Bayreuth: „Die Walküre“, Richard Wagner

Im Bayreuther Festspielhaus erlebte Valentin Schwarz‘ Inszenierung von Wagners Walküre in dem Bühnenbild von Andrea Cozzi und den Kostümen Andy Besuchs eine gelungene Wiederaufnahme. Und da sage mir noch einmal einer, dass diese Produktion nicht gelungen sei. Hier haben wir es mit hoch spannendem Musiktheater zu tun. Was Schwarz an diesem Abend mit Hilfe einer stringenten Personenregie auf die Bühne gebracht hat, war in hohem Maße ansprechend und hervorragend durchdacht. Beim Schlussapplaus gab es keinen einzigen Buhruf – ein deutliches Zeichen dafür, dass das Gesehene das Publikum angesprochen hat. Das ist gegenüber letztem Jahr ein deutlicher Fortschritt.

Auch in der Walküre geht es Schwarz wiederrum um eine ausgemachte Netflix-Dramaturgie, um die Sichtbarmachung ausgeprägter Missstände innerhalb eines Familien-Clans, der sich ebenfalls in verbrecherischen Umtrieben ergeht. Sex und Crime herrschen, wo man nur hinsieht. Auch hier ist wieder zu konstatieren, dass der Regisseur im Umgang mit Tschechowschen Elementen sehr bewandert ist. Immer wieder lässt er einzelne Personen an Stellen in Erscheinung treten, an denen Wagner für diese gar keinen Auftritt vorgesehen hat. Durch diese Vorgehensweise wird die Spannung enorm erhöht. Zu Beginn des ersten Aufzuges nimmt der Wachmann Hunding die zahlreichen, in seinem Domizil an der Wand hängenden Kinderphotos in Augenschein. Seine Wohnung wird von einer wurzellos an der Erde liegenden Esche dominiert, die ein Sturm in diese Lage gebracht hat. Dieser hat auch die Elektronik in Hundings Unterkunft fast gänzlich lahmgelegt. Immer erneut erlöschen die Lichter in den sich stets aufs Neue verschiebbaren Räumen. Als Ersatz dafür müssen dann Taschenlampen herhalten.

© Enrico Nawrath

In diesem Ambiente gelingt Schwarz eine eindringliche Schilderung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Das gilt insbesondere für Siegmund und Sieglinde. Auffällig ist, dass Sieglinde hier bereits im ersten Aufzug hochschwanger ist. Da fragt man sich selbstverständlich, wer sie geschwängert hat. Siegmund und Hunding scheiden aus. Die Lösung ergibt sich am Schluss des zweiten Aufzuges, wenn Wotan seiner menschlichen Tochter unter den Rock greift und ihr das Höschen vom Leib streift. Er ist offenbar der Vater des Helden Siegfried, der zwischen dem zweiten und dem dritten Aufzug das Licht der Welt erblickt und im dritten Aufzug als Baby behände herumgereicht wird. Hier findet der Inzest auf einer anderen Ebene als von Wagner vorgesehen statt, was eine frische Neudeutung darstellt. Damit spricht Schwarz Siegmund zwar eine nicht unwesentliche Funktion ab, aber es bleibt zwischen den Zwillingen noch genügend Liebe übrig, um Fricka in ausgeprägte Wut zu versetzen. Ein trefflicher Einfall von Schwarz ist es, dass Hunding während des Anfangs der dritten Szene des ersten Aufzuges durch Sieglindes Schlaftrunk betäubt am linken Rand der Bühne sitzt. Man wird das Gefühl nicht los, dass er jeden Augenblick erwachen könnte, was am Ende des ersten Aufzuges dann auch geschieht. Wütend geht er auf das Wälsungen-Paar los. Bei diesem gelungenen Regieeinfall handelt es sich erneut um ein treffliches Tschechowsches Element. Besonders gefallen in dieser Produktion die Winterstürme, in denen Siegmund und Sieglinde ihre gemeinsame Vergangenheit heraufbeschwören und sich auf einmal als Kinder in ihrem ehemaligen Kinderzimmer wiederfinden. Das war ein hoch stimmungsvoller Einfall seitens der Regie. Wenn Sieglinde während ihrer großen Erzählung von ihrer traurigen Hochzeit mit dem ungeliebten Hunding zu den Klängen des Walhall-Themas die die Götterburg symbolisierende Pyramide hervorholt. Diese beinhaltet einen kleinen schwarzen Revolver, der die Stelle des Schwertes Nothung einnimmt.

