Premiere am 17.9.2017
Großes Broadway-Theater
Am New Yorker Broadway ist Lin-Manuel Miranda mit seinem Werk „Hamiton“ derzeit wohl der angesagteste und erfolgreichste Komponist der letzten Jahrzehnte. Doch bereits sein erstes Broadway Musical „In the Heights“ wurde 2008 gleich mit vier Tony Awards für Beste Komposition, Beste Orchestrierung, Beste Choreographie und Bestes Musical ausgezeichnet. Nun ist das Werk am Theater Hagen erstmals in Deutschland im professionellen Bereich zu sehen, nachdem es vor einigen Jahren bereits in Wien in deutscher Sprache aufgeführt wurde. Ein aus vielerlei Hinsicht sehr ambitioniertes Projekt für dieses vergleichsweise kleine Haus.
Vorab eine kleine „Warnung“ an alle begeisterten Opernfreunde, es handelt sich hierbei um ein „Hip-Hop- & Latin-Musical“, man sollte also auf jeden Fall bereit sein, sich auf neues und teilweise komplett unbekanntes Terrain zu begeben. Ich gebe zu, ich liebe Musical und ich hasse Rap und Hip-Hop, hier ist es aber gelungen mich komplett einzufangen, was sicherlich auch an der wirklich guten Komposition liegt, an der man bereits erkennen kann, warum erwähntes „Hamilton“ derzeit der Hit der letzten Jahre ist und warum das Cast-Album zu „In the Heights“ 2009 mit dem Grammy Award ausgezeichnet wurde. Aber auch die Inszenierung und das Ensemble trugen gestern Abend dazu bei, dass der Funke bei mir und dem gesamten Premierenpublikum schnell übersprang. Viele Abonnenten wunderen sich hierbei lautstark über die vielen „jungen Leute“ im Theater, vielleicht ist dieses Stück daher für das Theater Hagen ein echter Glücksgriff zum Start in die neue Intendanz und in eine Zeit, wo mit extremen Kürzungen das Beste aus den gegebenen Mitteln herauszuholen ist? Zu wünschen wäre dem Theater Hagen hier ein Erfolg, der auch überregional wahrgenommen wird.
Das Musical spielt in den Washington Heights, dem Stadtteil von New York benannt nach dem Lager von George Washington, welches er mit seinen Truppen während des Unabhängigkeitskrieges nördlich von New York aufschlug. Heute ist das Viertel überwiegend bevölkert von Immigranten aus Puerto Rico und der Dominikanischen Republik sowie vielen Afro-Amerikanern. So betreibt Kevin Rosario hier einen Taxibetrieb, bei dem auch Benny arbeitet. Dieser ist unsterblich in Kevins Tochter Nina verliebt, allerdings ist für den traditionellen Vater eine Verbindung seiner Tochter mit einem Afro-Amerika jenseits aller Toleranzgrenzen, zumindest zunächst. Usnavi betreibt gleich nebenan eine Bodega in Form des zentralen Kioskes im Bezirk, wo ein jeder gerne seinen „Cafe con leche“ kauft. Kurz nachdem bekannt wurde, dass ein Einwohner des Stadtteils in der Lotterie 96.000 Dollar gewonnen hat legt ein langer Stromausfall den Bezirk teilweise lahm, die Einwohner lassen sich hiervon aber nicht abhalten, das Beste aus Ihrem nicht immer einfachen Leben zu machen.
Die Produktion in Hagen entstand in Zusammenarbeit mit der Hochschule Osnabrück, so sind fast alle Rollen bis auf wenige Ausnahmen mit Absolventen und Studierenden der Hochschule besetzt. Ein wahrer Glücksgriff, den allein von den Rollenauslegungen dürfe „In the Heights“ ansonsten von keinem Theater hierzulande entsprechend aufzuführen sein. Besonders bleibenden Eindruck hinterlassen hierbei Felix Freund als Usnavi de la Vega, Aniello Saggiomo als Sonny, Annina Hempel als Friseursalon-Besitzerin Daniela und Celena Pieper als Usnavis heimlicher Schwarm Vanessa. Kara Kemeny hat als Nina Rosario die gesanglich wohl schwierigste Rolle, da verzeiht man ihr auch gerne, dass bei der Premiere an zwei, drei Stellen die Töne noch nicht so richtig saßen. Vom Ensemble des Theaters Hagen glänzt KS Marilyn Bennett als Abuela Claudia, die glaubwürdig die liebenswerte Oma und gute Seele des Barrios gibt. David B. Whitley gibt den Benny mit souliger Stimme. Der Opernchor unterstützt die vielen Darsteller in den großen Massenszenen, so dass die Heights ein wirklich sehr belebtes Stadtviertel abgeben.
Aufgeführt wird „In den Heights von New York“ übrigens komplett in deutscher Sprache in der Textfassung von Laura Friedrich Tejero. Dies wirkt insbesondere beim Rap zu Beginn des Stückes noch recht befremdlich und an der ein oder anderen Stelle ist die Übersetzung auch noch etwas holprig, allerdings hilft es dabei, dass jeder Besucher der Geschichte gut folgen kann und weitestgehend ist die Übersetzung dann auch schlüssig und stimmig. Vollkommen überzeugen kann die Inszenierung von Sascha Wienhausen, der an der Hochschule Osnabrück auch für den Bereich Pop- und Musicalgesang verantwortlich ist. Hier paart sich eine perfekte Personenregie mit einem guten Gespür für eine schlüssige Erzählweise, hier erlebt der Zuschauer ein Paradebeispiel für ganz große Musicalregie. Die passenden Kostüme und die Bühne (sehr schön mit der Washington Bridge im Hintergrund) stammen von Ulrike Reinhard. Für die vielen großen Choreographien zeichnet sich Sean Stephens verantwortlich, der auch das Ballett des Theaters Hagen oft und gut ins Geschehen eingebunden hat. Das Philharmonische Orchester spielt unter der musikalischen Leitung von Steffen Müller-Gabriel den für dieses Orchester sicher ungewohnten Sound mit großer Spielfreude.
Abschließen möchte ich an dieser Stelle mit den Worten des neuen Intendanten Francis Hüsers aus der aktuellen Theaterzeitung: „Der Wechsel der künstlerischen Leitung (…) muss daher auch Neues möglich machen, denn täte es das nicht, wäre er künstlerisch verschenkt. In diesem Sinne freue ich persönlich mich auf einen behutsamen Neustart (…) mit einer Spielzeit, die bewusst an die Vergangenheit anschließt, gleichzeitig aber schon Neuheiten erlebbar machen wird.“ Auch wenn der Spielplan zum Zeitpunkt seiner Wahl bereits feststand, hier kann man nur hoffen, dass die Qualität dieses Abends über die kommenden Jahre gehalten werden kann, auch wenn das Werk musikalisch sicher nicht jedermanns Geschmack ist, eins ist es aber ganz gewiss, eine gut inszenierte Rarität und etwas ganz „Neues“ auf deutschen Bühnen, dafür ein großes Lob nach Hagen
Markus Lamers, 17.09.2017
Fotos: © Klaus Lefebvre