München: „Mauerschau“

Uraufführung: 29. Juni 2016, besuchte Vorstellung: 1. Juli 2016

OPERNFESTSPIELE 2016

Das Motto der Münchener Opernfestspiele 2015 war das Kleist-Zitat „Küsse, Bisse“ aus „Penthesilea“. Im Programm befand sich aber keine „Penthesilea“-Oper, obwohl Othmar Schoecks Vertonung einige Bekanntheit erlangt hat. Als der Duisburger Komponist Hauke Berheide den Auftrag für ein Werk für die Festspiele 2016 erhielt, ließ er sich von Amazonenstoff inspirieren, und ging gleichzeitig der Frage nach, ob die Wahrheit über einen Krieg in den Medien überhaupt vermittelbar ist? Im Rahmen der Münchener Opernfestspiele erlebte „Mauerschau“ nun seine erfolgreiche Uraufführung in der Reithalle.

Berheides Ansatz ist somit ein ganz anderer als bei Schoeck, der die Geschichte linear erzählt. Librettistin und Regisseurin Amy Stebbins zeigt zwar auch die blutige Liebesgeschichte zwischen Achill und Penthesilea, bricht die Handlung aber mehrfach: Beiden Protagonisten werden noch zwei singende Schatten an die Seite gestellt, was große Ensembleszenen ermöglicht. Schauspielerin Hildegard Schmahl verkörpert eine Botin, welche die Geschichte mit Berichten von der technischen Entwicklung der Nachrichtenmedien unterbricht.

Die Frage nach der Realität in der Vermittlung in der Kriegsberichterstattung stellen Stebbins und Berheide in einer Szene, in der Penthesilea tot zu Achilles Füßen liegt, so dass man sich fragt, wer jetzt wirklich wen umgebracht hat. Dazu singt Achilles den Monolog des „Prinz von Homburg“ „Nun, Unsterblichkeit bist Du ganz mein!“. Das klingt schwelgerisch-schön wie bei Henze, der ja eine ganze Oper über den Prinzen geschrieben hat.

Insgesamt ist Pentesilea so dominant, dass Achill fast schon zur Nebenfigur wird. Weil er und seine Schatten meist nur im hinteren Bühnenbereich agieren, kann man auch folgern, dass Pentesilea sich ihn nur erträumt, was erneut den Realitätsgehalt des Geschehens hinterfragt.

Wie es sich für eine gute zeitgenössische Oper gehört steht hinter dem ganzen Projekt ein intellektuelles Konzept, dass dann aber durch die Inszenierung und besonders durch die Musik Berheides auch emotional berührt. Der stete Wechsel zwischen Liebesduette, Kriegsszenen, Chören und Medien-Reflexionen sorgt dafür, dass in den 85 Minuten der Aufführung keine Langeweile aufkommt.

Hauke Berheides Musik ist abwechslungsreich und treibt das Geschehen schnell voran: In den Duetten gönnt er dem Publikum auch romantische Schwelgereien, die Kriegsszenen klingen angemessen brutal. Das Schlagwerk wird differenziert und sehr phantasievoll eingesetzt. Das Orchester umfasst nicht einmal 30 Musiker, wird aber höchst eindrucks- und effektvoll eingesetzt.

Librettistin Amy Stebbins zeigt, dass sie auch eine versierte Regisseurin ist und bringt einen szenisch spannenden Abend auf die Bühne. Das amerikanisch-deutsche Team „Luftwerk“ erschafft durch Projektionen Räume, in denen die antiken Figuren wie in Bilderrahmen ausgestellt werden. In der Kombination mit den historisierenden Kostümen von Belén Montoliú wirkt das manchmal als wäre man in der Glyptothek und würde miterleben, wie die Statuen lebendig werden.

Für den musikalischen Erfolg der Aufführung sorgt Petrenko-Assistentin Oksana Lyniv, welche das Stück mit zügigen Tempi dirigiert. Berheide Musik lässt sie effektvoll schillern und zu ihrem dramatischen Recht kommen. Auch die Koordination von Bühne, Graben, Chor und Instrumenten, die aus dem Foyer in den Saal schallen, gelingt ihr vorzüglich.

Mezzosopranistin Adriana Bastidas-Gamboa singt die Penthesilea als Gast von der Kölner Oper und zeigt ein facettenreiches Porträt der Hauptfigur. Ihre Stimme besitzt einen beachtlichen Umfang, schmettert selbst in der Altlage noch wuchtig und klingt in der Höhe wild und dramatisch. Gleichzeitig zeigt sie die Penthesilea nicht nur als wilde Furie, sondern auch als verletzliche Frau. Als Schatten-Double stehen ihr Leela Subramaniam und Hanna Herfurtner zur Seite.

Mit kernigem Bariton singt Edwin Crossley-Mercer den Achill, seine Schatten sind Joshua Owen Mills und Frederic Jost. Schauspielerin Hildegard Schmahl spielt die Botin mit trockenem Erzählton. Als besonderes Bonbon darf sie auch ein Song im Weill-Stil zum Besten geben.

Insgesamt ist diese „Mauerschau“ ein gelungenes Beispiel für eine moderne Oper, die auch beim Publikum ankommt. Man darf auf weitere Bühnenwerke von Berheide gespannt sein, denn mit diesem Stück beweist er sein großes Talent für das Musiktheater. Zudem ist „Mauerschau“ dank seiner kleinen Besetzung ein Stück, das von jedem deutschen Opernhaus problemlos besetzt und aufgeführt werden kann.

Rudolf Hermes 8.7.16

Bilder (c) Hösel