Winterthur: „Così fan tutte“

Opernhaus Zürich: Wiederaufnahme in Winterthur am 07.02.13 (Premiere am 28.06.09 am Opernhaus Zürich)

Die Affekte geraten aus dem Gleichgewicht

Winterthur verfügt über ein großes modernes Theater, aber nicht über ein eigenes Opernensemble. Die bis zu zehn Musiktheaterproduktionen pro Spielzeit werden als Gastspiele gegeben, die meisten von diversen deutschen Opernbühnen, aber auch regelmäßig vom Theater Biel/Solothurn, das hier in jeder Spielzeit gastiert. Die vorliegende Produktion von „Così fan tutte“ ist gewissermaßen gleichzeitig eine Wiederaufnahme vom benachbarten Opernhaus Zürich, wo die Inszenierung 2009 Premiere hatte. Vom Opernhaus Zürich stammen auch das Sängerensemble und der Chor.

Così fan tutte ist die letzte der drei Mozart-Da-Ponte-Opern, in Auftrag gegeben von Kaiser Joseph II. Den Text dieser Oper hat da Ponte nicht großenteils abgeschrieben (wie seinen Don Giovanni vom Gazzaniga-Librettisten Bertati) oder einfach übersetzt (wie seine Nozze aus dem Französischen von Beaumarchais), sondern ihn eigenständig nach literarischen Anregungen zunächst für eine Vertonung durch Salieri erstellt. Letzterer hielt Handlung und Text nicht würdig für eine Vertonung. Dieser Verachtung haben wir die dritte prächtige und heute als gleichwertig angesehene Mozart-Oper des Triptychons zu verdanken. Dennoch hat das Werk wegen seines als frivol angesehenen Stoffes lange Zeit nur ein Schattendasein geführt. Von Beethoven ist eine Äußerung über dessen Unverständnis überliefert, dass Mozart sein musikalisches Genie an einen solchen Stoff verschwenden konnte… 1939 bis 1944 war die Oper in Deutschland gar verboten, weil es als wehrkraftzersetzend angesehen wurde, dass nicht einmal einen Tag nach dem Ausrücken der pflichttreuen Soldaten deren Frauen es schon mit anderen anfingen, gar mit Ausländern. Erst in jüngerer Zeit hat Così fan tutte ihre gleichrangige Stellung im Triptychon erreicht, was sicher auch mir der Tendenz zunehmender psychologischer Vertiefungen der Operninszenierungen zusammenhängt.

Martina Janková als Despina

Die beiden Aspekte der Oper, erst Komödie und dann Seelendrama, hat Sven-Eric Bechtolf in seiner Inszenierung in aller Deutlichkeit entwickelt. Der erste Akt ist eine fast reinrassige quirlige Buffa mit Späßen hin bis zum Derben; legt aber letztlich nur die Basis zu dem Psychodrama des zweiten Akts, an dem Feministinnen ihre Freude haben könnten. Denn in seltener Klarheit wird gezeigt, dass Don Alfonso nicht die Frauen vorführt, sondern die Männer verhöhnt: Trophäentrieb (cherchez la femme), Eitelkeit, Eifersucht, Rache. Bechtolf teilt uns seine Ansicht zu der Oper nicht auf die subtilste, wohl aber auf eine sehr wirkungsvolle Weise mit. In der prologartigen ersten Szene wird nur ein kleiner Guckkasten aufgemacht. Die drei Männer stehen bei ihrer Wette vor einem großen Vitrinenschrank mit naturhistorischen Exponaten: Man befindet sich in der Zeit der Aufklärung. Dass die beim Innenleben der beiden Männer noch nicht angekommen ist, zeigt die dann folgende Geschichte. Dazu wird die ganze Bühne aufgezogen. Rolf Glittenberg hat als Einheitsbühnenbild einen hohen weißen Raum mit großen hohen Durchgängen durch die schräg über die Bühne verlaufenden Wänden aufgebaut. Das ist kalter Neoklassizismus, zu welchem die hübschen, etwas vereinfachten Rokoko-Kostüme der Darsteller kontrastieren (Kostüme: Marianne Glittenberg). In der Mitte steht eine große Zypresse, welche die Halle vom Garten dahinter trennt. Zwölf Stühle sind symmetrisch im Bühnenbild verteilt, wie der Symmetrie überhaupt bei der Oper und ihrer Inszenierung eine große Rolle zukommt.

Malin Hartelius (Fiordiligi); Dorabella (Premierenbesetzung);

Mozarts Oper ist in vielen Aspekten streng symmetrisch angeordnet, vom Großen bis ins kleine, z.B. der musikalischen Struktur einzelner Ensembles. Bechtolf übernimmt das Prinzip in seine Personenregie und macht es auch zum darstellerischen Stilmittel. Denn die Symmetrie als Folie der klassischen Ausgewogenheit zerbricht, als die beiden Damen sich zur Enthemmung mit Rotwein angetrunken haben und ihre Herren von Eifersucht getrieben aufeinander losgehen; die Affekte sind aus dem Lot geraten. Zum Schluss beim Jubelchor: Fortunato l’uom che prende ogni cosa pel buon verso (Glücklich wer allem eine gute Seite abgewinnen kann), geht es wieder schön symmetrisch und glücklich an der Rampe zu, wobei die Regie noch ein fatales (und nicht ganz stringentes) Zeichen setzt und Dorabella aus der falschen Flasche trinken lässt… Glänzend im Detail und gut durchdacht ist Bechtolfs Regiearbeit. Die Rezitative waren kaum gekürzt und erforderten, um nicht zu lang zu wirken, viele gute Regieeinfälle und beste Umsetzung durch die Akteure, denen andrerseits bei den Arien bewegungsmäßig mehr Statik gegönnt wird, so dass sie sich auf das anspruchsvolle Singen konzentrieren können.

