Heidelberg: „Un ballo in maschera“

Premiere: 23. 1. 2014

Aufrechterhaltung von Fassaden

Es war wieder einmal ein ausgezeichneter Opernabend, die Premiere von Verdis „Un Ballo in Maschera“ am Theater der Stadt Heidelberg. Aber dass dieses grandiose Opernhaus von nur mittlerer Größe ein Garant für hohe Qualität ist, weiß man ja schon lange. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass sich eine Fahrt nach Heidelberg lohnt. So auch dieses Mal. Eine hervorragende modern-innovative Regie und ausgezeichnete Sängerleistungen ließen diesen gelungenen Abend zu einem Ereignis werden.

Gut durchdacht und technisch versiert umgesetzt war bereits die Inszenierung von Yona Kim. Sie machte aus Verdis Werk kein Ausstattungsstück, sondern legte den Focus auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Nora Lau hat ihr einen kargen, bis auf Riccardos Herrscherstuhl völlig leeren Gedankenraum auf die Bühne gestellt, in dem nichts von den starken Emotionen der handelnden Personen ablenkt. Erst zum Schluss hin wandelt sich die Szene zu einem prunkvollen Saal, in dem der Maskenball stattfindet. In diesem Ambiente wird die dramatische Handlung von der Regisseurin abwechslungsreich und stringent in Szene gesetzt. Einfühlsam nimmt sie den Zuschauer bei der Hand und begibt sich mit ihm auf die Suche nach dem dramatischen Zentrum, in dem die einzelnen Handlungsstränge zusammenlaufen. Dabei legt sie das Hauptgewicht ihrer Betrachtungen auf die zahlreichen Ambivalenzen, die Verdis Oper aufweist, und lässt zudem stark die Lehren eines Bertolt Brecht und Tschechow’sche Elemente in ihre Deutung mit einfließen, wodurch die Spannung noch erhöh t wird. Den neugierigen Intellekt hat ihre einige neue Aspekte aufweisende Interpretation voll und ganz befriedigt.

Den konzeptionellen Ansatzpunkt Frau Kims bildet der Begriff der Maske. Diesen versteht die Regisseurin nicht gegenständlich, sondern nimmt ihn gekonnt unter die psychologische Lupe. Das ganze Leben ist bei ihr nur eine Larve. Sämtliche am Geschehen beteiligte Personen tragen eine Maske. Das beginnt schon bei Riccardo, der nur äußerlich einen impulsiven Herrscher abgibt. In seinen privaten Momenten wirkt er dagegen ausgesprochen introvertiert. Er kann nicht gut allein sein und sucht deswegen die Abwechslung bringende Gefahr. Er ist kein wirklich starker Staatsführer und weiß, dass sein Thron auf wackligen Beinen steht. Deswegen setzt er seine Vertraute Ulrica als Spionin in der Maske einer Wahrsagerin ein, um die wahren Gedanken sowohl des Hofstaates als auch des Volkes zu ergründen. Dass er ihr genau in dem Moment, in dem sie wirklich etwas für ihn Lebensbedrohliches entdeckt, nicht glaubt, wächst sich zu seiner ganz persönlichen Haupttragik aus. Im Schlussakt verwandelt sich Ulrica in gleicher Weise zu einem Alter Ego Riccardos – das wird durch die von Hugo Holger Schneider kreierten identischen Kostüme klar ersichtlich – wie Oscar, der hier zu einer ihren Herrn aufrichtig liebenden Frau umgedeutet wird, die ihre eigentliche Einsamkeit durch diese Beziehung zu kaschieren versucht.

