Schweinfurt: „Der Vetter aus Dingsda“

Aufführung im Theater der Stadt Schweinfurt 31.03.2017, Premiere in Hof 05.11.2016

Operette funktioniert auch ohne großes Orchester

Wieder einmal ist das Theater Hof im Theater Schweinfurt zu Gast und sorgt für einen fröhlichen Nachmittag und viele zufriedene Gesichter beim Nachhause gehen.

Die Geschichte, oder wollen wir lieber sagen das Märchen von der endlos liebenden Julia, die ganz fest daran glaubt, dass ihr Roderich, der ihr Treue fürs Leben geschworen hat, bevor er nach Dingsda, sprich Batavia aufgebrochen ist, zu ihr zurückkommt und man gemeinsam durchs Leben geht, ist halt auch gar so schön. Julia, die bei ihren ungeliebten Verwandten, Onkel und Tante aufwächst, verzehrt sich seit sieben Jahren nach ihrem Roderich und die einzige Verbindung, die sie zu ihm hat, ist der Mond, zu dem sie jeden Abend aufschaut, so wie man es sich versprochen hat. Ihre Freundin Hannchen steht ihr die ganzen Jahre treu zur Seite. Und dann erscheint er, der ferngeglaubte Roderich, der in Wahrheit ein gewisser August Kuhbrot ist, der die Situation erkennt und sie ausnutzt, vor allem, weil er sich unsterblich in Julia verliebt hat. Diese ist überglücklich. Dann jedoch wird das Glück von Egon von Wildenhagen, einem hoffnungslosen Verehrer Julias abrupt zerstört. Er kann ihr beweisen, dass ihr Roderich gar nicht ihr Roderich sein kann. Und obwohl sie ihn liebt, stößt sie den nunmehr Fremden fort, denn er ist ja nicht ihr ferner Geliebter. Dieser, nämlich der richtige Roderich, taucht nun auch auf, verliebt sich in Hannchen und ist total erstaunt, dass Julia so lange sich in Liebe verzehrend an ihn gedacht hat, denn für ihn war es eine Liebesspielerei, er hat sie längst vergessen. Er gibt sich als Roderich zu erkennen und nun erst merkt Julia, dass man mit dem Herzen lieben muss und nicht über den Mond. Sie sinkt ihrem Roderich, halt nein, August natürlich in die Arme und Roderich wird glücklich mit Hannchen. Und alle sind zufrieden – hoffen wir wenigstens.

Stefanie Rhaue – Marianne Lang – Benjamin Popson – James Tolksdorf (die zwei Vordergrund nicht gesungen)

Die Inszenierung von Holger Seitz bringt den märchenhaften Charakter der Handlung auf den Punkt. Viel Humor, manchmal sogar ein bisschen zu dick aufgetragen, und eine märchenhafte Handlung. Er führt die Rolle der Erzählerin ein, die Gute muss auch beide Diener spielen, und er kann hier auf ein Urgestein aus Hof zurückgreifen, die sich nach über 35 Jahren mit dieser zauberhaften Rolle von ihrem Theater verabschiedet, der in Bad Tölz geborenen Schauspielerin und Sängerin Marianne Lang. Sie ist immer als ein kleiner Kobold im Zentrum des Geschehens, verknüpft die Handlungsstränge miteinander, erläutert, wo es notwendig ist, führt, wo es erforderlich ist, ist immer präsent und gibt dem Ganzen eine außergewöhnliche Note. Man kann über diesen Kunstgriff verschiedener Meinung sein, auf jeden Fall ist sie ein belebender zentraler Teil im Zentrum des Geschehens. Die herrlich bunten, teilweise überdrehten und immer grell plakativen Kostüme von Ursula Gaisböck tragen einen weiteren Baustein zum Gelingen der Operette bei. Die Bühne selbst ist eigentlich sehr einfach, fast spartanisch ausgestattet. Verschiebbare Holzteile, Würfel, die man beliebig anordnen kann, geben das Geschehen dennoch gut wieder. Im hinteren Teil der Bühne, durch einen Vorhang abgetrennt spielen die Hofer Symphoniker oder das, was bei dieser Aufführung von Ihnen übriggeblieben ist. Ein Salonorchester, welches in kleiner Besetzung dennoch Großes zu leisten imstande ist. Das Dirigat hat an diesem Nachmittag Roland Vieweg und er macht einiges aus den im Verhältnis wenigen Musikern. Er führt sein Kammerorchester mit straffer Hand, schwungvoll, voller Elan, lässt es aufblühen und sich zum größten Teil auch sängerdienlich zurücknehmen, wenn es erforderlich ist. Fast vermisst man die rauschenden Wogen des normalen Symphonieorchesters nicht, oder nur wenig. Alles ist etwas überspitzt, die Bühne, die Kostüme, die Darstellungen. Alles auf einer bunten und spitzigen Fahrt durch die Landschaft des Vetters. Manchmal etwas überzeichnet, aber es passt und der Großteil des Publikums wird zu wahren Beifallsstürmen hingerissen. Ein paar ganz wenige haben in der Pause das Theater verlassen, ihnen ist es wohl etwas zu überzeichnet. Dies macht der guten Stimmung aber keinen Abbruch. Und zu dieser guten Stimmung tragen natürlich vor allem auch die Sängerdarsteller bei. Und da hat Hof an diesem Nachmittag einiges zu bieten.

