Premiere: 10.3.2019, besuchte Zweitaufführung: 13.3.2019
Mit Freud’scher Akzentuierung
Archivrecherchen haben ergeben, daß „Rusalka“ noch nie (!) an der Kölner Oper gegeben wurde. Eigentlich unvorstellbar, aber wahr. Grundsätzlich jedoch darf das Werk als im Repertoire fest verankert gelten. Die anderen Opern Dvoráks (etwa „Jakobiner“, „Kathinka und der Teufel“, „Dimitrij“, „Armida“) finden hingegen kaum Berücksichtigung. Selbst im Heimatland des Komponisten gilt dies zumindest für den laufenden Monat. Anders verhält es sich bei Smetana und Janácek, derzeit mit Raritäten-Aufführungen wie „Libuse“ (Prag) und „Osud“ (Ostrava) vertreten.
Rusalka gehört zur Lebenswelt von Nixen wie Undine oder Melusine, welche im deutschen Märchenumkreis anzutreffen sind. Doch so, wie sich eine Loreley von einem irdischen Wesen in einen Wassergeist verwandelt (Opern von Catalani und Bruch, Fragmente von Mendelssohn), ist auch die slawische Rusalka eigentlich kein „seelenloses Elementarwesen, das dem Wasser entsteigt, um durch die Verbindung mit einem Mann eine Seele zu erlangen. Die Rusalka ist selber eine verlorene menschliche Seele, der Geist der Frau oder eines Kindes, die eines unnatürlichen Todes gestorben sind“ (Maria Deppermann). Dvoráks Textdichter Jaroslav Kvapil glich, durch Hans Christian Andersens Märchen von der kleinen Seejungfrau angeregt, Rusalka den deutschen Nixen an. Sie ist in Leidenschaft zu einem schönen Prinzen entbrannt, setzt alles auf eine Karte, um in liebender Verbindung mit diesem auf Erden eine neue, beglückendere Seelen-Existenz zu finden. Das Scheitern dieses Lebenstraumes ist aber auch der Andersen-Story immanent.
Zwar ist der Prinz von tiefer Zuneigung zu Rusalka ergriffen, aber dieses Gefühl wird wesentlich von erotischer Leidenschaft geprägt, welche der Realität nicht standzuhalten vermag. Vor allem die Rusalka auferlegte Stummheit läßt beim Prinzen Unverständnis aufkommen und seine Liebe erkalten, zumindest abkühlen. Die Rolle der fremden Fürstin wäre bei solcher Entwicklung im Grunde verzichtbar; als katalysatorische Figur ist sie jedoch wirkungsvoll.
Die Handlung der Oper ließe sich nach wie vor und ohne intellektuellen Wirkungsverlust in Märchenform erzählen. Dies hat beispielweise Petr Weigls Fernsehfilm von 1977 getan. Auch die Bonner Bühneninszenierung von Mark Daniel Hirsch im Jahre 2011 (übrigens mit Mirko Roschkowski, dem Prinzen nun auch in Köln) ging bei leichter Stilisierung in diese Richtung. Parallel zu Köln ist „Rusalka“ mit letzten Vorstellungen bis Mai in Hagen zu sehen (Inszenierung: Nina Kupczyk, als „Selbstfindung auf dem Laufsteg“ nicht sonderlich positiv bewertet). Auch in Köln inszeniert eine Frau: Nadja Loschky. Sie hat sich mit Arbeiten u.a. in Osnabrück und Kassel einen Namen gemacht, ebenso in Bielefeld, wo sie demnächst die künstlerische Leitung im Opernbereich übernimmt.
