Hagen: „Parsifal“, Richard Wagner

Premiere: 20. März 2022

Selbst für große Häuser bedeutet eine Inszenierung von Wagner „Parsifal“ einen erhöhten Aufwand. Umso erstaunter ist man, dass das kleine Theater in Hagen sich jetzt an das Bühnenweihfestspiel wagt. Vor drei Jahren gab es hier bereits eine radikale Inszenierung von „Tristan und Isolde“, weshalb man gespannt war, wie radikal dieser „Parsifal“ ausfallen würde.

Regisseurin Nilufar Münzing bringt das Stück als Geschichte über Menschen, die in einer durch Konsum und Krieg zerstörten Natur leben, auf die Bühne. Erlösung ist hier die Heilung der zerstörten Umwelt. Dieses an sich schlüssige Konzept wird aber hauptsächlich durch das Bühnenbild von Britta Lammers und die Kostüme von Uta Gruber-Ballehr umgesetzt. In der Personenführung bewegt sich Münzing im traditionellen Rahmen einer „Parsifal“-Aufführung, und man kann sich ihre Regie auch in einer Waldlandschaft, Gralsburg und Zaubergarten vorstellen. Die Bühne von Britta Lammers zeigt aber ein zerstörtes Kaufhaus, wo Gurnemanz mit seiner Büchersammlung unter einer Treppe lebt. Manchmal tauchen Wald- und Naturgeister mit Blätterflügeln oder Geweihen oder Flügeln auf dem Kopf auf, was ein schöner poetischer Einfall ist. Der Gral ist ein Bonsai, der im Schlussbild von Kundry und Amfortas eingepflanzt wird und schon nach wenigen Sekunden als großer blühender Baum erstrahlt.

In der Verwandlungsmusik des ersten Aktes erlebt Parsifal nach Einnahme eines halluzinogenen Tees, wie die Welt durch einen Atomkrieg zerstört wird, wie Kundry Jesus auf dem Weg nach Golgatha verlacht und dann von Amfortas niedergestochen wird. Klingsor ist ein größenwahnsinniger und machthungriger Wissenschaftler, der die Welt zerstört. Zum Vorspiel des 2. Aktes sieht man Videos von Fabriken, überlasteten Straßen und Tagebau. Kundry, die im 1. Akt als Umweltaktivistin auftritt, wird von Klingsor unter Zuhilfenahme von Kokain zum Glamourgirl ausstaffiert. Wer die Blumenmädchen sein sollen, wird nicht richtig klar. Vielleicht Schönheitsköniginnen, Modepüppchen oder lebendig gewordene Schaufensterpuppen? Diese postapokalyptische Welt der Inszenierung erinnert an Calixto Bieitos Stuttgarter Inszenierung von 2010 mit ihrer zerbombten Autobahn. Insgesamt hätte man sich aber gewünscht, dass diese ökologische Thematik noch schlüssiger in die gesamte Produktion eingebunden worden wäre. Es kann aber auch sein, dass viele Szenen nicht vollständig durchgearbeitet wurden, denn Intendant Francis Hüsers berichtet vor der Premiere, dass die Probenarbeit unter einer Vielzahl von Corona-Fällen gelitten hätte.

Musikalisch wird die Aufführung von Generalmusikdirektor Joseph Trafton zusammengehalten. Er dirigiert flüssige Tempi und benötigt für den ersten Akt 100 Minuten. Obwohl der kleine Hagener Orchestergraben zu einem Überhang der Bläser führt, findet Trafton zu einer guten Klangbalance der Stimmen und findet mit dem Philharmonischen Orchester Hagen zu einem schönen und farbenprächtigen Mischklang. Die orchestralen Höhepunkte werden groß ausgespielt, gleichzeitig sind Trafton und sein Orchester den Sängern zuverlässige Begleiter. Das Theater Hagen trumpft mit einem starken Wagner-Ensemble auf, das zum größten Teil aus den eigenen Reihen besetzt ist. Angela Davis ist eine großartige Kundry. Sie verfügt eine klangvolle und kräftige Stimme, singt die anspruchsvolle Partie ganz unangestrengt und gleichzeitig sehr textverständlich. Von dem Gekreische und Gekeife, das viele berühmtere Interpretinnen in dieser Rolle hören lassen, ist sie meilenweit entfernt. Stimmlich kann sie besonders in der großen Szene mit Parsifal im 2. Akt auftrumpfen. Die Titelpartie verkörpert als Gast Corby Welch, der lange Jahre Mitglied der Düsseldorf-Duisburger Deutschen Oper am Rhein war. Er stellt den lyrischen Gehalt der Partie in den Mittelpunkt und zeigt den Parsifal im ersten Akt vor allem als trotziges Kind. Die Rolle teilt er sich klug ein, sodass er im 2. Akt an den entscheidenden Stellen mit einigen imposanten Tönen aufwarten kann. Sensationell ist der Gurnemanz von Dong-Won Seo. Er verfügt über einen geradezu balsamischen Bass, der über genügend Volumen und Schmelz verfügt, und genau weiß, was er singt. Seine umfangreichen Erzählungen im 1. Akt und den Karfreitagszauber im 3. Akt gestaltet er klug, dass man ihm immer neugierig zuhört. Starke Rollenporträts bieten auch die beiden Baritone: Insu Hwang ist ein markant kraftvoller Amfortas, Jaco Venter singt den Klingsor mit scharf artikulierendem Bariton. Aus dem durchweg gut besetzten Ensemble der kleineren Partien seinen Penny Sofroniadou als 1. Knappe und 2. Blumenmädchen sowie Evelyn Krahe als 2. Knappe, 6. Blumenmädchen und Stimme aus der Höhe stellvertretend hervorgehoben.

Nach „Tristan und Isolde“ sowie diesem „Parsifal“ darf man gespannt sein, welche Wagner-Oper demnächst in Hagen zu erleben sein wird: Kommen „Die Meistersinger von Nürnberg“ oder vielleicht sogar der ganze „Ring des Nibelungen“. Zutrauen würde man es dem starken Hagener Theater!

Rudolf Hermes, 23.04.22