Besuchte Vorstellung: 25. Januar 2020
Christian von Götz: Der Freischütz ist weniger ein Stück über das Böse als vielmehr über die Angst vor dem Bösen und darüber, was diese Angst aus uns macht. Es geht um eine Gesellschaft, die in etwas zurückzufallen droht, was längst überwunden scheint. Samiel ist ein Zeichen der Angst, die in jedem Menschen steckt. Er ist ein Dämon, der immer den Grundkonflikt der Figuren erzählt.
Die Wiederaufnahme der beliebten Oper von Weber, es war die vierzehnte Vorstellung seit der Premiere 2017, fand am 25. Januar 2020 vor fast ausverkauftem Haus statt.
Christian von Götz inszeniert seinen Freischütz ohne die übliche Verherrlichung des deutschen Waldes, ohne gemütliche Kneipe der Jagdgesellen, ohne ansprechende Stube von Agathe. Seine Ansatz wird der Gespenstergeschichte gerechter und zeigt klar, dass die Verlockung des Bösen überall sein kann, überall anzutreffen ist. Aus diesem Grund ist Samiel ist in jeder Szene präsent ohne aufgesetzt zu wirken. Mit diesem Ansatz ist die Oper aus dem Jahr 1821 fast zweihundert Jahre später immer noch so aktuell wie eh und je.
Die gut geführten Massenszenen mit grossem Chor beweisen, dass von Götz mit seiner Personenführung nicht nur die Solistinnen und Solisten anleitet, sondern seine Aufmerksamkeit dem gesamten Bühnenteam gilt, dass es für ihn keine unwichtigen Nebenrollen, Nebenakteure gibt. So bleibt Carl Maria von Weber‘s Werk auch aus heutiger Sicht lebendig und interessant. Die Inszenierung brilliert mit interessanten Details. So wird die Sprechrolle Samiels von Verena Hierholzer, eigentlich Choreografin und Tänzerin, gesprochen und hervorragend gespielt. Ihr Samiel wirkt so dämonisch wie ich es bis heute nur im Film mit dem deutschen Schauspieler Bernhard Minetti erlebt habe.
Die Mutter von Max erscheint, dramaturgisch wesentlich, im Totenbett. Max erwähnt seine Mutter als Warnerin in der Wolfsschlucht: Was dort sich weist, Ist meiner Mutter Geist! So lag sie im Sarg, so ruht sie im Grab! – Sie fleht mit warnendem Blick! Sie winkt mir zurück! Auch hier ist wiederum Samiel sichtbar.
Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Christoph Gedschold erfüllte die Erwartung an den grossen Namen mit langer Tradition nicht vollständig. So waren die Streicherklang nicht sehr homogen, die Intonation der Hörner nicht genau und dies nicht nur beim Anblasen der Instrumente, sondern auch im Laufe der Melodieführung. Dies mag vielleicht daran liegen, dass zwischen der letzten Reprise und der heutigen Wiederaufnahme eine lange Zeit vergangen ist. Eine Erklärung aber keine Entschuldigung! Die musikalische Interpretation der Oper war sehr gut, das Eingehen des Dirigenten auf die Solisten und den Chor ausgezeichnet, so dass ein musikalisch erfreulicher Eindruck entstand.
Der Tenor Marco Jentsch interpretierte den Max als unsicheren, in Agathe verliebten Jäger im Dienste des Erbförsters Kuno. Seine Intonation war sauber und seine Diktion in Ordnung. Seine Höhen waren unverkrampft und seine Bühnenpräsenz der Rolle entsprechend. Vielleicht wirkt die Körpersprache von Jentsch noch ein bisschen aufgesetzt, dies aber ist für seine Rollenauffassung nicht unbedingt wesentlich.
Als hervorragende Agathe erlebte ich die Israelische Sängerin Gal James. Ihre Musikalität, ihre Interpretation der Rolle lässt aufhorchen. Ihre Höhen überzeugen ohne falsches Vibrato mit hervorragender Diktion.
Ihre Vertraute Ännchen gibt die deutsche Sopranistin Magdalena Hinterdobler. Ihr Ännchen strotzt vor Übermut ohne jede Übertreibung. Ihre saubere Intonation geht einher mit klarer Diktion und einem erfreulichen komödiantischen Talent. Ihre Körpersprache überzeugt in jeder Szene.
Als sehr guter Kaspar stand der finnische Bass-Bariton
Tuomas Pursio auf der Bühne. Seine Interpretation des Bösewichtes, des Dieners Samiels, überzeugt. In seinem Wolfschlucht-Auftritt überzeugt Pursio sowohl als Schauspieler als auch als Sänger.
Ebenfalls aus Finnland stammt der Tenor Dan Karlström als Kilian. Seine Arie im ersten Akt nach dem Meisterschuss: >Schau‘ der Herr mich an als König< überzeugt sowohl mit sauberer Intonation als auch durch klare Diktion. Sein Können als Komödiant steht seiner Gesangskunst in keiner Weise nach.
Der Bariton Jürgen Kurth, seit 1980 Ensemblemitglied an der Oper Leipzig, interpretiert die Rolle des Kuno abgeklärt mit klarer Diktion und hervorragender Intonation.
In weiteren Rollen zu sehen und zu hören sind: Als Otttokar Franz Xaver Schlecht und (Nomen est Omen) Sebastian Pilgrim als Eremit, Andreas Scholz und Klaus Bernitz geben die beiden Jäger und als Brautjungfern auf der Bühne: Dorota Bronikowska, Reba Evans, Eliza Rudnicka und Anika Paulick.
Dazu Heinrich Heine in seinen Reisebildern (1822-1828): >Haben Sie noch nicht Maria von Weber’s ‚Freischütz‘ gehört? Nein? Unglücklicher Mann! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper ‚das Lied der Brautjungfern‘ oder ‚den Jungfernkranz‘ gehört? Nein? Glücklicher Mann!“
Der Chor der Oper Leipzig, einstudiert von Alexander Stessin löste seine Aufgabe in dieser Oper mit einigen Chorpassagen mit hoher Präzision und grossartiger Musikalität.
Das zahlreich erschienene Publikum, das Haus war fast ausverkauft, belohnte die gelungene Aufführung mit rauschendem, langanhaltendem Applaus.
Peter Heuberger, 3.2.2020
© Ida Zenna