Vorstellung vom 12.05.2019
Der Satan selbst verkündet seine Freude am Tod des auf dem Obduktionstisch liegenden Verstorbenen, natürlich keinem geringeren als Jesus Christus. Luzifer, als Glanzrolle für den ausdrucksstarken stattlichen Bass-Bariton Grga Peroš, glaubt die Heilsverkündung Gottes Sohn vereitelt zu haben. Doch da tritt auch Angelo, ein Engel Gottes, auf und verstrickt sich mit ihm in ein Streitgespräch und philosophischen Diskurs. Eine gewisse Überheblichkeit legt bereits jetzt das Gute über das Böse an den Tag. Mit fast instrumentalistisch perfekten Kolloraturen singt Samuel Mariño in von Luft geführten Höhen. Es wird um die Bedeutung von Tod und Auferstehung Christi gerungen. Wobei (vielleicht auch nur in dieser Vorstellung vom 12.05) eine unterschwellige Komik zu bestehen schien.
Die um den Mann Jesus trauernden Damen, Maria Magdalena (Francesca Lombardi Mazzulli) und Maria des Kleophas (Marie Seidler) ergreifen das Publikum mit einer echten Verzweiflung, die nichts mit himmlischer Offenbarung oder Opferbereitschaft zu tun hat. Ganz einfach die menschliche Trauer um einen geliebten Menschen, die Verzweiflung durch seine Abwesenheit und die Verlorenheit verkörpern die beiden Frauen nicht nur Dank der klaren Tonsprache Händels.
Der Apostel Giovanni (Aco Bišcevic), als klischeebeladener Pfaffe in Kutte und mit großen menschlichen Schwächen dargestellt, ist wahrscheinlich die klarste Abbildung der heiligen Kirche, während die anderen Figuren über die gewöhnlich Sterblichen zu stehen scheinen.
Die Solisten und Solistinnen im Stadttheater Gießen tragen das Oratorium Händels mit echter Empfindsamkeit ‚zu Grabe‘. Dass ein geistlicher Stoff doch so gut dramaturgisch als Opernaufführung umgesetzt werden kann, verwundert nicht mehr, wenn die zu weiten Teilen opernhafte Ausstattung betrachtet wird. In Italien hatten Opern zu dieser Zeit keine Chance, da bereits der letzte Papst, Innozenz XII., Aufführungen von Theaterstücken und Opern per Dekret untersagt hatte. Händel bekam deshalb von dem Kunstliebenden Marchese Ruspoli einen Auftrag mit der Komposition des Oratoriums. Doch Händel wusste es, beide Seiten zu befriedigen. Die Musik hatte wenig gemein mit dem Typus des Chor-Oratoriums, wie er ihn später in England entwickelte. Der Chor spielte eine untergeordnete Rolle (er wird von den Solisten übernommen). An der Farbigkeit und dem Empfindungsreichtum der Arien spürt man den Willen zur Oper ganz deutlich. Schon die Tatsache, die Rolle der Maria Magdalena (Francesca Lombardi Mazzulli) so stark herauszustellen, die ja immer eine zwiespältige wegen Lasterhaftigkeit eingenommene Persönlichkeit war, zeigt Händels dramaturgische Intentionen. Regisseur Balázs Kovalik hat diese Punkte feinsinnig erspürt und herausinszeniert. Er verlegt die Auferstehung in unsere Zeit, lässt dabei den Teufel nicht nur testamentarisch bestehen, sondern auch gleich als dunklen Gegenpol zu Gottes Engel aus der Unterwelt auftauchen.
Dabei schafft er es, den Teufel trotz übersteigender Abgrenzung in Gut und Böse, Weiß und Schwarz, nicht als überflüssige Einmischung darzustellen. Luzifer ist kein schlimmes Übel, sondern gehört zur Geschichte dazu und ist ebenso ein tragender Ast in der Heilung der Welt.
In künstlerischer Zusammenarbeit mit Generalmusikdirektor Michael Hofstetter, der schon als Barockspezialist bekannt ist, sitzen neben der üblichen Besetzung noch eine Laute und ein schnarrendes Regal (eine Art Orgel) im Orchestergraben. Wobei der Graben in dieser Inszenierung nicht so tief gesetzt und damit wunderbar einsehbar für das Publikum ist. So gibt es an diesem Abend einiges zu bestaunen, das Orchester und deren Spielweisen, die Sänger und deren Bühneninszenierung und der poetische Text, den es in Übertiteln abzulesen und verstehen galt und deshalb auch leicht überfordert.
Das Oratorium vergeht wie im Flug. Dabei klingt es nicht einmal so düster und schwerbeladen, sondern eher freundlich, erhellend (auferstehend).
„Die Hoffnung weicht nie der Furcht, wenn sie dem Glauben entsprang.“ Einige solcher optimistischen Sätze behalten einen überirdischen Charakter. Und wie die lateinische Predigt noch vor der lutherischen Übersetzung, erreicht dies nur die wenigsten einfachen Menschen, die Schutzsuchenden. Die gute Harmonie zwischen den Darstellern bewirkt dann aber, was das Libretto allein nicht vermochte – eine zufriedene Verkündung der Auferstehung und die Rettung all jener, die seinen Namen kennen. Für die etwas weniger religiösen unter den Zuschauern bietet die Art der Trauerbewältigung ebenfalls etwas Tröstliches.
Noch drei Aufführungen werden vor der Sommerpause im Stadttheater zu sehen sein:
Do 30.05.2019 | 19:30 – 22:00 Uhr
Do 13.06.2019 | 19:30 – 22:00 Uhr
So 23.06.2019 | 15:00 – 17:30 Uhr
Dominique Suhr, 12 Mai 2019
Bilder (c) Rolf K. Wegst