Gelsenkirchen: „Schwanda – Der Dudelsackpfeifer“, Jaromír Weinberger

Premiere am 15.6.2019

Herrlich charmante Märchenoper endlich wiedererweckt!

Jaromír Weinberger zählt zu den verbrannten Komponisten des Dritten Reiches, die leider bis heute nicht gebührend rehabilitiert wurden, daher gebührt dem Gelsenkirchener Intendanten Michael Schulz großer Respekt und Dank für diese wunderbare Ausgrabung einer herrlichen Oper, die eigentlich in jedes Repertoire gehört und sogar als Kinder/Jugendoper erheblich besser geeignet wäre, als die omnipotente unvermeidliche jährliche kitschige Weihnachtsbäckerei von Hänsel und Gretel.

Weinberger hat eine tschechische Volksoper im tonalen Stil geschrieben, die musikalische Sprache erinnert an Dvorak, Smetana, Humperdinck – aber auch Janacek, Debussy, Brahms, Mahler und Reger – sogar Puccini, Strauß und Schreker kann man heraushören. Dennoch ist es kein reines Konglomerat oder Sammelsurium an Stilen, sondern Weinberger hat eine eigene unverwechselbare effektvoll höchst unterhaltsame Musiksprache entwickelt, die sogar gelegentlich jazzige Rhythmen aufbietet.

Nach der noch nicht ganz so erfolgreichen Uraufführung in Prag 1927 startete die Oper über München und Breslau einen Siegeszug durch ganz Europa, der bis nach New York an die Met und nach Buenos Aires führte. In der textlichen Bearbeitung von Max Brod, der auch für die deutsche Übersetzung verantwortlich war, wurde das Stück – in immerhin 17 (!) Sprachen übersetzt – ein Riesenerfolg und bis 1933 über 2000 Mal aufgeführt. Dann im braunen Gedünst verschwand es komplett von den Spielplänen. Weinberger musste als Jude mit der Familie vor den Nazischergen in die USA flüchten. Dort lebte er wie viele seiner ebenfalls migrierten Komponisten-Freunde in ärmlichen Verhältnissen. Seine verdienten Tantiemen konnte er erst viele Jahre nach Kriegsende endlich einklagen. Da war der Komponist aber schon ein gebrochener Mensch und konnte an den einstigen Erfolg nicht mehr anknüpfen. Sein psychischer Zustand verschlechterte sich immer mehr und 1967 nahm er sich, weiterhin unrehabilitiert in der Opernszene, das Leben.

Dankenswerter Weise gelang es in den letzten Jahren nun endlich mutigen und verantwortungsvollen Waltern unseres großen musikalischen Welterbes Schwanda dem Vergessen zu entreißen; Dresden 2012, Gießen 2018 und demnächst auch in Berlin (Premiere im April 2020 an der KO – wo sonst?)

Die Geschichte verbindet Märchen- und Sagenwelt in personae zweier der beliebtesten tschechischen Helden: Schwanda, den Dudelsackpfeifer, der mit seinem Spiel auf dem Dudelsack die Menschen zum Tanzen bringt und ihre Sorgen vergessen lässt und Babinsky, eine Art Robin Hood, Don Juan und Till Eulenspiegel zugleich, der bereits zu Lebzeiten als böhmischer Kämpfer für die Gerechtigkeit verklärt wurde. Mythologische Märchenbilder aus dem Reich der Eiskönigin und der Hölle durchziehen die einfach gesponnene stets jugendfrei abenteuerliche Reise-Geschichte der beiden, die letztlich mit einem großen Lobgesang auf die Heimat und die Liebe endet. Ach wie schön kann Oper sein…

Das Regie-Team um Michiel Dijkema (wir erinnern uns noch an seine tollen Hoffmanns Erzählungen am gleichen Haus) hat wieder meisterlich überzeugende und phantasievolle Arbeit geleistet. Man bewahrt den märchenhaften Charakter der Vorlage ohne modernisieren zu wollen. Regie und Bühne stellen sich verantwortungsvoll unter den Schirm der Werktreue und überzeugen mit bunten, herrlichen Kostümen (Jula Reindell), einem fabelhaft und beeindruckend wechselnden Bühnenbild und tollen Lichteffekten (Thomas Ratzinger).

