Vorstellung am 3. Februar 2019
Emotionen wie in Wagners Musikdrama
Schon vor Jahren erlebte ich einmal die phantastische Musik von Richard Wagners opus summum , „Tristan und Isolde“ in Form eines Balletts auf einer Opernbühne. Das war im März 2011 im weißrussischen Minsk, wo die sehenswerte Produktion von Yuri Troyan, Regisseur und Choreograf, seither regelmäßig und völlig zu Recht gezeigt wird. Auch damals waren die Tänzer von Isolde, Tristan und Marke die drei Protagonisten, zusammen mit einer Gruppe des
Corps de ballet des Bolschoi-Theaters.
Das vom in Marokko gebürtigen Philippe Cohen geleitete Ballet du Gran Théatre de Genève gastierte mit einer überaus interessanten und dynamischen Produktion aus dem Jahre 2015 nun auf Teneriffa, im Auditorio Adán Martín am Hafen, wo die Ópera de Tenerife unter Leitung von Alejandro Abrante spielt. An zwei Abenden konnten die Tänzer aus Genf das kanarische Publikum regelrecht verzaubern. Denn leider bleibt das an sich schon interessant aussehende Auditorio mit seinem noch interessanteren Programm von den auf Teneriffa nur so wimmelnden Touristen fast unbemerkt. Allenfalls kommen einige aus Santa Cruz und dem nahen La Laguna mal ins Haus. Als regelmäßiger Besucher des Opernprogramms der Ópera de Tenerife (hier auch regelmäßig besprochen) habe ich solch einen begeisterten Applaus noch nicht erlebt. Kaum ging nach einer Stunde und 25 Minuten das Licht aus, sprangen viele der zu einem großen Teil jungen Besucher schon von den Sitzen, und ein intensives Klatsch- und Pfeifprogramm lief an.
Immerhin lässt das auch hoffen, dass die Musik von Richard Wagner, die hier in hervorragender Klangqualität allerdings noch aus den Lautsprechern kam, endlich nachhaltigeren Einzug ins Auditorio hält. Denn wie ich von der Direktion des Hauses hörte, ist das Publikum mit Wagner noch nicht allzu sehr vertraut und damit gegenüber dem Bayreuther Meister auch noch etwas reserviert. Man spielt vor allem das klassische italienische und französische Repertoire, oft in Koproduktion mit anderen Häusern, zumal vom spanischen Festland (Peninsula). Abrante wird auch aus diesem Grunde im Herbst ein großes Wagner/Verdi-Konzert aufführen, mit Überlegungen auch auf ein ganze Wagner-Oper später…
Nun, der französischen Choreografin Joelle Bouvier war ein ebenso phantasievolles wie nachvollziehbares Regiekonzept in sparsamen Bühnenbildern und mit den bestens auf Sujet und Handlung abgestimmten sowie farblich aussagekräftigen Kostümen von Sophie Hampe eingefallen. Das Bühnenbild von Emilie Roy sollte einfach sein und bestand im Prinzip lediglich aus einer schneckenförmigen dunklen Treppe, die einmal wie ein Schiff wirken sollte, ein anderes Mal wie die Burg Kareol. (Kareol hört sich ja auch fast an wie Karakol, die Schnecke…).
Große blaue Tuchbahnen, von den Tänzern immer wieder in Wallung versetzt, deuteten das Meer an und sorgten auch für einige Dynamik auf der Bühne. So sollten eher Assoziationen entstehen, anstatt eine Bebilderung des Geschehens zu liefern. Dieses Konzept ging – auch und zumal mit der hervorragenden Lichtregie von Renaud Lagier – mit der Choreografie der jungen Tänzer und Tänzerinnen des 22 Köpfe umfassenden Corps de ballet du Grand Théatre de Genève wunderbar auf.
Schade, dass außer über Philippe Cohen und Joelle Bouvier nichts über die Haupttänzer im ohnehin recht spartanischen Programmhaft stand – sie hätten es wahrlich verdient gehabt. Die blutjunge Madeline Wong tanzte einmal eine verinnerlichte, ein anderes Mal ekstatische Isolde, sehr flexibel in den Hebeformationen durch Tristan und das Corps de ballet und immer auch mimisch im Ausdruck der jeweiligen emotionalen Situation. Schon das erste Bild von ihr – noch während des Vorspiels – als phantomartig über die Bühne fliegende Isolde mit wallendem rotblauem Gewand war eine romantische Augenweide. Überhaupt hatte das Corps de ballet mit hier 18 Tänzern und Tänzerinnen eine wesentliche Rolle zu spielen, mal als Zeugen des Geschehens um die unglücklich endende Liebe zwischen Tristan und Isolde, mal als die Handlung vorantreibende Truppe mit interessanten Gruppenformationen und Einzeldarbietungen.