Bei „Rusalka“ ist für Nadja Loschky von besonderem Belang, daß ein Jahr vor der Uraufführung der Oper (1901) Sigmund Freuds Buch „Traumdeutung“ erschien, welches auf verborgene Seelenschichten im Menschen verweist, wo alle möglichen Erlebnisse der Vergangenheit abgespeichert sind, tragische zumal. Während Rusalka noch an den Himmel auf Erden glaubt, ist der Wassermann bei Nadja Loschky zu einer Art Priester geworden, welcher u.a. das quirlige Nixen-Trio dazu zwingt, das umgehängte heilige Kreuz zu küssen. Daß er in den Übertiteln einmal als „Grapscher“ bezeichnet wird, hätte u.U. zu aktuellen Anspielungen führen können. Die Regisseurin verzichtet darauf, wie auch die auf der Bühne verstreuten toten Fische, welche der Wassermann einsammelt, nicht irgendwie mit dem Plastikmüll in unseren Meeren in Verbindung gebracht wird. In Köln hat sich der Wasserfürst einfach nur (möglicherweise kasteiend) in ein mönchisches Dasein zurückgezogen. Die Hexe Jezibaba hingegen, welche wohl auch weltliche Erlebnisse mit sich herumträgt, ist zur Dämonin mutiert und hat sich Zauberkräfte erworben.
Rusalkas Liebesträume und -enttäuschungen versinnbildlichen sich im Spiel stummer Darsteller des Prinzen und sich selbst. Mal kriechen diese unter einem Riesenbett hervor, mal aus dem Boden von Ulrich Leitners Wellen suggerierender Bühne. Auch als Kind tritt Rusalka auf, wird vom Wassermann sichtbar glücklich in die Arme genommen. Damals war die feuchte Unterwelt noch weitgehend in Ordnung. All diese optischen Assoziationen erfüllen die Szene bildkräftig. Mitunter mag man sie als ein Zuviel des Guten empfinden, wie es auch bei der von Enrico Lübbe inszenierten Bonner „Elektra“ der Fall war, welche am gleichen Tag wie die Kölner „Rusalka“ herauskam (Bericht unter Datum 12.3.). Im Wesentlichen jedoch wirken all diese Vorgänge inspiriert, sinnstiftend und gefühlsintensivierend.
Olesya Golovneva in der Titelrolle ist ein Glücksfall. Seit ihrer Konstanze vor einigen Jahren (Koloratur war damals noch ihr primäres Fach) hat sie alleine in Köln ihre künstlerische Vielseitigkeit mit stetiger Steigerung unter Beweis gestellt. Die Rusalka singt sie lyrisch bewegend, auch wenn ihre Stimme über Mädchenhaftes inzwischen leicht hinausgewachsen ist. Von außerordentlichem Rang auch ihre Darstellung, vor allem im zweiten Akt, wo sie ja weitestgehend stumm zu agieren hat. Wie Olesya Golovneva das durchaus schmerzvolle Menschwerden körperlich intensiv vermittel, bewegt zutiefst, Ihr ebenbürtig: Mirko Roschkowski als Prinz. Mit dem Enée in den „Troyens“ von Berlioz (Nürnberg) ist er inzwischen im schweren Fach angelangt, verfügt aber weiterhin über einen hellen, geschmeidigen Tenor, welcher vor kurzem seinen Bonner Lohengrin besonders vorteilhaft prägte. In Wiesbaden wird er demnächst auch als Titus und Idomeneo zu erleben sein. Seine Darstellung wirkt expressiv. Die Schlußszene mit Rusalka ist einfach herzergreifend und kann einem im Verein mit der sphärischen Musik Dvoráks durchaus Tränen ins Auge treiben.
Womit auch ein hohes Lob für die Leistung des Gürzenich-Orchesters ausgesprochen sei. Der Farbenreichtum, die sensible Ausdruckslenkung der Musik kommt unter Christoph Gedschold bestens zur Geltung. Dalia Schaechter, von Irina Spreckelmeyer in ein opulentes Rüschenkostüm gekleidet, gibt der Jezibaba angemessen grollende, giftige Töne mit. Auch die fremde Fürstin ist historisierend ausgestattet, ansonsten dominieren neutrale Kostüme. Mit ihrem flammenden und höhensicheren Mezzo porträtiert Adriana Bastidas-Gamboa die Figur furios. Samuel Youn als Wassermann wächst über die bislang bei ihm erlebten Partien noch hinaus, wirkt machtvoll in Stimme und Spiel. Auch alle weiteren Sänger sind hervorragend: Vero Miller als (weiblicher) Küchenjunge, welche(r) sich gelegentlich mit dem Heger (Insik Choi) verlustiert, sowie die Elfen (eigentlich ja Nixen) Emily Hindrichs, Regina Richter und Judith Thielsen.
Christoph Zimmermann 15.3.2019
Bilder Paul Leclaire