Babinsky, ein einsamer Wanderer, der wie weiland Wotan im Siegfried die Wälder ziellos durchstreift, erinnert mit seinem langen Rauschebart irgendwie an den sympathischen Räuber Hotzenplotz. Gesanglich meistert Uwe Stickert die schwierige, eine teuflisch hohe Tessitura fordernde Stimm-Partie, geradezu sensationell. Was für eine makellose Stimme, die nicht nur Kraft, sondern auch klangschönste lyrische Emphase und traumhaften Schmelz vereint. Eine Entdeckung! Eine Traumbesetzung für die nächste Schreker-Oper ;-).

Die als Zwischenvorhang fungierende Leinwand bleibt bei der Ouvertüre und den Zwischenspielen GsD zu; man setzt also ganz auf die Imagination des Zuhörers zu den wunderschönen Klängen. Sie ziert die einfache Zeichnung eines Dudelsacks, die zur daneben liegenden alten anatomischen weiteren Strichzeichnung des Herzen enorme Parallelen aufweist. Was für ein schönes Bild – Schwandas Spiel auf dem Dudelsack geht den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes zu Herzen.

Musikalisch hat man mit Giuliano Betta einen hochkompetenten Sachwalter für Weinbergers Musik gefunden. Die Verbindung folkloristischer Elemente mit großen fast filmmusikalisch anmutenden Bögen der Streicher und Bläser gelingt perfekt. Die Neue Philharmonie Westfalen hat einen Sterneabend und der von Alexander Eberle mal wieder blendend aufgestellte Chor singt (und agiert!) überragend gut.

Piotr Prochera (Schwanda) zeigt musiktheatralischer Lebensfreude, auch wenn die Stimme gelegentlich noch etwas ungeschliffen rau und etwas zu laut klingt. Ilia Papandreou ist Dorota – in ihre Mimik, Gestik und Musiksprache, die stets fröhlich zwischen Eifersucht, Liebe und Sorge pendelt – zeugt ihre Darstellung nicht nur von großer Spielfreude.

Last but not least hat Joa chim G. Maaß (Bild oben – für den nicht benannten Maskenbildner ein zusätzlicher Opernfreund-Stern) der Oldstar des MiR – oder soll ich besser sagen die totale Rampensau – mal wieder einen Glanzabend in der Partie des Teufels. Was für ein Charaktersänger! Ich kenne ihn nun schon Jahrzehnte und er war immer grandios. Bei ihm hat sogar die anfängliche generelle Ansage über die Bitte-Nicht-Verwendung-des-Handys während der Vorstellung noch augenzwinkernden Humor. Natürlich halten sich diverse oft jugendliche Pappnasen nicht daran, die sogar während der Vorstellung ihre Erfahrung per SMS weitergeben. Na, Hauptsache keine Fotos, damit das Copyright nicht verletzt wird.

Fazit: Diese Oper in solch liebevoller Inszenierung ist auch musikalisch eine Entdeckung und jede Anreise wert. Sie verdient unbedingt einen festen Platz im Repertoire. Uns ist diese tolle Produktion, die auf allen Ebenen unterhält und überzeugt einen OPERNFREUND-STERN wert. Wir folgen damit dem begeisterten Freudentaumel des Premierenpublikums im leider nur halbverkauften Haus, welches vor Begeisterung und Jubel praktisch auf den Stühlen stand. So ergeht mein Schluss-Appell:

"Opernfreunde und Liebhaber schönen Musiktheaters! Bitte fahrt nach Gelsenkirchen. Es lohnt sich sehr. Schöner, fröhlicher, mitreißender und liebevoll charmanter sah man selten eine Opernproduktion. Diese köstliche Ausgrabung macht Spaß und ist auch die weiteste Anreise wert."

Peter Bilsing, 18.6.2019

Fotos© Karl und Monika Forster

CREDITS

Choreografie – Denis Untila

Dramaturgie – Anna Chernomordik

Schwanda – Piotr Prochera

Dorota – Ilia Papandreou

Babinsky – Uwe Stickert

Königin – Petra Schmidt

Magier – Michael Heine

Scharfrichter/Des Teufels Famulus – Tobias Glagau

Richter/Höllenhauptmann – Jiyuan Qiu

Landsknechte – Jiyuan Qiu / John Lim

CD TIPP der OPERNFREUND-Redaktion

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