Halberstadt: „Otello“, Giuseppe Verdi

Ja, es gibt sie noch, Neuinszenierungen, die sich strikt an die Vorgabe des Originals halten und sie nicht durch zwanghafte Verlegung in die Gegenwart oder anderweitig bis zur Unkenntlichkeit verfremden. So ist derzeit Otello in der positiv konventionellen Regie von Werner Pichler beim Nordharzer Städtebundtheater zu erleben. Sehr verdienstvoll bringt das kleine Drei-Sparten-Haus Theater-Kultur nach Halberstadt, Quedlinburg und andere Orte im östlichen Harzvorland sowie im Sommer nach Thale und hat sich nun seit 60 Jahren wieder an Verdis geniales, höchste Anforderungen stellendes Spätwerk herangewagt. Leider hatte hier wie auch zurzeit andernorts die Erkältungswelle zugeschlagen, sodass Intendant und Musikdirektor Johannes Rieger vor Beginn darauf hinweisen musste, dass die Ausfälle im Opernchor und im Verstärkungschor nicht vollständig ersetzt werden konnten.

© Jan Arndt

Dennoch gelang der gewaltige Anfangschor recht eindrucksvoll, wie auch Otellos erster Auftritt „Esultate!“; jetzt wurde zugleich deutlich, wie die Ausstatterin Gretl Kautzsch mit einfachsten Mitteln (großes Segel hinter der später geteilten Kaimauer) und raffinierter Lichtregie eine jeweils passende Atmosphäre geschaffen hatte. In meist stimmungsgerechter Umgebung griff die sehr gut nachvollziehbare Personenführung des erfahrenen Regisseurs, der die komplizierten, durch Jagos hässliche Intrigen getrübten Beziehungen der handelnden Personen plausibel offen gelegt hatte. Hierbei half die bunte, fantasiereiche zeitgerechte Kleidung, wenn man einmal von dem unmöglichen Kostüm Jagos absieht; die Position Otellos als Außenseiter in der zypriotischen Gesellschaft wurde durch archaisierende Kleidung herausgestellt.
Die musikalische Seite der Aufführung hatte beachtliches Niveau: Hier ist an erster Stelle der niederländische Gast Zinzi Frohwein als meist in unschuldiges Weiß gekleidete Desdemona zu nennen. Sie wusste durch gleichmäßige, intonationsreine Führung ihres volltimbrierten, immer wieder schön aufblühenden Soprans durch alle Lagen zu gefallen. Die sich sonst meist etwas hinziehende Szene von Desdemonas Abschied vom Leben im Lied von der Weide und dem Ave Maria habe ich nur selten so anrührend und ergreifend erlebt.

© Jan Arndt

Der blonde Finne Juha Koskela hatte so einige Mühe, den fiesen, geradezu satanischen Jago glaubwürdig zu gestalten. Allerdings war das berühmte Credo besonders geschickt in Szene gesetzt, indem er es wie von einer Kirchenkanzel aus der Verkleidung des Backstein-Mauerwerks im Theatersaal vortrug. Rundum
beeindruckend war erneut die sängerische Kultur des bewährten Baritons. Die kräftezehrende Partie des Otello war Max An anvertraut, der ihn darstellerisch mit seinen Eifersuchtsattacken, aber auch mit seinen anfangs so zärtlichen Momenten gut auszufüllen wusste. Seine nicht allzu große Stimme sprach besonders in den lyrischen Passagen gut an. In den dramatischen Höhen gab es bei teilweise zu starkem Orchesterklang kleinere Intonationstrübungen.

© Jan Arndt

Stimmkräftig fiel als Cassio das neue Ensemblemitglied, der chilenische Tenor Francisco Huerta, auf. Mit ihrem charaktervollen Mezzosopran gab Regina Pätzer gestaltungssicher Jagos Ehefrau Emilia. Der sonore Bass von Gijs Nijkamp passte gut zum venezianischen Gesandten Lodovico. Rollengerecht ergänzten Se Jun Park (Roderigo), Michael Rapke (Montano) und Kiwon Kang (Herold). Die anfangs erwähnten, von Jan Rozehnal einstudierten, Chöre des Nordharzer Städtebundtheaters agierten jeweils lebhaft und erzielten trotz der angesagten Reduzierung im „Feuerchor“ und später weitgehend ausgewogene Klänge.
Das Publikum im leider nur mäßig besetzten Haus spendete starken, mit Bravos vermischten Applaus.

Gerhard Eckels, 10. Dezember 2022


Giuseppe Verdi „Otello“

Nordharzer Städtebundtheater Halberstadt

Premiere am 5. November 2022, besuchte Vorstellung am 9. Dezember 2022

Inszenierung: Werner Pichler

Musikalische Leitung: Johannes Rieger

Harzer Sinfoniker