Frankfurt, Konzert: „Bergen Philharmonic Orchestra“, Wagner, Schumann, Strawinsky

Im Rahmen der Pro Arte Saison konnte sich das Publikum der Alten Oper Frankfurt über das Gastspiel des Bergen Philharmonic Orchestra und seinem Chef-Dirigenten Edward Gardner freuen.

Zu Beginn erklang das Vorspiel zum ersten Aufzug „Parsifal“ von Richard Wagner. Vor wenigen Wochen war eine komplette Aufführung des Werkes in Bergen zu bestaunen, die Edward Gardner mit seinem Orchester realisierte. In Frankfurt gelang ein mustergültiger Beginn. Mit großer Ruhe entwickelte Gardner die Themen in einem wunderbaren Mischklang. Die Musik atmete und wuchs zu imposanter Größe. Alles Irdische löste sich für knapp zwanzig Minuten komplett auf. Wie ist das möglich? Wandelte Gardner auf den Spuren von Celibidache und war rekordverdächtig langsam? Nein. Gardner, der kluge Theatermann, verzichtete auf den üblichen Konzertschluss und leitete nach dem Vorspiel direkt über in den Schluss des dritten Aufzuges. Eine wunderbare Idee. Verklärung und tiefer Frieden wurden in einer liebevollen Woge des Klanges ausgebreitet. Fasziniert konnten die Zuhörer von der herrlichen Klangqualität des Bergen Philharmonic Orchestras sein. Derart homogen in der klanglichen Ausgestaltung in den großen Streicherbögen ist das Vorspiel selten zu erleben. Die herrlichen Blechbläser erfreuten mit Opulenz und bester Kultiviertheit, während die Holzbläser die warmen Farben ergänzten. Ein beglückender Beginn.

(c) Ansgar Klostermann

Robert Schumanns Klavierkonzert gilt als eines der Schlüsselwerke der romantischen Klavierkonzert-Musik. Es war ein quälender Schaffensprozess für den Komponisten, der unendlich viel Zeit aufwendete. Nach gut fünf Jahren Entstehungszeit wurde es im Jahr 1845 uraufgeführt. Der große Reichtum der melodischen Entwicklung im Klavier- und Orchestersatz begeistert und fasziniert bis heute das Publikum. Hierzu bedarf es aber dann auch einer künstlerischen Umsetzung, die den bei Schumann häufig anzutreffenden musikalischen Subtext mit erzählt.

Zu Gast in der Alten Oper war der vielgefragte isländische Pianist Vikingur Ólafsson. Der lässig wirkende Künstler stürzte sich mit Engagement in die Anforderungen des Werks. Mit intensivem Zugriff und reichlich Pedalgebrauch bevorzugte er einen voll tönenden Klang. Artikulation und Struktur wurden von ihm gut herausgearbeitet. Manches wurde aber auch etwas allzu unbekümmert vorgetragen. Der Weg zum musikalischen Subtext oder gar der hohen Poesie bleibt ihm derzeit noch verschlossen. Jugendlicher Elan und technische Virtuosität prägten sein Spiel. Im Intermezzo spielte er dann doch auch mit leichter Hand deutlich zurück genommen und traf somit gut den leicht tänzerischen Tonfall im Wechselspiel mit den Holzbläsern. Der Finalsatz war ganz nach dem Geschmack von Vikingur Ólafsson. Endlich konnte er stürmen und drängen. Die Finger sausten über die Tasten, als hätten sich die Hände zwischenzeitlich verdoppelt. Viel Schwung und Dynamik also für ein musikalisches Fest der Lebensfreude.

Fast ein wenig stand dabei der Pianist allerdings im Schatten der hinreißenden Darbietung des Orchesters. Edward Gardner zeigte sich hier als fabelhafter Schumann Interpret. Selten ist die dynamische Ausdifferenzierung so intensiv und voller Wärme zu erleben, wie es hier in Frankfurt der Fall war. Immer wieder baute Gardner Spannungsbögen auf, drosselte die Dynamik, schärfte die Akzente. Die Musik stürmte und lebte. Welche Freude! Das Bergen Philharmonic Orchestra zeigte auch hier wiederum seine spielerische Klasse und wertete seinen Orchesterpart immens auf.

Das Publikum zeigte sich entzückt. Umso mehr als Vikingur Ólafsson seinen Blumenstrauß ans Publikum weitergab. Er bedankte sich und fragte die Zuhörer, was sie sich als Zugabe wünschen! Überraschend lautstark fiel das Echo und die zugerufenen Wünsche aus. Von Bach bis Ave Maria gab es zu viel Auswahl für  Vikingur Ólafsson. Nun, es wurde dann ein Satz einer für Klavier transkribierten Violinsonate von Bach (J.S. Bach – Violinsonate Nr. 3, 1. Satz (arr. Víkingur Ólafsson) ). Ganz spontan dann eine weitere, sehr flott vorgetragene Musik von Rameau (Jean-Philippe Rameau – Le Rappel des Oiseaux). Begeisterung!

Im Sommer 1910 in Clarens am Genfer See erholte sich Igor Strawinsky. Dort überfiel ihn auf einmal die Idee zu einer Komposition, einer konzertanten Burleske für Klavier und Orchester, die einen bildhaften Hintergrund hatte.

Petruschka! Das Szenario des Balletts ist in vier Bilder unterteilt. Das erste Bild schildert musikalisch und szenisch das Jahrmarkttreiben während der Faschingswoche mit Leierkasten- und Spielwerkmusik, dem Flötenspiel der Gaukler, mit Volksweisen und russischen Tänzen. Im zweiten Bild ruhen die Puppen in ihren Kästen. Petruschka quält sich wegen seines Aussehens und der Unbeholfenheit seiner Bewegungen. Verliebt in die Ballerina, erntet er von dieser nur Spott. Im dritten Bild tanzt die Ballerina einen verliebten Walzer vor dem Mohr, der in einem luxuriösen Separée ruht. Der eifersüchtige Petruschka platzt in die Liebesszene, wird aber vom Mohr aus dem Separée geworfen. Im Schlussbild herrscht zunächst wieder ein buntes Jahrmarktstreiben mit Tänzen der Ammen, Bauern und des Tanzbärs sowie mit einer Maskerade. Dann kommt auf einmal Petruschka gelaufen, auf der Flucht vor dem Mohren, der ihn verfolgt, einholt und mit dem Krummsäbel niedersticht. Petruschka stirbt. Die umstehenden Menschen sind entsetzt und wollen die Polizei rufen. Doch der Gaukler bedeutet ihnen, dass es sich ja nur um Holzpuppen handelt. Als der Gaukler beginnt, die Puppen wieder in ihre Kisten einzupacken, erscheint Petruschkas Geist über dem Theater. Wirklich Puppen…?

(c) Ansgar Klostermann

Die Musik zu „Petruschka“, der 1911 in Paris seine Uraufführung erlebte, enthält schon alles, was wenig später auch im skandalumwitterten „Le sacre du printemps“ zum Bestandteil der Partitur wurde. Aus allem klingt die Doppeldeutigkeit von Scheinwelt und Realität, vorgegaukeltem Drama und wirklicher Tragödie.

Die Partitur ist überaus anspruchsvoll und verlangt von einem Orchester höchste Kunstfertigkeit. Was das Bergen Philharmonic Orchestra an diesem Abend leistete, war Weltklasse! Da blitzten die Soli bei Flöte, Trompete und Violine. Die Streicher musizierten vollmundig flirrend. Holz- und Blechbläser spielten sich virtuos die Bälle zu. Dazu eine wunderbar offensiv aufspielende Schlagzeug-Gruppe. Das war ganz großes Klangkino für die Sinne. Edward Gardner agierte wie ein Zaubermeister auf diesem besonderen Jahrmarkt und holte alles aus dieser Musik heraus, um diesen Vortrag zu einem besonderen Erlebnis zu gestalten.

Die anhaltende Begeisterung wurde noch erheblich gesteigert mit dem hinreißend vorgetragenem Walzer aus „Maskerade“ von Aram Khatchaturian.

Musikalisch funkelnde Nordlichter aus Bergen verwandelten den großen Saal der Alten Oper in einen wunderbaren Ort der musikalischen Erbauung.

Viele erfreute Gesichter im Publikum.

Dirk Schauß, 12. Februar 2023


Alte Oper Frankfurt

11. Februar 2023

Richard Wagner – „Parsifal“ – Vorspiel zum ersten Aufzug

Robert Schumann – Klavierkonzert a-moll, op. 54

Igor Strawinsky – „Petruschka“ – Burleske in vier Bildern

Víkingur Ólafsson , Klavier

Bergen Philharmonic Orchestra

Edward Gardner, Leitung