Premiere: 29.7. 2021. Besuchte Vorstellung: Generalprobe, 23.7. 2021
Während die Wagnersche Harmonik zwischen Gewesenem und Zukünftigem schwankt, ist die koloristische Dimension recht eigentlich von ihm entdeckt worden.
Theodor W. Adorno: Versuch über Wagner. V: Farbe.
Dass Hermann Nitsch, der Großmeister der Aktionskunst, der Zeremonienmeister der Prinzendorfer Schlacht-Festspiele, einmal mit einer „Malaktion“ in Bayreuth auftreten würde, war spätestens zu erwarten, seit er in einigen Opernhäusern Stücke ausstattete und aktionistisch bereicherte, die zu seinem persönlichen Stil zu passen scheinen: Massenets Herodiade und Messiaens St. Francois d‘Assise eignet auf je verschiedene Weise etwas, was einen alten Leben-und-Tod-Mystiker wie Nitsch in den Bann ziehen musste. Dass er einmal eine Parsifal-Aktion veranstaltete, war kein Zufall, wenn auch noch keine direkte Bewerbung für eine mögliche Inszenierung des „Bühnenweihfestspiels“ in der Gralsburg der Wagnerianer selbst. Dass er nun spät, doch wohl nicht zu spät am Ort in Erscheinung tritt, indem er seine Mitarbeiter am Heiligen Werk auf der Bühne des Festspielhauses agieren lässt (und sie vom rechten Inspizientenpult aus dirigiert), ist somit fast folgerichtig, auch wenn‘s „nur“ Die Walküre, nicht Wagners „letzte Karte“ ist.
Bildende Kunst und Oper: die Begegnung ist nicht neu, sondern spätestens seit der Moderne erprobt, wobei die Frage stets war, ob der Maler oder Bildhauer (wie Alfred Hrdlicka, der den Meininger Ring skulptierte) einen Beitrag zum Gesamtkunstwerk liefert oder eine eigenständige Position einnimmt. Die Zuschauer, die die Generalprobe der ungewöhnlichsten Bayreuther Walküre aller bisherigen Zeiten erleben konnten, einigten sich darauf, dass Nitschs Beitrag zum Musikdrama “nicht gestört“ hätte – wer länger über den Abend nachdenkt, wird zum Ergebnis kommen, dass die Meinung zwar nicht ganz falsch, aber ungerecht ist: denn ein Zusammenklang zwischen Bühnenaktion, Musik und Bild musste unausweichlich entstehen, wenn man es nicht vorzog, die Augen zu schließen. Immerhin birgt die versöhnliche Aussage das Urteil, dass die ungewöhnliche Kombination von viertelszenischer Aufführung der Walküre und gleichzeitiger Herstellung mehrerer Schüttbilder einen eigenen Reiz hatte, der das Kunstwerk Oper nicht beschädigte, freilich auch nicht en detail berührte. Dass Wagner selbst die Aktion in einem mindestens 50 Seiten langen Aufsatz vehement abgelehnt hätte, weil unterm Strich kein „Gesamtkunstwerk“, sondern – in Brechtschem Sinn – bisweilen eine mehr oder weniger deutliche Trennung beider Sphären entstand, macht das Unternehmen nicht obsolet. Im Gegenteil: Die Berührungen zwischen der Farbe, den Farben und der Dramaturgie des Werks zu beobachten, ist äußerst spannend. Ohne gleich von „Synästhesie“ zu reden, darf Nitsch zitiert werden: „die malvorgänge sollen wie musik sein. Klänge werden zu farben“. Was hier entstand, war durchaus neu, auch wenn kein neuer Blick auf die Walküre selbst erwartet werden konnte – allein die persönliche Deutung eines Künstlers, der es liebt, in Farben zu schwelgen und sich auf das Abenteuer einließ, sich live von Wagners Musik inspirieren zu lassen, um zu belegen, dass sich das orgien mysterien theater vom früheren Gesamtkunstwerk direkt ableitet.
Die Wahl der Farbe hängt von keiner Regel ab. Das koloristische Moment, über das Wagner in voller Freiheit gebietet, ist zunächst die Domäne seines Subjektivismus.
