Frankfurt, Konzert: „Bruckners 5.“, Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko

Heuer jährt sich der Geburtstag von Anton Bruckner zum 200. Mal, jenes Komponisten, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der symphonischen Tradition Beethovens einen eigenen Klangkosmos schuf, gewaltig, mitunter sperrig, mitunter kauzig, am Ende immer überwältigend. Unter seinen Symphonien gilt die fünfte als die sperrigste. Bruckner hatte das Werk als sein „kontrapunktisches Meisterstück“ konzipiert, ein Demonstrationsobjekt seines handwerklichen Könnens, um womöglich doch noch die ihm bis dahin vorenthaltene akademische Anerkennung der Wiener Universität zu erlangen, welche ihm in drei Anläufen eine Professur verweigert hatte. So schrieb er in einem großformatigen Schlußsatz nicht nur eine ausgedehnte Doppelfuge, sondern nahm an einem Gipfelwerk der Symphonik Maß: an Beethovens neunter Symphonie. Wie in deren Schlußsatz stellte auch Bruckner dem Finale seiner Fünften eine Einleitung voran, in der noch einmal die Hauptthemen der vorangegangenen Sätze präsentiert werden. Einen Chor setzte Bruckner dann zwar nicht ein. An Monumentaltität kann es sein Finale aber ohne weiteres mit Beethovens Ode an die Freude aufnehmen.

© Stephan Rabold

Die Berliner Philharmoniker haben im August mit diesem Werk die Saison eröffnet und es dann wieder in einer Serie von drei Abonnementkonzerten im September präsentiert. Nun nehmen sie es mit auf ihre USA-Tournee und haben es quasi auf dem Zwischenstopp auch in Frankfurt gespielt. Wenn man eine der Aufführungen im September noch im Ohr hat, dann fällt gleich im ersten Satz auf, wie stark sich die Berliner Philharmonie und die Alte Oper Frankfurt akustisch unterscheiden. In beiden Sälen ist der Klang zwar direkt und ermöglicht eine gute Durchhörbarkeit (für Frankfurt mit der Einschränkung, daß dies nur für die vorderen Drittel des Parketts und der Empore gilt), in der Alten Oper aber gerät die Wucht des Klanges zu einer regelrechten Urgewalt, wie man sie bei anderen Orchestern am selben Ort in dieser Intensität nicht hört. In der Philharmonie zu Berlin läßt das Klangbild bei aller Detailschärfe die „Totale“ zu, um eine Parallele zum Spielfilm zu ziehen. Beim Konzert in Frankfurt hat man dagegen gerade im ersten Satz den Eindruck, mit einer Überfülle von Nahaufnahmen überwältigt zu werden. Nach den leise, aber in messerscharfer Klarheit hingetupften Anfangstönen wird der Hörer vom ersten Aufschwung im Unisono-Tutti regelrecht in den Stuhl gedrückt. Die Unmittelbarkeit des Klanges ermöglicht auch im weiteren Verlauf kein Entrinnen. Kirill Petrenko am Pult betont dabei die Blockartigkeit des Satzaufbaus. Der Ausspruch, Bruckner habe das Orchester wie eine überdimensionierte Orgel behandelt, wird hier sinnfällig. Die Instrumentierung färbt einzelne Abschnitte charakteristisch ein und setzt so wie auf einer Orgel unterschiedliche Registrierungen voneinander ab. Petrenko pointiert diese Kontraste noch und zoomt die Instrumentengruppen gleichsam heran. Dabei demonstriert dieses Ausnahmeorchester seine Spielkultur. Angesichts der Perfektion und punktgenauen Makellosigkeit des Klanges ist man über einen kleinen Kiekser des Solohorns geradezu erleichter: auch der famose Stefan Dohr mit seinem unnachahmlichen weichen und kantablen Hornsound ist nicht unfehlbar.

© Stephan Rabold

Ein wenig tritt durch dieses klangliche Heranzoomen und das Absetzen der Blöcke gegeneinander der Zusammenhang des Satzes in den Hintergrund. Bruckner hat ihn schließlich als klassischen Sonatenhauptsatz mit Exposition, Durchführung und Reprise aufgebaut. Immerhin wird hier ein Bruckner-Bild präsentiert, das man zugespitzt „unromantisch“ nennen könnte: kein mystisches Raunen, kein katholischer Weihrauch. Alles klar, kraftvoll und gleichsam muskelbepackt. Diese Haltung prägt auch den zweiten Satz. Im Programmheft nennt Ulrike Kienzle ihn ein „verträumtes Notturno“. Die Berliner Philharmoniker präsentieren ihn zwar mit klanglicher Delikatesse, berückenden Holzbläsersoli und wunderbar sattem Blech. Sie baden ihr Publikum in üppigen Streicherkantilenen. Aber es bleibt auch hier ein XXL-Sound, der einen großartigen Filmsoundtrack zur Illustrierung weiter Landschaften abgäbe. Von „Notturno“ keine Spur.

Mit dem Scherzo findet der Abend dann seinen ersten Höhepunkt. So wie der Kopfsatz maximal weit entfernt war von den pathos-geschwängerten Brucker-Auffassungen früherer Jahrzehnte, so wird Bruckner hier mit frappierender Deutlichkeit als Zeitgenosse der Zukunft präsentiert. Der rhythmische Drive weist auf Strawinsky voraus. Die Accelerandi entwickeln einen unwiderstehlichen Sog. Schade nur, daß Petrenko den Ländler-Anklängen ihren österreichischen Charme nimmt.

© Stephan Rabold

Für das Finale dann erweist sich die Grundhaltung des Dirigenten als ideal. Die langen Durchführungen der Doppelfuge können schnell in Leerlauf münden. Petrenko bewahrt sie davor, indem er sie mit Spannung auflädt, die in strahlendem Blechbläserglanz mündet. Auch hier ist der rhythmische Drive unwiderstehlich, sind die Details mit einer Klarheit herausgearbeitet, daß man die Partitur mitschreiben könnte.

Nach der Schlußapotheose bricht im Saal Jubel aus, der es an Kraft und Stärke mit dem zuvor Gehörten aufnehmen kann.

Michael Demel, 14. November 2024


Anton Bruckner: Symphonie Nr. 5 B-Dur

Alte Oper Frankfurt

Konzert am 12. November 2024

Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko