Am 11. Juni gab es ein Orchesterfest in der Alten Oper Frankfurt, das die Konzertsaison 2022/23 gebührend abschloss. Das Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung von Andris Nelsons trat gemeinsam mit dem weltbekannten Pianisten Lang Lang auf. Das Konzert wurde zudem nach draußen auf den Opernplatz übertragen, um möglichst vielen Musikliebhabern die Teilnahme zu ermöglichen.
Auf dem Programm dieses besonderen Abends standen bedeutende Werke von Ludwig van Beethoven, alle in der düsteren Tonart c-moll geschrieben. Die Veranstaltung begann mit der Ouvertüre „Coriolan“, die als Einführung zu dem Trauerspiel von Heinrich Joseph von Collin dient. Diese Komposition zeichnet sich durch ihre finstere Atmosphäre und ihren dramatischen Ausdruck aus. Das Mahler Chamber Orchestra interpretierte die Ouvertüre mit einer bemerkenswerten Klarheit und einem tiefen Verständnis für die vielen Nuancen der Musik. Die Musiker verliehen dem Stück eine überzeugende, große Innenspannung und vermittelten erfolgreich die emotionalen Höhen und Tiefen der Komposition. Andris Nelsons, mittlerweile von sehr schwergewichtiger Gestalt, verfügt noch immer über den ihm eigenen Elan und die raumgreifenden Bewegungen. Mit starker Hand und wuchtigen Akzenten interpretierte er mit dem fabelhaften Klangkörper eine spannende Charakterstudie.
Anschließend folgte Beethovens Klavierkonzert Nr. 3, bei dem Lang Lang als Solist auftrat. Der Superstar aus China musiziert in einer ganz eigenen Liga und bedient mit seinen überreichen Möglichkeiten die unterschiedlichsten Zielgruppen. Stupende Technik mit faszinierender Musikalität und extrovertierte Körpersprache mit kindlichem Hang zur Theatralik. Letzteres sind äußerliche Showeffekte, die eher kontraproduktiv sind, da sie die Aufmerksamkeit von seinem vorzüglichen Klavierspiel stören. Lang Lang ist bekannt für seine enge Verbundenheit mit Beethovens Werk, das er bereits häufig aufgeführt und auf CD aufgenommen hat. Sein virtuoses Klavierspiel war von perfekter Technik geprägt. Mit großer Leidenschaft und Hingabe interpretierte er die Komposition und ließ die Zuhörer tief in die Musik Beethovens eintauchen.
Besonders bemerkenswert war Lang Langs phänomenale Phrasierung, die es ihm ermöglichte, die musikalischen Motive in ihrer ganzen Vielfalt auszudrücken. Er schaffte es, die Spannung in den Übergängen zwischen den einzelnen musikalischen Abschnitten zu halten und dadurch das Publikum zu beeindrucken. Lang Lang beherrscht die Kunst, mit subtilen Nuancen und extremen dynamischen Variationen sensibelste Stimmungen zu erzeugen, sei es in den leisen, introspektiven Passagen oder in den kraftvollen, energetischen Momenten des Klavierkonzerts.
Im ersten Satz des Klavierkonzerts brillierte Lang Lang mit seiner überragenden Technik. Seine Finger flogen förmlich über die Tasten, während er gleichzeitig eine bemerkenswerte Klangkontrolle aufrechterhielt. Seine Präzision in schnellen Läufen und schwierigen Passagen war verblüffend. Dabei schaffte er es jederzeit, die Energie und die Leidenschaft des Stückes optimal zu vermitteln. Ein Kabinettstück für sich war die intensiv gestaltete Kadenz, die seine ganze Könnerschaft exponierte.
Im zweiten Satz bewies Lang Lang sein Feingefühl und seine besonders sensible Art, musikalische Stimmungen zu erzeugen. Er phrasierte die lyrischen Melodien mit höchster Einfühlsamkeit und erzeugte so eine tiefgreifende emotionale Atmosphäre. Jeder Ton schien mit äußersten Bedacht gewählt, und sein Spiel war geprägt von einer träumerisch sanften und doch kraftvollen Ausdruckskraft.
Der dritte Satz des Klavierkonzerts war bestimmt von Beethovens charakteristischem Rhythmus und immenser Virtuosität. Auch hier zeigte Lang Lang erneut seine überragende Technik und seine Fähigkeit, spannende Übergänge zu gestalten. Sein Spiel war voller Energie und Lebendigkeit, während er gleichzeitig die komplexen rhythmischen Strukturen meisterhaft bewältigte. Faszinierend einmal mehr das Wechselspiel seiner Dynamik bis in die leisesten Regionen an der Grenze der Hörbarkeit.
