Besuchte Zweitvorstellung 30.6.2017
Abschied eines Intendanten
Die jüngste Oper von HK Gruber am Theater Hagen ist die dritte Produktion nach der Bregenzer Uraufführung 2014 (die auch in Wien zu sehen war) und einer Inszenierung an der Komischen Oper Berlin. Sie markiert den Abschied des Intendanten Norbert Hilchenbach von dem kleinen NRW-Theater, welches (nicht nur) während dessen zehnjähriger Amtszeit immer wieder mit engagierten, manchmal ausgesprochen spektakulären Aufführungen aufwartete. Engagiert widmete sich man immer auch dem zeitgenössischen Opernschaffen, wagte sogar etliche Novitäten wie zuletzt Ludger Vollmers „Tschick“. Nicht nur Hilchenbach geht, sondern auch etliche andere, teilweise lang gediente Mitarbeiter des Hauses. Das bedeutet keine natürliche Fluktuation, sondern einen auch demonstrativ gemeinten Abschied. Die Stadt sitzt am Geldhahn und dreht(e) diesen langsam zu, so dass wieder einmal vom Ende dieses in der hiesigen Theaterlandschaft so wichtigen Hauses gemunkelt wurde. Mit Francis Hüsers wurde nun aber erst einmal ein neuer, sich engagiert gebender Intendant berufen. Es war auch zu hören, dass die finanzielle Daumenschraube (eigens für ihn?) mittlerweile ein wenig gelockert wurde.
Vor der gesehenen zweiten Aufführung der „Geschichten aus dem Wiener Wald“ trat Norbert Hilchenbach nochmals vor den Vorhang, um sich zu verabschieden, für Besuchstreue zu danken und um Sympathien für das Haus auch in Zukunft zu werben. Nach der dreistündigen Aufführung spendete das Publikum freundlichen Beifall, der von der Bühne aus freilich künstlich etwas gelängt wurde; für die zentrale Sängerin Jeanette Wernecke kamen sogar leise Bravos auf. Aber gefüllt war das Haus mitnichten, einige Zuschauer verließen sogar während der Vorstellung den Saal, andere kamen nach der Pause nicht wieder. Aber das ist bei einem zeitgenössischen Werk hinzunehmen (bei dem kompositorisch eher zahmen Gruber wunderte es freilich), und das Theater Hagen hat sich seine Kreativität wegen so etwas nicht vermiesen lassen
Von Ödön von Horvaths 1931 in Berlin herausgekommenen, hellseherischen Volksstück (in der Figur des steifen Nationalisten Erich leuchtet das Dritte Reich bereits unheilverkündend auf) heißt es immer wieder, dass seine Sprache Musik in sich trage. Ist da eine „Wienerwald“-Oper überhaupt noch notwendig? Die „Neue Musikzeitung“ bezeichnete nach der Bregenzer Premiere das Werk als „arg verspätete Zeitoper“, die „Nachtkritik“ resümierte über die Musik: „Macht zwar das Stück nicht besser, als es eh schon ist, aber vertont angemessen.“
Was das Schauspiel Horváths betrifft, so erinnert sich der Rezensent zumindest noch umrisshaft an eine Verfilmung von Erich Neuberg aus dem Jahre 1961, u.a. mit Johanna Matz, Hans Moser, Helmut Qualtinger, Erich Kohut, Jane Tilden, Lotte Lang und Fritz Eckart (einige der Darsteller wirkten 1979 auch in dem Streifen von Maximilian Schell mit). Das waren alles Schauspieler, welche verstanden, den sprichwörtlichen Wiener Charme mit seiner ebenso sprichwörtlichen Bösartigkeit zu verbinden. Vor allem Kohut war der richtige Typ, hinter dem Charmeur Alfred auch einen am Leben vorbei flanierenden, letztlich gefühlskalten Macho erkennen zu lassen. Kenneth Mattice in Hagen ist mit seinem festen, dabei immer geschmeidigen Bariton und seiner attraktiven Erscheinung ein Kerl, der Frauen unweigerlich anzieht. Aber ihm fehlt die zerstörerische Kälte, die freilich auch Grubers Musik kaum hergibt. Sie ist wunderbar pittoresk, zitiert immer wieder auf intelligente Weise, gibt sich durchgehend ohrenfreundlich. Aber sie wirkt für den hintergründigen Stoff allzu glättend und unverbindlich. Florian Ludwig sorgt mit dem Philharmonischen Orchester Hagen freilich für rhythmische Verve und theatralische Lebendigkeit.
Die Bühne von Jan Bammes bietet ein symmetrisch aufragendes Wandrund mit Türdurchlässen, im Detail wandelbar, ohne dass dabei wirklich couleur locale erzeugt würde. Das dominierende Dunkelgrau bewirkt eine Art Dauertristesse, welche von den zeittypischen Kostümen Yvonne Forsters farblich etwas aufgehellt wird. Mit gekonnter, unforcierter Personenführung gefällt Hilchenbachs Inszenierung durchgehend, lässt sogar den überlangen 1.Akt ausreichend lebendig erscheinen. Den Nachteil der etwas beliebigen Musik vermag seine Arbeit freilich nicht zu kompensieren.
Immerhin setzten einige Sänger charaktervolle Akzente. Die Valerie von Kristina Larissa Funkhauser beispielsweise ist ein Vollweib mit viel erotischem Esprit, vokal exzellent. Martin Blasius gibt mit seinem raumfüllenden Bass ein plastisches Porträt des zwielichtigen Zauberkönigs. Für den stets einen Gottesspruch auf den Lippen tragenden Oskar, der seiner „gefallenen“ Marianne in grausamer Selbstgefälligkeit verzeiht, ist Philipp Werner mit seiner pyknischen Körperlichkeit und dem leicht trompetenhaften Tenor eine ausgesprochen rollenstimmige Besetzung.
Den Erich gibt Björn Christian Kuhn ebenso als Ekelpaket wie Marilyn Bennett Alfreds gefühlskalte Großmutter. Jeanette Wernecke wurde bereits erwähnt. Sie besticht mit einer superschlanken Erscheinung, welche sich im 3. Akt (Maxim „Ballett“) die Fast-Nacktheit einschränkungslos leisten kann. Weiterhin besitzt sie einen mädchenhaft klaren Sopran, welcher die Naivität der sich nach Liebe und Leben sehnenden Marianne ideal vermittelt. Ihr (reichlich gedehnter) Monolog „Gott, was hast du mit mir vor?“ rührt an. Überzeugendes kommt auch von Joslyn Rechter (Alfreds Mutter), Andrew Finden (Rittmeister/Beichtvater), Richard Van Gemert (Hierlinger Ferdinand) und Rainer Zaun (Mister). Ein erneuter, großer Leistungsbeweis des Hagener Theaters, dem man alles erdenklich Gute wünscht, damit es seine aktuelle Gefährdung glücklich übersteht.
Christoph Zimmermann 1.7.2017
Bilder (c) Theater Hagen