Alte Oper, 14. Oktober 2019
Katharina Magiera (Alt), Nikolai Schukoff (Tenor)
Arnold Schönberg
Verklärte Nacht op. 4
Gustav Mahler
Das Lied von der Erde
Glorioser Schönberg und Mahlers „Lied von der Erde“ als Orchesterereignis
Ein spannendes Programm präsentierte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester seinen Konzertbesuchern. Arnold Schönberg spätromantische Musik in Kontrast zu Gustav Mahlers Musik des Lebens und Endens.
In seiner tonalen Frühphase komponierte Arnold Schönberg das 1899 uraufgeführte Streichsextett „Verklärte Nacht“, welches er 1917 für Streichorchester revidierte. Spannend, dass auch Schönberg einen musikalischen Beitrag zur Programmmusik komponierte. Das gleichnamige Gedicht von Richard Dehmel bildet den inhaltlichen Kern. Im Mittelpunkt des Gedichtes steht ein Liebespaar. Im Mondenschein gesteht die Frau ihrem Liebhaber, dass sie das Kind eines anderen Mannes erwartet. Dieser Fremdgang zerstört nicht das Liebesbündnis. Der Liebhaber beschließt das Kind als eigenes anzunehmen.
Schönberg zaubert frappierende Farben mit der Gruppe der Streichinstrumente. Manche melodische Idee lässt dabei an Richard Wagner denken. Gerade zu diesem Komponisten hat Sebastian Weigle eine besondere Nähe. Und so erklang dieses Werk von Schönberg geradezu süffig, spätromantisch. Der Beginn kam mystisch, wie aus dem Nichts. Und dann spannte Weigle einen endlos anmutenden, nie abreißenden Spannungsbogen. Die Musik wirkte dabei geradezu theatralisch und vom Orchester erkennbar erlebt. Die Streicher erfreuten durch vollen, üppigen Klang. Auch in den diversen Soli konnte das Orchester für sich einnehmen. Wunderbar das Zusammenspiel und die aktive Interaktion. So wurde der Dialog der Liebenden sehr deutlich erlebbar. Die Intensität des Orchesterklanges hatte zeitweilig etwas Narkotisierendes. Herrlich, wie Weigle die lichtvollen Arpeggien am Ende des Stückes leuchten ließ. Ein Beginn voller emotionaler Intensität, formidabel umgesetzt und deutlich vom Publikum gewürdigt. Der vorweg genommene Höhepunkt des Konzertabends.
Gustav Mahler schrieb in den Jahren 1907/1908 seinen sinfonischen Liederzyklus „Das Lied von der Erde“. Inhaltlicher Auslöser war seine Beschäftigung mit altchinesischer Lyrik, die Hans Bethge in seiner Sammlung „Die chinesische Flöte“ zusammengefasst hatte. Stilistisch ist dieses neunte Orchesterwerk Mahlers eine Art Zwitter, d.h. sowohl Sinfonie als auch Liederzyklus. Mahler schrieb dieses Werk in seiner letzten Schaffensperiode. Auch hier ist das Endliche thematisiert. Der Komponist befand sich in jener Zeit in einer großen Krise. Gesundheitlich schwer angeschlagen durch seine Herzerkrankung und innerlich stark leidend. Seine geliebte Tochter Maria-Anna, gerade einmal vier Jahre jung, fiel der Diphtherie zum Opfer. Und auch beruflich ging es ihm schlecht. Eine antisemitische Hetzkampagne führte zu seinem Rücktritt als Direktor der Wiener Hofoper. Unter diesen schwersten Umständen ist das kompositorische Resultat geradezu wundersam zu nennen. Mahler selbst erachtete sein „Lied von der Erde“ als eines seiner besten Werke. In kaum einem seiner anderen symphonischen Werke gibt es derart viele Instrumentalsoli. Oftmals kommt es zum Dialog zwischen Sing- und Instrumentalstimme. Und doch bleibt es das Orchester, welches hier die ganze Pracht an Farben dem Zuhörer entgegenbringt.
