Köln: „Mein lieber Schwan – war der Peter stark!“

„Mein lieber Schwan – war der Peter stark!“ titelte die Bild-Zeitung nach einem Auftritt von Peter Seiffert als Lohengrin in Berlin. In Köln ist der mittlerweile 65 Jahre alte Wagnerspezia-list in diesen Wochen in der Rolle zu hören, die ihm nach seinem sensationellen Auftritt an der Met vor über zehn Jahren endgültig den Ruhm des vielleicht besten Wagner-Interpreten unserer Zeit eingebracht hat, in Wagners Oper „Tristan“.

Dabei machte Seiffert zu Beginn seiner Karriere eher im lyrischen Fach auf sich aufmerksam. Dem gelernten Physiotherapeuten und Masseur kam ein Zufall zu Hilfe. Er behandelte die schon hoch betagte Gesangspädagogin Miriam Rürich-Hülskötter, die sofort nach ein paar Tönen die Begabung des athletischen jungen Mannes erkannte, der sich in dieser Zeit als Boxer im Schwergewicht in NRW einen Namen machte. Seiffert nutzte jede freie Minute, um bei seiner Mentorin seine Stimme zu schulen.

Die Musik war ihm allerdings in die Wiege gelegt. Sein Vater war ein erfolgreicher Operetten-sänger und Schlagerkomponist sowie Besitzer des berühmten Düsseldorfer Malkasten, wo die Familie auch wohnte. Bei dem Karnevalshit seines Vaters „Ich könnt schon wieder“ wirkte der Sohn als Backgroundsänger mit, nachdem er schon als Schüler im Knabenchor und als Solosopran in Konzerten gelernt hatte, vor Publikum aufzutreten und die ihm angeborene Nervosität zu überwinden.

1978 kam es dann zum Vorsingen an der Deutschen Oper am Rhein mit der Arie des Tamino aus Mozarts Zauberflöte. Der gefürchtete Düsseldorfer Intendant Grischa Barfuss folgte dem Rat eines älteren Bühnenarbeiters, wie Seiffert schmunzelnd erzählt, der spontan rief: „Engagieren Sie den für drei Jahre!“ Und Seiffert sang in der Folge vor allem in deutschen Spielopern, so z.B. den Baron Kronthal in Lortzings Oper „Der Wildschütz“, und machte sich sehr schnell als lyrischer Tenor einen Namen, sodass er sogar in Anneliese Rothenbergers Fernsehsendung Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre auftreten durfte. Das verhalf ihm schlagartig zu einiger Berühmtheit, sodass sogar Fans aus Holland mit Bussen die Düssel-dorfer Oper besuchten, um Seiffert in der „Ariadne auf Naxos“ zu erleben. Was die damaligen Seiffert-Fans nicht wussten, so Seiffert lachend: er hatte als „Ein Offizier“ nur einen einzigen Satz zu singen!

1980 wurde Seiffert von Götz Friedrich zu einem informativen Vorsingen an die Deutsche Oper Berlin eingeladen und lehnte ab. Er komme nur, wenn es um ein Vorsingen für ein Engagement gehe. Heute, so Seiffert, könne er über ein solches Maß an Selbstbewusstsein nur staunen. Aber es klappte. Besonders als Tamino und Ottavio in der „Zauberflöte“ und im „Don Giovanni“ eroberte er die Herzen des Berliner Publikums. In der Zeitung war die Stellungnahme einer Besucherin zu lesen: „Ich höre Peter Seiffert, weil er die zarteste Versuchung ist, seit es Tenöre gibt“. Der Tamino in den Inszenierungen von Peter Beauvet und Günter Krämer sei seine Leib- und Magenpartie gewesen und er würde sie heute noch gerne singen, bekennt Seiffert, wenn seine Haare inzwischen nicht silbergrau geworden wären und seine Figur an Stattlichkeit zugelegt hätte.