Geoffrey Van Dyck war ein vor allem leidender Tristan, oft mit freiem Oberkörper, wohl um diesen Ausdruck noch zu verstärken, immer aber in einem beigen und damit unauffälligen Outfit, eben nur ein Vasall König Markes. Van Dyck agierte theatralisch besonders stark, neben erstklassigen tänzerischen Einlagen, auch und insbesondere im pas de deux mit Wong. Die beiden passten perfekt zueinander, sie zudem mit der Farbe der Liebe, Rot, auch optisch hervorgehoben.
Einen starken Kontrast zu den beiden vermochte Armando González Besa als Marke zu setzen. In seinem langen getanzten Monolog und dunkelbraun wallendem Kostüm brachte er die ganze Palette der Gefühlsregungen König Markes zwischen dem Versuch zu verstehen, der Anklage der Verfehlung, sowie der finalen Enttäuschung über den Verlust der Braut tänzerisch höchst nachvollziehbar darzustellen. Dabei merkte man, dass die Choreografie von Joelle Bouvier, wie der Ballett-Kritiker Omar Khan im Programmheft meint, keine einfache Überführung des Wagnerschen Musikdramas in ein Ballett ist, sondern eine personifizierte Choreografie, die sich aus denselben Emotionen speist, die Wagner damals stimuliert haben. Und das war hier in der Tat eindrucksvoll zu erleben.
Es wäre interessant, eines Tages einmal ein andere Wagner-Oper, d.h. Ausschnitte daraus, als Ballett interpretiert zu sehen. Wie wäre es mit „Lohengrin“?! Romantisch ist dieser eh, und der Schwan wäre auch schon da… Vielleicht ein Vorschlag an die kommende Direktion der Wiener Staatsoper?
Fotos (c) Gregory Batardon / Auditorio de Santa Cruz de Tenerife
Klaus Billand 9.3.2019
Persönliche Anmerkung des Herausgebers
Lieber Klaus, Deine Worte in Gottes bzw. Martin Schläpfers (designierter Ballettdirektor des Wiener Staatsballetts) sensibles Ohr. Die meisten Ballettfans der Rheinoper in Düsseldorf und Duisburg haben 10 Jahre darunter gelitten, dass für ihren Ballettdirektor Handlungsballette nicht mehr zeitgemäß waren. Nacfragen beantwortete er stets so: Wer einen Schläpfer engagiert, weiß, dass es keine Handlungsballette gibt. Meine Tänzer sind alles individuelle Künstler; die können gar nicht auf Linie mehr tanzen. Man merkte ihm an, dass er es als eine Majestätsbeleidigung empfand in den vielen Jahren ständig darauf angesprochen zu werden.
Das größte Balletthaus von NRW schickte dreist seine Fans ins Umfeld nach Essen, Gelsenkirchen und Dortmund, wenn sie mal Schwanensee, Nussknacker oder Ähnliches sehen wollten. Dafür bekam der in Düsseldorf weltbekannte Schweizer Choreograph auch noch am Ende das Bundesverdienstkreuz.
Zwar gab Schläpfer am Ende dem Drängen nach und choreogrphierte einen dreistündigen (!) Schwanensee, den aber die Abonnenten regelmässig scharenweise in der Pause verliessen, weil er quasi schwanenlos und viel zu dunkel daher kam. Auch verstand niemand die Handlung mehr.
Seltsamerweise kam dieser Schwanensee gerade in dem Moment heraus, als seine Verpflichtung nach Wien bekannt wurde. Falls Dein Wunsch nach einem Wagnerballett Realität werden sollte, gebe ich eine Flasche Dom Perigon (1953, mein Geburtstjahrgang) aus. Aber meine Prognose: Eher fangen Eure wunderbaren Bergkühe in den Alpen an Gleitschirm zu fliegen ;-)))
Herzlich grüßt Dein P.B.