Premiere: 14.02.2020
Die Liebe ist ein seltsames Spiel
Im Jahre 1735 fand im Londoner Theatre Royal Covent Garden die Uraufführung der Oper „Alcina“ von Georg Friedrich Händel statt. Da seinerzeit moralisch noch stark auf überzogen frivole Handlungen geachtet wurde, fanden viele Opern dieser Zeit in einer Zauberwelt statt, denn hier waren Dinge erlaubt, die in der realen Welt relativ sicher für eine Zensur des Werkes gesorgt hätten. So ist auch Alcina eine Zauberin, die sich auf einer relativ einsamen Insel mit ihren Liebhabern vergnügt und diese später in Tiere verwandelt. Letzteres zählt in Düsseldorf im Übrigen zu einer großen Schwäche der Inszenierung, doch dazu später mehr. Aktuell ist Ruggiero Alcinas Auserwählter, in den sich die Zauberin dieses Mal sogar wahrhaft verliebt hat. Ausgerechnet jetzt kommt seine Verlobte Bradamante in Begleitung ihres Vertrauten Melisso auf der Insel an, um Ruggiero aus den Fängen der Zauberin zu befreien. Hierzu verkleidet sie sich als ihr eigener Zwillingsbruder Ricciardo, in den sich wiederum Alcinas Schwester Morgana sofort verliebt. Dies ruft nun wiederum Oronte auf den Plan, Morganas eifersüchtiger Geliebter. Man merkt bereits, die Lage ist verzwickt.
An diesem Punkt setzt nun Lotte de Beer mit ihrer Inszenierung ein. Es stellt sich zum einen die Frage, welches Interesse hat die Liebe? Ist es eher die selbstsüchtige Verfolgung eigener Zwecke, hier in Form von Alcina, die den Mann besitzen und dominieren will oder eher die reine selbstlose Liebe von Bradamante, die diese Reise in erster Linie auf sich genommen hat, um ihren Geliebten von einem bösen Zauber zu befreien? Hieran anschließend stellt sich die Frage, warum ist Alcina so geworden wie sie nun ist? Genau diese Hauptfrage wird dem Zuschauer aber leider nur etwas bruchstückhaft beantwortet. Immer wieder begegnet dem Zuschauer in der Inszenierung eine alte Frau in ähnlicher Kleidung zu Alcina. Diese wird von Angelika Richter ausdrucksstark verkörpert, am Ende bleibt sie gar einsam und verlassen auf der Bühne zurück. Ein durchaus starkes Schlussbild und der Zuschauer kann wohl erahnen, dass wir auch in der alten Dame die Zauberin erkennen können. Zudem gibt es einige junge Mädchen, die hierzu das Gegenstück bilden und denen von einigen Männern, zum Glück nur angedeutet, unschön mitgespielt wird. Gehen wir mal davon aus, dass dies die junge Alcina darstellen soll, die daraufhin Rache an der Männerwelt nehmen wollte. Fraglich bleibt dann aber doch, warum auch Alcinas Schwester Morgana teilweise ähnlich gekleidet war.
Sei es drum. Das durchaus sinnige Regiekonzept hat einige Stärken und leider auch seine Schwächen. Eine große Stärke ist sicher die glaubhafte Veränderung Alcinas und eine im Großen und Ganzen gelungene Personenführung. Auch dass man die Liebe als den wahren Zauber offenbart und so erklärt, warum Alcinas Zauberkräfte durch die erloschene Liebe dahinschwinden macht Sinn und kann überzeugen. Weniger gut gelungen ist dagegen die bereits erwähnte nicht zufriedenstellend gelöste Hauptfrage sowie die Darstellung der verzauberten Männer, die in silbernen Gummistiefeln, Unterhose und mit einer Tüte über dem Kopf über die Bühne kriechen. Kein weiterer Kommentar hierzu.
Dagegen kann das Bühnenbild vor der Pause durchaus überzeugen. Während der Ouvertüre erscheinen nach und nach in typischer fettFilm-Manier gezeichnete Blumen auf langen Laken, die dann nach oben gezogen werden und scheinbar gar nicht enden wollen. Ein stimmiger Effekt am Anfang, bevor sich der Blick auf die Zauberinsel offenbart. Hier setzt Bühnenbildner Christof Hetzer auf eine Art Luxusbungalow mit angeschlossenem Garten. Das ist nett anzuschauen und auch das Lichtkonzept von Alex Brok sei an dieser Stelle ausdrücklich zu nennen, denn in Verbindung mit den im Hintergrund projizierten Tages- und Abendstimmungen passt hier einfach alles ganz wunderbar zusammen.
Auch die Kostüme von Jorine van Beek passen hier gut hinein, allerdings sind sie in dieser oder ähnlicher Art sicher in den verschiedensten Opern schon vorgekommen. Nach der Pause ist es mit der optischen Pracht dann allerdings vorbei, allerdings heißt es schon in einer Regieanweisung des Librettos: „Der ganze Raum verändert sich und wird zu einem abscheulichen und verlassenen Ort.“ Nun gut, abscheulich ist es nun zum Glück dann auch nicht, aber vom Bühnenbild bleiben nur noch Bruchstücke zurück und der zweite Teil des Abends konzentriert sich dann voll auf die Entflechtung aller Personenkonstellationen der Oper. Unter der musikalischen Leitung von Axel Kober spielt die Neue Düsseldorfer Hofmusik, was für einen schönen Barock-Klang sorgt.
Kommen wir damit abschließend zu der Besetzung, dem Höhepunkt des Abends, die in diesem Fall von den Damen dominiert wird. Jacquelyn Wagner bringt den Abstieg Alcinas von der selbstbewussten Zauberin in ihrer ersten Arie bis zur totalen Einsamkeit am Ende des Werkes glaubhaft und stimmgewaltig auf die Bühne, hier sitzt jeder Ton perfekt und harmoniert wunderbar mit der Musik.
Maria Kataeva gibt ihren Liebhaber Ruggiero ebenfalls mit viel Spielfreude und verleiht der Hosenrolle ein passendes Profil. Als Bradamante überzeugt die irisch-kanadische Mezzosopranistin Wallis Giunta mit wunderbaren Koloraturen. Als Morgana war an sich Elena Sancho Pereg vorgesehen, die krankheitsbedingt leider kurzfristig ersetzt werden musste. Mit der israelischen Sopranistin Shira Patchornik vom Hessischen Staatstheater Wiesbaden hat man allerdings eine hervorragende Besetzung gefunden, die sich in nur einer (General-)Probe die Rolle aneignen musste. Das dies aber zu keiner Zeit auffiel spricht für die Qualität der gebotenen Leistung, alle vier Damen waren hier ganz hervorragend, was das Premierenpublikum auch mit langem Applaus bedachte. Auch die weiteren Rollen waren mit Andrés Sulbarán als Oronte, Benjamin Pop als Melisso und Maria Carla Pino Cury als Kind Oberto auf der Suche nach seinem Vater passend besetzt. Am Ende spendete das Publikum allen Darstellern und dem Regieteam lautstark Applaus.
Markus Lamers, 15.02.2020
Bilder: © Jochen Quast