Marianne Lang – nicht gesungen – nicht gesungen – Benjamin Popson

An erster Stelle zu nennen ist der junge amerikanische Tenor Benjamin Popson aus Port Clinton, Ohio, der als „erster Fremder“ August Kuhbrot, der den vermeintlichen Roderich gibt, eine gute Figur machen kann. Sein junges, unbekümmertes Spiel nimmt für ihn ein, sein geschmeidiger, warmer, lyrischer, zuweilen auch kraftvoller Tenor kann gefallen. Die Spitzentöne vermeidet er noch etwas, kann aber mit warmer fließender Stimme nicht nur seine Julia beeindrucken, sondern auch den größten Teil der anwesenden Damen im Publikum. Der arme Wandergesell erobert die Herzen der Damen im Nu und ist auf jeden Fall ein Glücksgriff für Hof, von dem und dessen Entwicklung man noch einiges erwarten kann. Ihm zur Seite die junge Rebekka Reister, die als Julia nicht nur den Mond besingt, sondern auch ihr Publikum bezaubert. Sie hat einen beweglichen, sehr schlanken und ausdruckstarken Sopran, der in jeder Lage zu leuchten und strahlen in der Lage ist. Sie kann nicht nur in ihren Soli punkten sondern auch in den Duetten mit Benjamin Popson. Mit vollem sonoren ausdrucksstarken, wuchtigen und kräftigen Bariton kann James Tolksdorf als Josef Kuhbrot, dem Vormund von Julia voll überzeugen, auch darstellerisch ist er ein eindrucksvoller Vormund. Als seine Frau Wilhelmine, genannt Wimpel, macht die Mezzosopranistin Stefanie Rhaue eine gute Figur. Präzise und stimmlich überzeugend verkörpert sie die Gattin des Vormunds. Ihr Kostüm ist vielleicht ein bisschen überzeichnet, aber das stört im Publikum niemanden. Karsten Jesgarz gibt den verliebten Intriganten Egon von Wildenhagen, er tut dies mit viel Einsatz, sowohl stimmlich als auch darstellerisch und kann seinen gepflegten Tenor gut zur Geltung bringen.

Stefanie Rhaue – nicht gesungen – Marianne Lang – James Tolksdorf

Als Hannchen muss Patrizia Margagliotta kurzfristig für die erkrankte Julia Spaeth einspringen. Sie stößt erst einen Tag vor der Aufführung zum Ensemble. Unter diesen Umständen, kann man der in Hilden geborenen Sopranistin nur gratulieren. Sie hat es geschafft, sich in kürzester Zeit in die Rolle zu singen. Darstellerisch mit viel Einsatz, sehr intensiv und charmant, nimmt sie für sich ein. Leider kommt sie mit ihrem warmen, aber nicht so durchschlagskräftigen Sopran nicht so über die Rampe. Dennoch eine – unter diesen Umständen – ausgezeichnete Leistung. Dem Einspringen ist dann wohl auch das wunderschöne Duett „Ach heil´ger Nikolaus“ zwischen dem zweiten Fremden und Hannchen zum Opfer gefallen. Dies ist umso bedauerlicher, weil der zweite Fremde von Tenor Thilo Andersson dargestellt wird. Dieser hat deshalb an diesem Nachmittag nur eine Sprechrolle, und dies finde ich deshalb so bedauerlich, weil ich Thilo Andersson in der Vergangenheit als exzellenten Sänger zu schätzen gelernt habe. Das Publikum jedenfalls ist zufrieden, langanhaltender warmer Applaus und fröhliche Gesichter beim Verlassen des Theaters zeigen, dass dieser Nachmittag eines auf jeden Fall gebracht hat, nämlich pure Unterhaltung. Und was will man mehr.

Manfred Drescher, 08.04.2017

Fotos Harald Dietz Fotografie, Hof