Köln: „Tristan und Isolde“

Premiere: 21.09.2019 – besuchte Vorstellung 28.09.2019

Sängerfest am Rhein

Die Kölner Oper startet mit einem echten musikalischen Ausrufezeichen in die neue Saison, gleich so, als wolle man sagen: „Seht her, obwohl man uns immer noch in der Ausweichspielstätte gefangen hält – wir machen exzellente Oper!“. Und so ist es auch – exzellent. Mittlerweile hat man zur neuen Saison eine echte Theaterbestuhlung in den Saal 1 des Staatenhauses gebaut und die Kölner haben sich mit dem „Provisorium“ arrangiert und so ist der Saal bei der zweiten Vorstellung nahezu ausverkauft. Aber zurück zum eigentlichen Geschehen: Wagners „Handlung in drei Aufzügen“, die in einer zuletzt nicht weiter erwähnenswerten Produktion vor rund zehn Jahren zu sehen war, steht nun wieder auf dem Spielplan und das mit einer Besetzung, die sich sehen und vor allen Dingen auch hören lassen kann.

Star des Abends ist sicherlich Peter Seiffert, der mit zarten 65 Jahren immer noch einen Tristan gibt, von dem sich viele jüngere Kollegen eine Scheibe abschneiden können. Sicherlich im Spiel nicht mehr so vital wie einst, stimmlich aber wohl noch mit jugendlicher Strahlkraft gesegnet, die beeindruckt. Seiffert singt die Partie mit einer Selbstverständlichkeit und selbst in den forte-Passagen mit einer Leichtigkeit, die denken lässt, Wagner habe das nur für ihn komponiert.

Ihm zur Seite steht Ingela Brimberg, die bereits in der umstrittenen Kölner Salome-Produktion, die Titelpartie gesungen hat. Nun zeigt sie, dass sie auch bei Wagner absolut zu Hause ist und gibt eine wunderbare Isolde, die fein nuanciert durch die Partie geht, die nie stemmen muss, die kraftvoll und klangschön jeden Ton klug setzt und mit großer Textverständlichkeit ein Rollenportrait abliefert, dass sich auf Weltniveau bewegt. Mit Claudia Mahnke als Brangäne hat man eine weitere Spitzensängerin verpflichtet, die stimmlich eine Wucht ist. Mahnke, die auf allen großen deutschen Bühnen zu Hause ist, hat mit der Brangäne eine Rolle, die ihr stimmlich komplett auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Souverän und absolut treffend meistert sie die Kraft fordernden Passagen um gerade mit den leisen und subtilen Passagen zu zeigen, wie beweglich und klangschön ihre Stimme in allen Lagen ist.

Karl-Heinz Lehner ist als Marke ebenfalls eine exzellente Besetzung. Sein Bass füllt die herrscherliche Majestät genau so, wie die leisen Töne eine Menschlichkeit der Figur zeigen, so dass auch hier ein exzellenten Rollenportrait auf die Bühne kommt.

Als Kurwenal gab in der zweiten Vorstellung der aktuellen Kölner Tristan-Serie Kostas Smoriginas sein Rollendebut und vielleicht mag dieser Tatsache auch eine spürbare Aufgeregtheit, gerade zu Beginn des Abends, geschuldet sein. Smoriginas besitzt eine Stimme, die in vielen Lagen wunderbar klingt, die eine bemerkenswerte Strahlkraft besitzt, doch leider war in dieser Vorstellung auch einiges an Kraftmeierei zu hören, die eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre. Ein wirkliches Manko ist eine absolut mangelhafte Textverständlichkeit, die hinter den anderen Sängern bei weitem zurückblieb. Eigentlich schade, denn man hört an vielen Stellen, dass Smoriginas ein beeindruckendes stimmliches Potential besitzt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass diese Partie in einigen Vorstellungen auch von Samuel Youn übernommen wird. In den kleineren Partien überzeugen, John Heuzenröder als Melot, Young Woo-Kim als Hirt und Stimme eines jungen Seemanns, sowie Insik Choi als Steuermann. Der von Rustam Samedov einstudierte Chor meistert seinen kleinen Part absolut souverän.

Bemerkenswert und am Ende des Abends von wahren Jubelstürmen belohnt ist die Leistung des Gürzenich-Orchesters unter Francois-Xavier Roth. Der Kölner GMD zaubert einen so gleißend-fließenden, so luziden Wagner-Klang, dass es eine wahre Freude ist. Gerade die Streicher präsentieren ein so weichen und warmen, den Hörer umfangenden Klang, der beispielsweise im Vorspiel des 1. Aktes, aber auch gerade im Vorspiel des dritten Aktes zutiefst beeindruckt. Mit viel Energie werfen sich die Musiker auch in die lauten, schroffen Passagen, aber ohne auch nur eine Sekunde zu viel zu geben. Alles ist stimmig, alles ist Klang – so muss sich ein Tristan anhören.

Dabei hat Bühnenbildner Darko Petrovic dem Orchester auch einen raffinierten und guten Platz zugewiesen und dabei auch mal die räumlichen Möglichkeiten des Provisoriums im Staatenhaus sehr gut ausnutzend. Zentrum des Bühnengeschehens ist ein Bruchstück aus einem Schiff, das mit seinen vier Kabinen das Orchester überragt. Umrahmt wird dies von gestaffelten, dreieckigen Projektionsflächen, auf denen je nach Situation Gischt des fahrenden Schiffes, Wellen oder auch mal der Blick in ein Haifisch-Becken zu sehen ist, gleichsam einem abstrahierten Ozean. Petrovic Bühnenbild ist für das Stück eigentlich wunderbar, dient es doch der Handlung und schafft durch seine omnipräsente maritime Note einen wirklich ausgesprochen gelungenen Rahmen für die Handlung. Die leicht folkloristisch angehauchten Kostüme von Annina von Pfuel unterstreichen diesen Rahmen stimmig.

Und damit wäre auch fast alles zu diesem Opernabend gesagt. Fast alles, denn der Leser wird sich nun sicherlich fragen: „Was ist denn mit der Regie?“. Dem Fragenden sei geantwortet: „Die hat leider nicht stattgefunden“. Regisseur Patrick Kinmonth entzieht sich einer Deutung des Werks über weite Strecken komplett. Das ist aber in diesem Fall nicht schlimm, denn nicht nur ein Mal erinnert das schicksalsschwangere Stehen und Sitzen der Protagonisten an eine konzertante Aufführung im maritimen Look. Sicherlich gibt es ein paar Regieeinfälle, wie ein komplett unverständliches Bewegungsballett aus Statisten, das (leider nichtmals synchron) – warum auch immer – die Bühne quert. Da feudelt ein Statist während der Ouvertüre nochmal durch die Kabine, eine Statistin sitzt als Isoldes Mutter in der Kabine neben Tristan und stellt schon mal die Kiste mit den Zaubertränken ab… achja… das kann man alles machen, das stört auch nicht wirklich, aber brauchen tut man es nun auch nicht. Insofern kann man der Regie zu Gute halten, dass hier viel Raum fürs Musizieren gelassen wird und das ist bei dem wirklich exzellenten musikalischen Personal dieser Aufführung auch gut so. Daher fallen die Mankos im Bereich der Inszenierung bei weitem nicht so ins Gewicht und was bleibt – und diese Meinung unterstreicht auch ein aus vollem Herzen jubelnder Saal am Ende des Abends – ist ein absolut gelungener Start in die Saison, der musikalisch wahre Glücksmomente beschert.

Die Fotos stammen von © Bernd Uhlig

Sebastian Jacobs 29.9.2019