Köln: „Rusalka“

Premiere: 10.03.2019

Zwischen den Welten

Wenn ein Opernhaus eine Erstaufführung ankündigt, dann darf man oft mit Werken jüngeren Datums oder echten Raritäten rechnen. Dass es aber so ein populäres Werk wie Dvoraks „Rusalka“ erstmalig auf den Spielplan eines großen Opernhauses schafft ist indes ungewöhnlich. In Köln war dies nun der Fall und so konnte das Publikum in der Domstadt knapp 120 Jahre nach der Uraufführung dieses Werk erstmals – wenn auch nach wie vor nur im Interimsquartier – erleben. Und was kann man sagen? Das Warten hat sich gelohnt, denn das, was man hier zu sehen bekommt ist in höchstem Maße erfreulich und überzeugt auch mit großer musikalischer Qualität.

Dvoraks romantische Märchenoper, die die Geschichte der Rusalka, des unglücklichen Nixenwesens, die so gerne ein Mensch sein will, erzählt, hat in ihrer Inszenierungsgeschichte schon viel Interpretatorisches erleben dürfen: Zwischen naturalistischem Ausstattungstheater und psychologisierend überfrachtetem Kammerspiel gab es schon einiges und beides nicht zu Unrecht, denn natürlich lädt die phantastische Märchenwelt dazu ein in die eine Richtung zu gehen und die Handlungsebene mit dem Vater, der seine Tochter nicht gehen lassen will, weist in die andere. Um so erfreulicher, dass die junge Regisseurin Nadja Loschky einen perfekten Mittelweg gewählt hat. Sie verweigert sich in ihrer Erzählung keine Sekunde dem Mystischen, dem Unwirklichen und Fantastischen und setzt klug Akzente, die uns auch etwas über die Innensicht der Titelfigur erzählen. Sie erzählt im besten Sinne das Märchen – und das ist auch gut so, ohne dabei auch tieferliegende Schichten der Charaktere außer Acht zu lassen.

So gelingt schon mit dem ungewöhnlichen Beginn ein atmosphärischer Meisterstreich: Ein Raunen, knarrendes Holz, Wasser und Gestalten, die ein altertümliches Bett auf die Bühne hieven. In diesem Bett: Netze, Taue und Fische. Wir wissen nicht, ob wir uns auf dem Grund eines Sees befinden oder ob die die karge Bühne (Ulrich Leitner) überragende hölzerne Welle einem Tsunami gleich etwas an Land gespült hat. Und in diesem Spannungsfeld des Ungewissen, des Unsicheren zeichnet die Regie immer wieder unglaublich starke Bilder, die von einem immensen Einfallsreichtum geprägt sind. So wird das Ungewisse, des Nebulöse zum großen Thema des Abends: Immer wieder verschluckt Dunkelheit die Bilder – hier kreiert Nicol Hungsberg ein atemberaubend stimmungsvolles Lichtdesign -, immer wieder wabert Nebel über die Bühne und bringt neue Gestalten hervor – alles ist im Fluss, wandert, ist ohne Bestand, verloren in der Zeit. Einzig die ausgesprochen detailreichen und stimmigen Kostüme von Irina Spreckelmeyer deuten gerade im zweiten Akt immer wieder in die Entstehungszeit und bieten so einen kleinen historischen Anknüpfungspunkt. Was diese Inszenierung so besonders macht, ist schwer in Worte zu fassen, was aber bleibt ist der Eindruck, dass hier ein Abend entstanden ist, der gerade durch seine atmosphärische Dichte überzeugt.