Mahler fordert von seinen beiden Gesangssolisten größte Anstrengungen, vor allem von dem Tenor. Es war eine herbe Enttäuschung, wieder einmal mit einer Absage von Peter Seiffert konfrontiert zu werden, der ursprünglich dieses Konzert hätte singen sollen. Sehr bedauerlich, dass dieser großartige Sänger in den letzten Jahren derart viele Veranstaltungen absagte. Sein Ersatz, Nikolai Schukoff, ist ein ganz anderer Sänger-Charakter. Basierend auf einer baritonalen Mittellage konnte er seiner Tenorstimme nicht die notwendige Durchschlagskraft abringen, die notwendig ist, um vor allem im „Trinklied vom Jammer der Erde“ souverän, machtvoll durchzudringen. Hier musste Schukoff zuweilen forcieren, um sich Gehör zu verschaffen. So manche Höhe, auch etwa beim „Trunkenen im Frühling“ war doch hörbar erkämpft oder geriet zu knapp.
Erfreulich hingegen sein deutliches Bemühen, den Textgehalt zu erfassen und dessen Bedeutung zu gestalten. Von daher überzeugte Schukoff vor allem durch sein gestalterisches Potential, das er aber zu sehr in szenische Gesten übertrug und zu wenig in eine durchdachte Textreflexion. Wenn im ersten Lied mehrere Male „Dunkel ist das Leben“ immer identisch im Forte, ohne variierte Nuancierung gesungen wird, dann bleibt der Ausdruck oberflächlich und nichtssagend. Schärfer und deutlicher hätte seine Artikulation sein können. Die Konsonanten gerieten recht verwaschen. Auch dynamisch bewegte er sich zumeist monochrom im Bereich des Forte.
Katharina Magiera agierte in ihren Liedbeiträgen vorwiegend musikalisch. Brav gesungen und dynamisch kontrolliert gelang es ihr, die Momente des Innehaltens zu transportieren. Der Textverlauf wirkte bei ihr hingegen zu oft eindimensional und vordergründig. So erklangen „Der Einsame im Herbst“ und „Von der Schönheit“ arg beiläufig. Auch die Textverständlichkeit war zu wenig ausgeprägt. Zu oft wirkte ihr Vortrag nicht von innen erlebt, sondern lediglich als tonale Reproduktion des Notentextes. Aussagen, wie z.B. „Mein Herz ist müde“ oder „Ich weine viel“ wirkten nahezu unbeteiligt. Darunter litt leider dann auch das umfangreiche Schlusslied „Abschied“, dem so die Ewigkeitsnähe völlig abging. Insgesamt wirkte Magieras Gesang reichlich diesseitig. Ihrer Stimme fehlte die positive Dominanz, den Zuhörer in eine tiefe Welt der Erkenntnis zu führen. So huschten die Notenwerte zu beiläufig gestaltet und nett klingend vorbei. Das war zu wenig, um der Bedeutung dieses Werkes gerecht zu werden.
Klarer und stimmiger als dieses inhomogene Solisten-Duo zeigte sich das gut vorbereitete Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Aber Sebastian Weigle scheute hier eher die drastischen Farbgebungen oder dynamischen Extreme. Bereits die einleitende Quarte in den Hörnern erklang sehr zurückgenommen und wirkte zu deutlich gebremst. Er achtete auf die Sänger und half so gut er konnte, diese zur Entfaltung zu bringen. Dies ist löblich, jedoch blieb das Aufschäumende der Musik dabei in Teilen auf der Strecke. Natürlich zeigte er aber auch hier, wie gut er deutlich innehalten und tief in die Musik hineinhören konnte. Großartig, dass er sich für den „Abschied“ viel Zeit nahm, die Musik ausatmen ließ. Über seiner Interpretation schwebte jedoch zu sehr der Wille der Sicherheit, alles geordnet und wohl proportioniert zu realisieren.
Einmal mehr gilt es die Leistung des Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu würdigen. Auf hohem Niveau zeigte es seine stilistische Kompetenz und wiederholt seine große Nähe zur Musik Gustav Mahlers. Alle Stimmgruppen reagierten gut aufeinander und musizierten mit äußerstem Engagement. Das Orchester musste einfach gestalten, kommentieren und die notwendigen Subtexte transportieren, was die Gesangssolisten zu sehr schuldig blieben und beim Orchester bestens gelang. Darüber hinaus gab es eine Fülle geglückter Instrumentalsoli, wie z.B. von Flöte, vor allem Oboe und Englischhorn, Bass-Klarinette und Solo-Violine. Eine tadellose Gesamtleistung dieses besonderen Klangkörpers.
Das Publikum brauchte einige Zeit aus diesem so besonderen, einzigartigen musikalischen Kosmos dieses Werkes zurückzufinden. Mäßige Begeisterung.
Dirk Schauß, 15. Oktober 2019