Dresden: 6. Symphonie-Konzert der Saison 2019/20

Schicksals-Symphonie?

13. Januar 2020 in der Semperoper

Beethovens vierte Symphonie war über lange Zeit seltsamer Weise vergessen Dabei gehörte sie zu Lebzeiten zu seinem erfolgreichsten symphonischen Werk. Als er die Symphonie komponierte, galt er als heiter, zu jedem Scherz aufgelegt, frohsinnig, munter, lebenslustig und nicht selten satirisch. Verursacht wurde diese Stimmung durch seine Verliebtheit in die Gräfin Josephine Brunsvik (1779-1821), mit der er von 1804 bis 1809 glühende Liebesbriefe austauschte. Einer von Beethoven angestrebte Ehe widersetzte sich die Familie der bereits aus erster Ehe verwitweten Josephine. Diese akzeptierte die Familienentscheidung, weil sie ansonsten das Sorgerecht der vier Kinder aus dieser ersten Ehe und den Hauptteil ihres Vermögens verloren hätte. Die Verbindung mit Beethoven blieb aber offenbar bestehen, denn Josephine gilt als wahrscheinliche Adressatin der „Briefe an meine unsterbliche Geliebte“. Auch bei der unehelichen Tochter Josephines, Minona von Stackelberg (1813-1897), wird Beethovens Vaterschaft vermutet.

Ludwig van Beethoven komponierte seine B-Dur-Symphonie op. 60 vermutlich ziemlich zügig von 1805 bis zum Herbst 1806, parallel der Arbeit zur fünften Symphonie. Mit dem Schwung frischer Verliebtheit entstanden, scheint die gelöst-romantische Komposition nicht so recht in das sonstige Wesen des eher faustischen Beethoven zu passen.

Christian Thielemann interpretierte die im Zusammenspiel heikle B-Dur-Symphonie wie aus einem Guss. Mit der langsamen Einführung brillierten die Musiker der Staatskapelle mit Präzision und einer Vielzahl der Klangfarben, bis sich die Szene mit dem Allegro vivace endlich auflichtete. Die beiden Mittelsätze ließ Thielemann einfach schön und energisch spielen. Der zweite Satz wurde mit äußerster Sorgfalt für Phrasierung und Klangnuancen dargeboten, während der dritte mit mustergültigen Übergängen, berückenden Schattierungen und makellosen Soli zu hören war. Der Finalsatz, von Beethoven als Huldigung Haydns angelegt, wurde als musikalischer Gegensatz einer klaren Linie der Streicher mit der Virtuosität insbesondere der Holzbläser dargeboten.

Im Gegensatz zur vierten Symphonie arbeitete Beethoven an seiner C-Moll-Symphonie fast acht Jahre, wenn man die aus dem Jahre 1800 stammenden Notizen einbezieht. Konkrete Aufzeichnungen des Komponisten zur Auseinandersetzung mit der „Idee vom Schicksal“ enthält sein Skizzenbuch vom Februar und März 1804. Es folgten vier Jahre des Ringens um die gültige Formung des entworfenen, wieder verworfenen und neu geformten Materials. Es waren vier Jahre der immer wieder unterbrochenen und wieder aufgenommenen Arbeit, die aber auch angefüllt vom schöpferischen Wirken in anderen Formen gewesen sind, so der vierten B-Dur- und der sechsten F-Dur-Symphonien.

Konsequent strebte Beethoven nach Neuem in seinem, neben der Neunten, populärstem Werk. Ob der Begriff „Schicksalssinfonie“ tatsächlich von Beethoven geprägt worden ist, wird inzwischen bezweifelt. Möglicherweise hat der etwas zwielichtige Geiger Anton Schindler (1795-1864), der ab 1822 Sekretärs-Dienste bei Beethoven übernommen hatte, seine Finger im Spiel gehabt, um eine besondere Vertrautheit zu mit herauszustellen.

Christian Thielemann dirigierte im zweiten Konzert seines Dresdner Beethovenzyklus eine moderne, bisher in dieser Form noch nie gehörte c-Moll-Sinfonie. Da waren wenige Anklänge an das „Schicksal“ zu hören, denn der Schicksalsbegriff schließt Passivität ein. Auch die Dresdner Interpretation kann die Irrungen und Wirrungen der langen Entstehungszeit der Komposition nicht ignorieren. Aber die Entwicklung der Klangräume führte letztlich zu einem hellen Finale, bei dem alles Vergangene, Düstere, Zweifelnde, Grüblerische vertrieben ist.

Mit den phantastischen Möglichkeiten der sächsischen Staatskapelle entwickelt Thielemann den ersten Satz (Allegro con brio) vom Dämonischen zum Enthusiastischen. Die klagenden Stimmen der Holzbläser erinnerten am Satzschluss, dass die Auseinandersetzung noch nicht beendet ist. Fast beschwichtigend war, auf den Marschcharakter weitgehend verzichtend, der zweite Satz zunächst ruhig und bewegt gestaltet. Danach sind neben den hervorragenden Streichern mit beeindruckenden Tempowechseln mal Blech- und mal Holzbläser eingesetzt, bevor mit dem Allegro-Satz eine düstere, scheinbare Restauration der Kräfte der Finsternis angedeutet wurde. Beeindruckend antworteten im Wechsel die Streichermit den Holzbläsern, der Pauke von Manuel Westermann sowie den Blechbläsern um Zoltán Mácsai, Helmut Fuchs und Jonathan Nuss. Ein prachtvolles Flötensolo von Andreas Kißling führte zur Gewissheit des Sieges der Kraft des Neuen und Humanen.

Wie ein elementares Ereignis lässt Christian Thielemann mit der Entwicklung einer Fülle von stürmisch vorwärtsdrängenden Motiven im Finale eine klare, fast tagespolitisch notwendige „Siegessinfonie“ auferstehen.

Mit heftigen, stehenden Ovationen danken die Zuhörer den Musikern der Staatskapelle und vor allem ihrem Chefdirigenten bis der Konzertmeister Nathan Giem seine erschöpften Kollegen vom Podium entlässt.

Unter dem Aspekt “Schicksals-Symphonie“ hatte ich mir zwischen Generalprobe und Konzert meine persönlichen „Beethoven-Referenz-Aufnahmen“ des Gewandhausorchesters Leipzig herausgesucht. Mit dem Wissen von heute beschlich mich der Verdacht beim Nachhören der ETERNA-Mono-Einspielungen von 1960, dass damals Franz Konwitschny schon seine Zweifel an der Bedeutung des Schicksals in der Beethoven-Komposition hatte.

Thomas Thielemann, 14.1.2020

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