Dass dieser Abend außerdem so beeindruckend wird, liegt an der immensen szenischen und musikalischen Leistung der Solisten. Allen voran Olesya Golovneva in der Titelpartie ist ein wahrer Glücksfall. Man bekommt förmlich Gänsehaut, wenn man ihr intensives Spiel sieht. Unglaublich in ihrer Intensität die Szene, in der sie erstmals ihre „neuen Beine“ hat und sie nicht zu nutzen weiß und so unglaublich hilflos erscheint. Ihre Rusalka ist ein Wesen, das zwischen den Welten gefangen ist und im Endeffekt daran zerbricht und dieses Zerbrechen glaubt man ihr auch. Musikalisch ist die Russin eine Idealbesetzung: Ihre Arien überzeugen durch absolute Klangschönheit, in den weniger lyrischen Passagen setzt sie kraftvoll Akzente. Ihr zur Seite als Prinz steht Mirko Roschkowski, der im Spiel seiner Partnerin in nichts nachsteht und trotz der gerade im zweiten Akt immer wieder spürbaren dramaturgischen Unebenheiten ein rundes Rollenprofil präsentiert. Sein Prinz ist – wie Rusalka auch – ein Wanderer, ein unsteter Geist, der allzu schnell den Verlockungen der fremden Fürstin erliegt, der aber dann doch wieder „seine“ Rusalka sucht. Das spielt Roschkowski alles wunderbar, im Musikalischen bleibt seine Stimme aber gegen das oftmals sehr dramatisch aufspielende Orchester etwas zurückhaltend, obschon mit viel lyrischer Finesse und Wohlklang in den Piani.

Mittlerweile eine feste Größe im Kölner Ensemble und eine exzellente Besetzung für den Wassermann ist Samuel Youn. Er wird von der Regie als liebender Vater gezeigt, der in steter Sorge um seine Tochter ist. Raffiniert hier der Einfall in ihm eine Art evangelikalen Eiferer zu zeigen. So ist es nicht das kühle Nass des Teiches, sondern der verbohrte Glaube, der ihn zwingt, seine Tochter von der Außenwelt abzuschirmen. Youn spielt die Figur mit viel Verve und zeigt stimmlich einmal mehr was für ein exzellenter Sänger er ist: Sein drohender Bass, der nie ins zu Laute driftet, der auch mal mit baritonalen Farben zu changieren weiß überzeugt uneingeschränkt.

Dalia Schaechter als Jezibaba spielt eine herrlich dämonische und angsteinflößende Hexe. In weinroter Robe treibt sie ihr boshaftes Spiel und es ist einfach sensationell, wie Schaechter hier gerade in den tiefen Lagen ihrer Stimme dieser Rolle Nachdruck verleiht.

Als fremde Fürstin steht Adriana Bastidas-Gamboa auf der Bühne. In ihrem ersten Auftritt in den Höhen mit einer gewissen Schärfe kämpfend, ist im zweiten Auftritt hiervon nichts mehr zu hören und sie singt herrlich verführerisch und klangschön.

Das Trio der Elfen ist ein wahrer Wirbelwind auf der Bühne. Mal kokett, mal hämisch, mal zuckersüß und dann wieder boshaft kommen die drei Damen daher. Emily Hindrichs, Regina Richter und Judith Thielsen überzeugen musikalisch und szenisch.

Auch die kleinen Partien sind mit Insik Choi als Heger, Vero Miller als Küchenjunge und Hoeup Choi als ein Jäger bestens besetzt. Der von Rustam Samedov einstudierte Chor meistert seinen kleinen Part vortrefflich.

Am Pult des Gürzenich-Orchesters ist erstmals der Leipziger Kapellmeister Christoph Gedschold zu Gast und präsentiert einen Dvorak, der keine Wünsche offenlässt. Akkurat und in zupackenden Tempi musiziert er die Partitur, traut sich auch durchaus mal ein starkes Forte zu entfesseln, bei dem er gelegentlich Gefahr läuft die Sänger leicht zu überdecken. Aber gerade, wenn das slawische Kolorit der Partitur zum Leuchten kommt, dann macht es einfach Spaß zuzuhören. Die großen romantischen Bögen, die zarten Piani und gerade die Klänge, die von sphärenhafter Zartheit sind, gelingen ebenfalls vortrefflich.

Mit der aktuellen Premiere ist der Kölner Oper eine weitere beeindruckende Produktion in dieser Spielzeit gelungen. Das Publikum überschüttete Sänger, Orchester und die Regie mit frenetischem Beifall und reichlich Bravi.

Sebastian Jacobs 12.3.2019

Die Bilder stammen von © Paul Leclaire