Vorstellung am 30. 12. 2015
Der englische Komponist Gustav Holst (1874 – 1934), der nach Reclams Opernführer als „der herausragendste englische Komponist des frühen 20. Jahrhunderts“ gilt, schloss sich 1898 der Carl Rosa Company an, leitete Chöre und Orchester und widmete sich ab den späten 20er Jahren seiner Kompositionstätigkeit. Er schrieb mehrere Opern, doch keine seiner Einakter „erreichte die Intensität, die ‚Savitri‘ mit nur drei Stimmen, einem wortlosen Chor und zwölf Instrumenten erzielte“.
Holst komponierte die Oper „Savitri“, die 1916 in London mit großem Erfolg uraufgeführt wurde, bereits im Jahr 1908. Die Handlung, die eine Episode aus dem indischen Heldenepos Mahabharata aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. darstellt: Die junge Savitri lebt mit ihrem Gatten, dem Holzfäller Satyavan, in harmonischer Zweisamkeit. Eines Tages steht unerwartet der Tod vor ihr, um Satyavan wegzuführen.
Obwohl ihre Bitten und ihr Flehen vergeblich scheinen, behandelt Savitri den Tod in stiller Freundlichkeit, sodass der gerührte Gast verspricht, ihr einen Wunsch zu erfüllen, sofern es sich nicht um das Leben Satyavans handle. Daraufhin fordert Savitri das, was für sie das Leben bedeute, und setzt auf diese Weise die Gebote des Todes außer Kraft. Denn Satyavan bedeutet ihr Leben.
Hans Walter Richter arbeitete in seiner Inszenierung den indischen Mythos um Savitri heraus und lässt zu Beginn den todgeweihten Holzfäller Satyavan einen Fiebertraum erleben, während er die Titelfigur anfangs fast am Leben verzweifeln lässt. Savitri ist nahe daran, Selbstmord mit einer Überdosis Tabletten zu begehen. Für die Bühne und für die Kostüme war Lukas Noll zuständig, der für beide Kammeropern einen einheitlichen Bühnenraum schuf, bei den Kostümentwürfen jedoch die humoristische Seite des zweiten Stücks auch in der Kleidung des Todes auf witzige Weise herausarbeitete. Nett die Idee, zwischen den beiden Stücken einen Weihnachtsmann und ein Christkind auftreten zu lassen, die die Bühne mit Präsenten und Weihnachtszierat schmückten.
In der Titelrolle überzeugte die Mezzosopranistin Julia Stein stimmlich und darstellerisch, wobei ihr Mienenspiel besonders eindrucksvoll war. Berührend, wie sie sich um ihren krank im Bett liegenden Mann kümmerte und den Tod mit allen Mitteln umgarnt, um ihren Gatten zu retten. Als schwerkranker Holzfäller überraschte der baumlange österreichische Tenor Clemens Kerschbaumer durch seine kräftige Stimme. Vielleicht mit ein Grund, dass der Tod – vom deutschen Bariton Tomi Wendt nicht weniger überzeugend gespielt – ihn verschonte.
Die zweite Kammeroper „Death Knocks“, die der deutsche Komponist Christian Jost (geb. 1963) im Jahr 2001 nach einem Text von Woody Allen komponierte, hatte ihre Uraufführung im selben Jahr im Rahmen der niedersächsischen Musiktage.
In diesem satirischen Werk schneit eine attraktive junge Dame wie ein Komet durchs Fenster ins Schlafzimmer des New Yorker Textilfabrikanten Nat Ackermann. Sie gibt sich als der Tod zu erkennen, der ihn ins Jenseits mitnehmen will. Doch Ackermann ist keinesfalls dazu bereit und überredet den Tod zu einer Partie Gin Rummy. Es entwickelt sich ein Spiel auf Leben und Tod, das dieser schließlich jämmerlich verliert.
Möglicherweise handelt es sich bei Nat Ackermann um einen „Nachfahren“ des um 1400 geschriebenen Ackermann aus Böhmen von Johannes von Tepl, in dem ein Bauer den Tod anklagt, ihm seine Frau genommen zu haben. Im Programmheftchen wird Woody Allens Text „als lustvolle Aktualisierung von Ingmar Bergmans Filmklassiker ‚Das siebente Siegel‘ – vielleicht sogar als freie Assoziation zur urbayerischen Geschichte vom ‚Brandner Kaspar‘“ gedeutet.
Regisseurin Stephanie Kuhlmann nützte den jüdischen Witz dieses Werks zu einer humorvollen und prickelnden Inszenierung. Ihre Idee, eine stumme männliche Figur der Kammeroper beizufügen, die verschiedene Weihnachtspräsente auspackte, fernsah und sogar im Bett strickte, war jedoch zwiespältig. Handelte es sich bei dem Mann um einen Mitbewohner Ackermanns oder um den Nachbarn der nebenan liegenden Wohnung? Viele Besucher rätselten nach der Vorstellung – meiner Ansicht nach lenkte dieser Regie-Gag doch eher ab.
Die beiden Darsteller dieses grotesken Einakters spielten ihre Rollen auf hohem Kammerspiel-Niveau. Tomi Wendt gab den neurotischer Großstädter Nat Ackermann mit zwingendem Charme, der auch auf den Tod seine Wirkung nicht zu verfehlen schien, war doch der „Sensenmann“ eine junge, verführerische Frau. Sie wurde von Julia Stein – auffallend geschminkt und jugendlich chic (mit Laufmasche!) gekleidet – köstlich erotisch gespielt und gesungen. Dass sie schließlich ihr ganzes Geld verspielte und mit der Sense unverrichteterdinge die Flucht antreten musste, war der gelungene Gag dieser Kammeroper. Die stumme Rolle des „Nachbarn“ spielte Clemens Kerschbaumer mimisch ansprechend.
Das Philharmonische Orchester Gießen – es spielte für das Publikum unsichtbar in einem Nebenraum – wurde von Martin Spahr geleitet, der die Einsätze für das Sängerensemble über zwei Monitore gab. Es gelang den Musikern, die fremdländischen Klänge des ersten Werks ebenso nuancenreich wiederzugeben wie die rhythmische Illustration der Handlung der zweiten Kammeroper, deren Partitur sich durch variantenreichen Einsatz des Schlagwerks auszeichnete.
Das Publikum belohnte am Schluss der etwa 80minütigen Vorstellung das dreiköpfige Sängerensemble und das Orchester mit seinem Dirigenten mit lang anhaltendem Beifall. Dem Stadttheater Gießen muss man zur Produktion dieser beiden thematisch ähnlichen Raritäten gratulieren.
Udo Pacolt 2.1.15
Besonderer Dank an MERKER-online (Wien)
Bilder (c) Stadttheater Giessen