Nagano

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Weitere Vorstellungen: 25., 28., 31. Januar, 4., 8. Februar 2023