Leipzig: „Carmen“

Besuchte Aufführung: 26. Januar 2020 (11. Vorstellung)

Frei ist sie geboren und frei wird sie sterben

Carmen ist eine der meist aufgeführten Opern weltweit. Die Milieuschilderung, Dramatik und schicksalhafte Tragik macht das Werk Bizets zu einem Vorläufer des Verismo. Der Komponist kann daher als Wegbereiter des italienischen „Verismo“ bezeichnet werden.

Die australische Regisseurin Lindy Hume hat Carmen das erste Mal vor fast 30 Jahren an der “West Australian Opera Perth“ inszeniert. Die #MeToo Bewegung hat ihre Sicht auf Frauen, ihre Sicht auf die Oper Carmen eindrücklich geprägt. Natürlich war die Figur Carmens nie ein Opfer, nicht nur ein Opfer. In der Auffassung der Regisseurin aber nimmt es Carmen ausgesprochen in Kauf, für ihre Freiheit sterben zu müssen. Sie wird als Wegbereiterin der Emanzipation, als starke Frau inszeniert. Die Männer welche sie umgarnen wollen sind alle eher schwach. Carmen ist nicht mehr der Archetyp der Verführerin, der “femme fatale“, sondern emanzipiert, selbstbewusst im heutigen Sinn des Wortes. All dies gelingt Frau Hume mit ihrer subtilen Personenführung ohne Mahnfinger auf vorbildliche Weise. Interessant ist Lindy Humes Art des Szenenbeginns: Alle Protagonistinnen und Protagonisten erscheinen auf der sich drehenden Bühne (Bühnen-Entwurf Dan Potra) in einer Stasis, einem Zeit-Stillstand.

Dies erhöht die Spannung und unterstützt die darauffolgende Handlung. So entstand eine Oper Carmen, welche eigentlich traditionell inszeniert daherkommt, aber unterschwellig die moderne Auffassung über Feminismus unterstützt, den männlichen Machtanspruch in Frage stellt und anprangert.

Das Gewandhausorchester unter der Stabführung von Matthias Foremny interpretiert die Komposition, die letzte Bizets, mit schön französischem Klang, obgleich in einzelnen Passagen ein bisschen mehr Legato angebracht gewesen wäre. Dies allerdings muss dem Dirigat zugeschrieben werden und nicht dem Klangkörper. Das Eingehen des Dirigenten auf seine Künstler auf der Bühne dagegen kann nur gelobt werden. Nie ist das Orchester zu laut und übertönt die Bühne, nie aber auch zu leise, so dass die Klangfarben verschwinden!

Der Chor und der Kinderchor der Oper Leipzig lösen ihre Aufgabe mit Bravour. Die Einstudierung des Kinderchores lag in den Händen von Sophie Bauer. Der Opernchor wurde geleitet von Thomas Eitler-de Lint.

Die Mezzosopranistin Kathrin Göring als Carmen beeindruckt durch eine Bühnenpräsenz, welche ihresgleichen sucht. Dabei ist zu bemerken, dass Carmen eine der längsten Rollen in der Opernliteratur ist. Leider war der Erstauftritt von Frau Göring, die bekannte “Habanera“ nicht über alle Zweifel erhaben. Die Intonation bei guter Diktion war nicht allzu sauber. Dies gilt allerdings nicht für den Rest der Oper. Hier war der Sängerin nichts anzulasten. Ihre schauspielerische Leistung, ihr Körpersprache, Gestik und Mimik verstärkten ihre Interpretation der Figur Carmen ebenso wie ihr perfektes Singen, welches bis zum Ende der Werkes keine Müdigkeit hören/sehen liess.

Die Micaela wurde gesungen und gespielt von Gal James. Sie interpretierte die Rolle der Unglückbotin, der Vermittlerin zwischen der Mutter und Escamillo und unterstützte so optimal das tragische Ende.

Der albanische Bariton Gezim Myshketa als Escamillo überzeugt mit perfekter Intonation. Die Diktion allerdings war nicht so sauber wie seine Melodieführung. Dazu ist allerdings zu bemerken, dass die französische Sprache im klassischen Gesang sehr hohe Anforderungen an die Sprachkenntnis der Sängerinnen und Sänger stellt. Ich habe perfekte französische Diktion bis heut nur bei Sängerinnen und Sängern mit französischer Muttersprache gehört. Ich bin vielleicht ein bisschen heikel, da ich zweisprachig (Deutsch und Französische) aufgewachsen bin.

Als Don José auf der Bühne zu sehen und zu hören: Der Tenor Gaston Rivera aus Südamerika, genauer aus Uruguay. Die Personenführung von Hume stellt ihn als ausgezeichneten Toreador, mit eine Schwäche für das weibliche Geschlecht dar. Sein Gesang überzeugt, seine Leistung als Schauspieler dagegen nicht auf der ganzen Linie.

In weiteren Rollen waren zu sehen und hören: Als Mercédès Sandra Maxheimer und als Frasquita Aneta Ruckova. Ferner als Offizier Zuniga Sejong Chang und als Moralès Hinrich Horn. Die Schmuggler wurden gegeben von Dan Karlström, Andrii Chakov und Julian Dominique Clement.

Der Bühnenentwurf und die Kostüme stammen von Dan Potra. für die ausgezeichnete Lichtführung ist Mathew Marshall verantwortlich. Nele Winter ist verantwortlich für die Dramaturgie.

Abschliessend darf ich sagen, dass Lindy Hume eine Carmen inszeniert hat, welche den hohen Ansprüchen an moderne Opernregie genügt.

Peter Heuberger, 3.2.2020

© Tom Schulze

© Kirsten Nijhof