Adorno
Auftritt der Sänger. Sie tragen weite schwarze, leicht wallende Gewänder, die die Erinnerung an den großen Wiener Maler Gustav Klimt wachrufen. Mit dem ersten Takt beginnt Nitschs Mannschaft zu schütten: von oben, acht Meter hoch, läuft die Farbe langsam hinab. Unten macht es vernehmlich „Schwapp“, wenn die untere Fläche beschüttet wird. Grün, blau, violett, das sind die Farben der Natur, die Nitsch dem Wälsungenpaar schenkt, grün und blau sind die Farbakzente fast des gesamten ersten Akts. Der Rezensent denkt an eine der legendären Regieanweisungen Fritz Kortners: „Mehr grün!“ – aber mehr Grün geht kaum, bevor in einem der wenigen, aber sehr genauen Wechsel der Farbakzente der „Wonnemond“ in Blau erstrahlt. Nitsch interpretiert die dramaturgischen Wendepunkte der Walküre auf eine Weise, die vermuten lässt, dass die Farbpunkte und -akkorde, die an Kandinskys Farbmetaphysik denken lassen, auch anders gesetzt werden können. Dennoch ist hier alles logisch – beginnt Wotans Monolog in tiefem Blau, was Ausdeutungen in Richtung Königtum möglich macht, wird die Rückwand schon schnell in ein sattes, leuchtendes Schwarz gesenkt: Alberichs Heer der nächtlichen Nibelungen ist dunkel, nicht leuchtend wie eine Todverkündigung, die in Gelb gemalt wird (dass die Compagnie des knappen Dutzends Malergehilfen wie ein kleines Nibelungenheer erscheint, hat an diesem Abend seinen eigenen Witz). Der Verlauf – in Zusammenhang mit den von oben geschütteten Farbstreifen hat das Wort einen Doppelsinn – organisiert sich bei Nitsch nach einigen wenigen, aber überzeugenden Crescendi, Decrescendi und nochmaligen Steigerungen; am Ende des 1. Akts tritt, nachdem das Blau der Natur aufstrahlte und sich wieder abschwächte, endlich, es muss einfach bei Nitsch in Erscheinung treten, ab „Siegmund heiß ich“ ein kräftiges Rot: als Signum der Vitalität des (Wälsungen-)Bluts.
Beginnt der vitalistische 2. Akt mit einem strahlenden Farbklang aus Gelb und Orange, einer Farbsymphonie, in der das Blau zunächst noch ausgeschlossen ist, erglänzt die Götternot in Grau, dann in Schwarz – Helligkeit kommt erst wieder ins Spiel, wenn Wotan sich mit Brünnhilde über Siegmund streitet: ein Hoffnungsstrahl am Horizont, Rosa und Grün besiegen die Finsternis, Siegmund und Sieglinde sind weiß, nichts als weiß (so weiß wie der Tenor, der den einzigen wahren „Helden“ der Tetralogie an diesem Abend singt). Und rot ist, natürlich, der Kampf, der den Helden fällt; das Blut wird diesmal geschüttet, nicht vergossen.
… in der Art, dass jene Farbe selbst zur Aktion wurde.
Richard Wagner: „Zukunftsmusik“
Es eröffnet auch den dritten Akt, der die Walküren rot, sehr rot ausstattet. Bevor es schließlich den letzten, gewaltigen Farbakzent des Feuerzaubers macht, dürfen Sieglinde, in einer der auratischsten „Stellen“ des Ring , im symbolischen Grün der Hoffnung schimmern und die Walküren in Weiß abgehen. Erregt Wotan sich immer mehr gegen die abtrünnige Tochter, wird das Schütten merklich mächtiger, grün, mehr grün (denkt der Besucher), ein Violett, das die Erinnerung an die Frauenbewegung wohl unabsichtlich provoziert, leitet über zu Nitschs Haupt- und Lieblingsfarbe – um die Wand auch im unteren Drittel ins Tiefrot zu setzen, wird nun – ab „Du zeugtest ein wildes Geschlecht“ – von unten geschüttet; der Feuerzauber glüht höchst vernehmlich von der Wand, über der immer wieder Nitschs Assistenten erscheinen, um ihre Kannen an den Rand zu setzen. „er war immer mein lehrer“, schreibt nitsch im programmheft. Auf der Bühne sieht man die Schüler des Schülers am heiligen Werk.
die innerhalb des spieles ästhetisch sich verwertende abreaktion macht die ursache von individuellen neurosen bewusst.