Das Zusammenspiel von Lang Lang und dem Mahler Chamber Orchestra war von einer bemerkenswerten Symbiose geprägt. Die Musikerinnen und Musiker begleiteten Lang Lang sensibel und aufmerksam, wodurch eine harmonische Balance zwischen Solist und Orchester entstand. Das Mahler Chamber Orchestra zeigte sich dabei betont engagiert und transparent in seinem Orchesterspiel. Jeder einzelne Instrumentalist trug zur Gesamtwirkung der Musik bei und setzte die dynamischen und klanglichen Anforderungen der Kompositionen mit großer Präzision um. Andris Nelsons trug seinen Solisten auf Händen und ließ sein Orchester kraftvoll und selbstsicher aufspielen. Als Zugabe spielte Lang Lang eine bekannte Filmmusik. Mit dem Titel „Rainbow Connection“ aus „The Muppet Movie“ stimmte er vier sehnsuchtsvolle Minuten an, die das Publikum nachhaltig berührten.
So groß der Zuspruch für Lang Lang war, nach der Pause erreichte das Konzert mit Beethovens Sinfonie Nr. 5 seinen absoluten Höhepunkt. Das Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung von Andris Nelsons zeigte erneut sein außergewöhnliches Können und seine musikalische Sensibilität. Von Anfang an wurde deutlich, dass Nelsons eine klare musikalische Vision hatte und diese auf das Orchester übertrug. Mit zügigem Tempo, energiegeladenen Gesten und einer beeindruckenden Körpersprache brachte er die Musikerinnen und Musiker dazu, seine Interpretationen leidenschaftlich umzusetzen. Sein Dirigat war geprägt von einer intensiven Kommunikation mit dem Orchester, wodurch ein harmonisches Zusammenspiel entstand.
Besonders beeindruckend war Nelsons‘ Fähigkeit, die dynamischen Nuancen der Musik herauszuarbeiten und atmen zu lassen. Er verstand es, die Klangfarben des Orchesters in den verschiedenen Abschnitten der Werke gezielt zu steuern und dadurch die emotionale Wirkung der Musik zu verstärken. So hatte der zweite Satz eine imponierende royale Größe und Feierlichkeit. Von leisen, zarten Passagen bis hin zu kraftvollen, energiegeladenen Momenten führte er das Mahler Chamber Orchestra mit sicherer Hand und schaffte eine fesselnde Hochspannung in der Musik. Der äußerst rhythmische dritte Satz war sodann ein hinreißend formulierter Spannungsaufbau für das äußerst energiegeladene und strahlende Finale!
Nelsons‘ Interpretationen der Werke von Beethoven waren bestimmt von einem tiefen Verständnis für die Komplexität und Tiefe dieser Musik. Er vermittelte dem Orchester seine Vision und brachte es dazu, sein Bestes zu geben. Dabei zeigte er auch ein großes Gespür für die musikalischen Details, wie zum Beispiel die feinen Phrasierungen und Übergänge zwischen den musikalischen Abschnitten. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt von Nelsons‘ Dirigat war seine Fähigkeit, das Orchester als Ganzes zu führen und gleichzeitig Raum für die individuellen Ausdrucksmöglichkeiten der Musikerinnen und Musiker zu lassen. So ergab sich eine Atmosphäre, in der jeder Musiker seine eigene künstlerische Persönlichkeit einbringen konnte, während gleichzeitig die Einheit des Ensembles bewahrt wurde. Das Mahler Chamber Orchestra glänzte durch einen formidablen Tuttiklang, ebenso wie durch die herausragenden Solobeiträge, vor allem die glänzenden, furchtlosen Hörner oder die fabelhaft präzis dominante Pauke. Größter Jubel, stehende Ovationen bedachten einen Beethoven Vortrag der Außergewöhnlichkeit. Nelsons und seine Musiker freuten sich gerührt über den frenetischen Zuspruch.
Insgesamt war das Dirigat von Andris Nelsons beim Ausklang der Konzertsaison 2022/23 in der Alten Oper Frankfurt zutiefst beeindruckend und mitreißend. Sein klares Verständnis für die Werke von Beethoven, seine präzisen Gesten und seine Fähigkeit, das Orchester zu inspirieren, trugen maßgeblich zum Erfolg des besonderen Konzerts bei. Nelsons‘ Leitung ermöglichte es dem Mahler Chamber Orchestra, auf höchstem Niveau zu musizieren und das Auditorium in Euphorie zu versetzen.
Dirk Schauß, 12. Juni 2023
Ludwig van Beethoven
Ouvertüre zu „Coriolan“
Klavierkonzert Nr. 3
Sinfonie Nr. 5
Lang Lang, Klavier
Mahler Chamber Orchestra
Andris Nelsons, Leitung