An der Bayrischen Staatsoper in München erlangte Seiffert dann Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts als Lohengrin Weltruhm. Seine spätere Frau, die legendäre Sopranistin Lucia Popp, erlebte, wie Peter Seifferts Vater in Tränen ausbrach, als er den Sohn als strahlenden Gralsritter erleben durfte. Sein Vater, der unter einer schweren Kriegsverletzung litt und dadurch in seiner Karriere behindert wurde, habe ihm gesagt: „ Du bist die Rache an meinem Schicksal.“ Als aus einem Raubschnitt das Duett zwischen Elsa und Lohengrin aus dem letzten Akt mit der unvergleichlichen Lucia Popp im Saal des Staatenhauses in der Oper Köln erklingt, da bleibt niemand im Raum unberührt.

Wie vielseitig Seiffert war -und das ist er auch heute noch geblieben – , zeigten die Opernfestspiele in München 1990. Er habe Don Ottavio und Lohengrin parallel gesungen. Seine lyrisch ausgerichtete Stimme habe ihm einen solchen Spagat erlaubt. Gigli, Mario Lanza, Franz Völker und der unvergessene Max Lorenz waren Seifferts große Vorbilder, seine Frau Lucia Popp war eine unschätzbare Ratgeberin und auch Kritikerin. Sie habe ihm abgewöhnt, so Seiffert, auf der Bühne beim Singen Trippelschritte nach rechts und links zu machen, und ihn stattdessen ermuntert, sich ganz auf den Vortrag der Musik zu konzentrieren. „Trippelschritte nach links oder rechts gibt es bei mir nicht mehr, dazu kann mich kein Regisseur bewegen“, betont Seiffert unter dem Gelächter des Publikums. Überhaupt müssten Regisseure auf die Sängerinnen und Sänger Rücksicht nehmen und sich auf deren Individualität einstellen, so das Credo Seifferts an diesem Abend.

Daniel Barenboim, sein großer Förderer und Vertrauter, verhalf ihm schließlich vor über dreizehn Jahren an der Staatsoper Berlin zu seinem Tristan-Debüt und damit zu einer Partie, die wie keine andere mit dem Namen dieses großartigen Interpreten verbunden ist. „Wenn ich den Tristan singe, dann fühle ich mich nach der Vorstellung so, als sei ein Lastwagen über mich hinweggerollt“. bekennt Seiffert. Für ihn ist der Tristan die schwerste Tenorpartie für einen Heldentenor. Sie verlange eine mörderische Kondition, eine unglaubliche Konzentration bei der Wiedergabe des Textkonvoluts und ein hohes Maß an Stimmmodulation in den lyrischen und expressiven Passagen gerade des dritten Akts. „Wenn, wie das im dritten Akt des Tristan der Fall ist, auf der Bühne nichts passiert, dann muss stimmlich die Post abgehen.“

Was sind in den kommenden Jahren Zukunftspläne, welche Wünsche hat ein so gefeierter Sänger, der in unzähligen Partien brilliert hat und an allen großen Bühnen der Welt sowie bei den Bayreuther und Salzburger Festspielen stetiger Gast war? Seiffert würde gerne neben Wagner und Strauss (Frau ohne Schatten, Ariadne auf Naxos), neben Beethoven (Fidelio) und Weber (Freischütz) auch noch im italienischen Fach singen. „Der Othello, der Bajazzo, das sind Partien, die ich mir immer noch gut vorstellen kann. Den Turiddu würde ich noch gerne singen, aber das passt einfach nicht mehr zu mir.“ Natürlich freut er sich auch auf sein Haus in Wien, in dem er mit seiner Frau Petra-Maria Schnitzer und seinen beiden Söhnen lebt.

Georg Kehren, der Chefdramaturg der Kölner Oper, der das Gespräch mit Kammersänger Peter Seiffert einfühlsam, kenntnisreich und humorvoll über zweieinhalb Stunden geführt hat, findet zum Abschluss Worte, die allen Besuchern aus dem Herzen sprechen: „Wir bedanken uns bei Peter Seiffert als einem großzügigen, authentischen, offenen und menschen-freundlichen Ausnahmekünstler!“ Das Gespräch verging wie im Flug und hätte die Zuhörer auch noch weitere zwei Stunden gefesselt. Und ganz in diesem Sinne beendet Georg Kehren diesen Abend unter dem riesigen Beifall des Publikums mit der Erinnerung an den Karnevalshit von Seifferts Vater:„Ich könnt schon wieder“.

Norbert Pabelick
(03.10.2019)