Hermann Nitsch
Erscheint die Bühne mit ihren gewaltigen zwei horizontalen und vertikalen Malertafeln wie ein bespieltes Gemälde, so agieren die Sänger so, wie man es von konzertanten Aufführungen kennt: andeutungsweise interagierend. Es herrscht ein Berührungsverbot, die Walküren stehen, seltsam zu sehen, stocksteif, als sängen sie ein Oratorium. Wenn Siegmund Sieglinde zart an den Wangen berührt, ist‘s eine Sensation. Aus der Zeichnung, die in Wagners Musik ein vollkommenes Bild ist, wird plötzlich ein Gemälde. Wie eine Befreiung der Szene wirkt es auch, wenn Brünnhilde sich begeistert dazu entschließt, Siegmund zu retten und gleichzeitig, als szenischer Kontrapunkt, eine weißgewandete Frau mit verbundenen Augen, eben eine typische Nitsch-Performance-Frau, auf ein Kreuz montiert, von vier Assistenzfiguren aufgerichtet und sodann, natürlich, mit roter Farbe übergossen wird. Antikes Opfer, Christentum und Wagner scheinen einen Moment lang eins, die Aneignung ist so willkürlich wie vollkommen. Man hatte es erwarte und zugleich nicht erwartet – das Beste aber kommt zum Schluss: wieder wird eine auf ein Kreuz gebundene Frau hineingetragen, dann wird ein Mann mit verbundenen Augen hineingeführt, dessen einzige Aufgabe darin besteht, eine Monstranz zu halten. Das Grandiose, schwer Deutbare, geschieht. Bei Wotans emphatischer Anrede an die Tochter, die er gleich, wie ein anderes Opfer (Siegmund war das erste), zur Ruhe legen wird, also bei „Deiner Augen leuchtendes Paar“, wird die Monstranz gehoben und präsentiert. Und wie zum Beweis, dass es bei Wagner stets eine Identität von Musik und Geste gibt, senkt sie sich beim Erklingen des Schlafmotivs.
Wie auch immer die radikale Katholisierung der Opfergeschichte von Siegmund und Brünnhilde zu beurteilen ist: die szenischen Einschnitte, die Hermann Nitsch hier vornahm, wirken, ja: sie wirken stark und dezidiert.
Die Bilder werden bleiben
Christoph Schlingensief: Parsifal, Bayreuth 2004
Zugegeben: Manchmal, genauer: ab dem zweiten Akt agieren die Sänger so stark, dass die Bilder unwichtig werden und noch mehr in den Hintergrund rücken, als sie eh schon stehen und liegen. Mag sein, dass dies mit dem Wort gemeint war, dass sie „nicht stören“ würden. Tatsächlich ist es über weite Strecken unmöglich, den Zusammenhang zwischen Bild/Farb/akkord und Musik/Drama zu bemerken – völlig unabhängig davon, ob ein wirklicher Zusammenhang besteht oder die Schüttung auf einer anderen Ebene buchstäblich verläuft als das, was gerade akustisch und viertelszenisch geschieht; nicht vergessen werden darf allerdings, dass schon die Schütt-, Wisch- und Herumlaufgänge und -krauchereien der Farbassistenten einen szenischen Charakter besitzen, der an die von der „eigentlichen“ Walküre-Handlung unabhängigen buchstäblichen Aktionen der Statisten erinnert, die in Frank Castorfs unvergesslicher Bayreuther Inszenierung die Bühne als russische Revolutionäre bevölkerten. Was in Nitschs Walküre-Interpretation – es war eine – bleiben wird, ist die Gewalt zweier Farbflächen pro Akt, die sich dem Drama erstaunlich eng anschmiegten, ließ man sich erst einmal auf die Langsamkeit ein, mit der die Wechsel der Farbakzente und -mischungen vor sich gingen – aber auch Wagners Dramaturgie zeichnet sich ja nicht gerade durch rasante Schnelligkeit aus.