Oliver Widmer (Don Alfonso); Malin Hartelius (Fiordiligi); Ferrando, Dorabella (Premierenbesetzung); Ruben Drole (Guglielmo)

Für die szenische Wiedereinstudierung hatte Claudia Bersch eine tolle Truppe zur Hand, bei deren Mitgliedern szenische und musikalische Umsetzung zu teilweise idealtypischen Personenzeichnungen führten. An erster Stelle sei die Despina der Martina Janková genannt. Sie gibt das biestige Dienstmädchen mit dem stacheligen Namen. Von Mozart und Da Ponte stammt wohl die perfekteste Figur dieses Genres der schlauen, aufsässigen Dienerinnen, die woanders Serpetta, Serpina, Vespetta oder ähnlich heißen. In der bürgerlich-betulichen Gesellschaft der Oper hat sie mit ihrer Insolenz sogar revolutionäres Potential. Frau Janková gab sie mit hinreißendem Spiel und leichtem, sehr beweglichem Sopran, der einen verführerischen Schmelz in der Höhe aufwies: eine Traumbesetzung! Das traf auch für Malin Hartelius‘ Fiordiligi zu: eine noble Mozart-Heroine mit traumhaft klarer, heller Stimme, deren Ausdruckskraft sie mit virtuoser Intonationssicherheit und Koloraturfestigkeit verbindet. Mozart hat ihr zwei Arien im Seria-Stil (jeweils auf accompagnati folgend) gegeben, mit der sie das Publikum verzückte. Mit ihrem dunklem Timbre dazu schön kontrastierend (und so als ideale Duett-Besetzung!) gab Anna Stéphany die Dorabella mit schöner warmer Grundierung und großer stimmlicher Klarheit. Das Damentrio allen war den Besuch des Abends wert.

Ruben Drole (Guglielmo); Oliver Widmer (Don Alfonso); Ferrando

Ruben Drole gab mit warmem und kraftvoll-expressiven Bariton einen überlegenen Guglielmo und erledigte die an ihn ebenso wie an Ferrando gestellten hohen schauspielerischen Anforderungen bravourös wie auch der letztere, für den eine Woche vor der Wiederaufnahme Ilker Arcayürek vom Internationalen Opernstudio Zürich eingesprungen war und diese Rolle innert einer Woche erarbeiten konnte. Dass das der Intendant der Oper Zürich, Andreas Homoki, persönlich vor den Vorhang trat, um das zu verkünden, zeigt, wie stolz beide sein können, dass das klappte. Denn Arcayürtek meisterte Herausforderung und Chance mit seinem leichtenden jugendlich-lyrischen Tenor, der für Mozartrollen wie prädestiniert scheint. Dass auch noch ein wenig Aufregung im Spiel war, bewiesen kleinere Unsicherheiten sowie die Tatsache, dass er sich nach der Vorführung mit Dankbarkeitsgesten in Richtung der maestra suggeritore wandte. Komplettiert wurde das Sängersextett von Oliver Widmer als Don Alfonso. Er gab die Rolle nicht als der gelassen-zynische Philosoph, sondern eher etwas giftig, wozu auch sein sehr heller Bass beitrug, der nicht immer ohne Schärfe blieb.

Oliver Widmer (Don Alfonso); Malin Hartelius (Fiordiligi)

Wenn etwas zur Vollkommenheit des Abends gefehlt hat, lag das beim Orchester. Es spielte das Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Thomas Rösner. Der legte einen insgesamt leichten und eleganten, aber streckenweise trocken wirkenden Ton an. Abgesehen von kleineren Differenzen zischen Graben und Bühne und Unkonzentriertheiten der Bläser (bei dieser Partitur wird sowohl vom Holz als auch von den Hörnern passagenweise große Virtuosität gefordert) wurde sauber und präzise musiziert. Aber es fehlte dem Dirigat an Inspiration, brillanter Dynamik und dramatischer Schärfung, was erst zum Schluss aufkam. Jürg Hämmerli hatte dem szenisch bestens eingebunden Chor präzise und klangschön neu einstudiert.

Viel Beifall gab es zum Schluss im sehr gut besuchten Haus in Winterthur. Sich Spitzensänger vom Ensemble der Oper Zürich zu Preisen des Theaters Winterthur anhören zu können, ist nicht alltäglich; und man sollte sich eigentlich nicht entgehen lassen. Cos`fan tutte wird noch am 13., 15. u d 17. Februar in Winterthur gegeben.

Manfred Langer, 11.02.2013
Fotos: Suzanne Schwiertz

Video: http://www.opernhaus.ch/vorstellung/detail/cosi-fan-tutte-07-02-2013/#section_videos