Man sieht: Aus mannigfaltigen Nöten und Konflikten verschiedenster Art versuchen die Handlungsträger ihre wahren Gedanken und Gefühle zu verbergen. Alles Äußere ist nur eine Fassade, die es zum Zwecke des Selbstschutzes heraus aufrechtzuerhalten gilt. Dieses von Larven bestimmte politische System wird von Yona Kim gekonnt mit dem Theater auf eine Stufe gestellt, in dem ebenfalls alles nur eine einzige große Maskerade ist. Das wird offenkundig, wenn man im zweiten Akt Amelia in Form einer riesigen Videoprojektion durch das Heidelberger Theater wandeln und schließlich aus dem Rang heraus die Bühne betreten sieht. Bei dem anschließenden großen Liebesduett verharren die Liebenden vor einem Zwischenvorhang auf entgegengesetzten Seiten der Vorderbühne. Die äußere Distanz zwischen ihnen betont ihren Willen, sich nicht aufeinander einzulassen. Schließlich nähern sie sich aber doch einander an, mag sich Amelias Ehemann Renato auch betrogen fühlen. Der schreckliche Verdacht des Ehebruches seiner Frau lässt auch ihn die Maske des treuen, verantwortungsbewussten Freundes ablegen und seine wahren, stürmischen Gefühle zum Ausdruck bringen. Es gibt hier praktisch keine Person, die sich nicht irgendwie verstellt. Erst der eigentliche Maskenball, bei dem die vorher modern gekleideten Handlungsträger in prachtvollen, traditionell anmutenden Verkleidungen erscheinen, lässt die Larven schließlich sowohl in realer als auch in symbolischer Hinsicht fallen. Das Versteckspiel endet und es zeigt sich jeder, wie er ist. An die Stelle des Scheins tritt nun das Sein.

Ein Hochgenuss war es, den Sängern zuzuhören. Wieder einmal wurde offensichtlich, was für ein hervorragendes Ensemble der erfolgreiche Operndirektor Heribert Germeshausen doch engagiert hat. Von den durchweg ausgezeichneten Solisten hat fast jeder das Zeug zu einer großen Karriere. Angus Wood hat die verschiedenen Gefühlzustände des Riccardo mit hoher schauspielerischer Kraft intensiv und einfühlsam vermittelt. Auch stimmlich erwies er sicht mit seinem kräftigen, bestens sitzenden und ausdrucksstarken italienischen Heldentenor als hervorragende Besetzung für den Gouverneur von Boston. Neben ihm lief Hye-Sung Na in der Partie der Amelia zu ganz großer Form auf. Bei dieser jungen, über gut focussiertes Sopranmaterial italienischer Schulung verfügenden Sängerin war es insbesondere die große Emotionalität ihres Ausdrucks, was einen ganz nachhaltigen Eindruck hinterließ. Ihr inbrünstig gesungenes „Morrò, ma prima in grazia“ war ein Höhepunkt der Aufführung. Einen ebenfalls vorbildlich italienisch fundierten, klaren und prägnanten Bariton brachte Matias Tosi für den Renato mit. Über weite Strecken erwies er sich als guter Vertreter seines Parts. Leider hat er bei den enormen Längen der Legatobögen des „O dolcezze perdute! O memoriere“ etwas zu oft geatmet, wodurch die Gesangslinie zerstückelt wurde. Dafür entschädigte bald darauf ein lang ausgehaltenes, kraftvolles hohes ‚g’. Mit tiefgründig und profund geführtem Mezzosopran verlieh Anna Peshes der Ulrica hohe vokale Autorität. Auch darstellerisch hat sie die neue Auffassung der Regie von ihrer Rolle überzeugend umgesetzt. Einfach umwerfend präsentierte sich als Oscar Sharleen Joynt, deren Bemühungen um eine tiefere Stütze ihres wohlklingenden, flexiblen Soprans offensichtlich von Erfolg gekrönt waren. Mit kernigen Bassstimmen statteten Wilfried Staber und Michael Zahn die beiden Verschwörer Samuel und Tom aus. Sonor präsentierte sich Zachary Wilsons Silvano. Für den Richter brachte Sang-Hoon Lee erheblich besser verankertes Tenormaterial mit, als man es bei dieser winzigen Rolle sonst gewohnt ist. Den Diener Amelias gab Dagang Zhang. Bestens disponiert zeigte sich der von Jan Schweiger, Anna Töller und Ursula Stigloher einstudierte Chor.

Dietger Holm und das Philharmonische Orchester Heidelberg erbrachten insgesamt eine solide Leistung. Indes hätte man sich manchmal etwas mehr Italianita und Rauschhaltigkeit des von ihnen erzeugten Klangteppichs gewünscht.

Fazit: Eine in szenischer und gesanglicher Hinsicht sehr zu empfehlende Aufführung, deren Besuch jedem Opernfreund nachhaltig ans Herz gelegt wird.

Ludwig Steinbach 25.1. 2014
(c) Bilder Florian Merdes

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