© Enrico Nawrath

Wie bereits im Rheingold sieht man auch hier in der Walküre keinerlei mythische Gegenstände. So tritt beispielsweise an die Stelle des traditionellen Speeres Wotans ein Revolver. Mit diesem befördert der Göttervater am Ende des zweiten Aufzuges seinen menschlichen Sohn kurzerhand ins Jenseits. Bereits zu Beginn des Aufzuges gibt es eine Tote: Freia konnte wohl das im Rheingold erlittene Trauma nicht überwinden und hat anscheinend aus diesem Grunde Selbstmord begangen. Jetzt liegt sie in einem Sarg, der von einer lautstark klagenden Trauergemeinde flankiert wird. Trefflich ist, dass Fricka gleich nach dieser Szene Hunding mit sich in Wotans Behausung bringt, um durch die Präsentation des Opfers des Ehebruchs der Zwillinge ihrer Forderung nach Siegmunds Tod den gehörigen Nachdruck zu verleihen. Später werden Wotan und seine Gattin zu Zeugen der Todesverkündigung. Auch hier haben wir es erneut mit zwei ansprechenden Tschechowschen Elementen zu tun, die einiges zur Kurzweiligkeit der Aufführung beitragen. Hunding wird von Schwarz stark aufgewertet. Der Regisseur misstraut der Stärke des durch Siegmunds Tod stark leidenden Wotan und nimmt ihm seine Kraft, sodass er nicht mehr fähig ist, Hunding zu töten. Dieser darf die Bühne unbehelligt verlassen. Das hat man zwar in Frank Hilbrichs Inszenierung der Walküre in Freiburg ähnlich gesehen, nichtsdestoweniger machte diese gelungene Idee von Schwarz einen gewaltigen Eindruck.

© Enrico Nawrath

Ebenfalls nicht mehr neu ist die Darstellung von Brünnhildes Pferd Grane als Mensch. Hier ist er ein langhaariger junger Assistent der Walküre, der zu guter Letzt seine Herrin auch noch liebt. Auf Anweisung Brünnhildes rettet er im dritten Aufzug die schwangere Sieglinde vor Wotan. Später kehrt er zurück und wird zum Zeugen des Zwiegesprächs zwischen Brünnhilde und Wotan. Den Walkürenritt verlegt der Regisseur in eine Schönheitsklinik, in der die kleinen Walküren alle mit verbundenen Köpfen herumtollen. Es scheint so, als ob sie sich gerade erst einer Schönheits-OP unterzogen und sich Gesicht und Nase haben richten lassen. Eine Reihe stattlicher Callboys nimmt die Stelle ihrer Rosse ein. Wotan reißt bei seinem Erscheinen einer der Walküren zornig den Verband ab. Im Lauf des dritten Aufzuges wird der Obergott indes immer schwächer. Zum Schluss sieht man ihn vor einer Lamellenwand erschöpft auf dem Boden liegen, was ein enorm starkes Bild darstellt. Beim abschließenden Feuerzauber setzt Schwarz gekonnt auf Reduktion. Ein gewaltiger Feuerzauber findet bei ihm nicht statt. An dessen Stelle tritt eine winzige Kerze, die Fricka von einem Bediensteten auf einem Teewagen hereinschieben lässt. Auf diesem sieht man zudem eine Flasche Wein und zwei Gläser. Fricka will mit ihrem Göttergatten auf den Sieg von Ehre und Anstand anstoßen, was Wotan indes verweigert. Er leert den Wein aus, nimmt – in wörtlichen Sinn des Wortes – seinen Hut und macht sich davon.  Schon in diesem Augenblick ist er zum Wanderer geworden, der er eigentlich erst im Siegfried sein wird. Insgesamt hat Schwarz‘ muntere, ausgeprägte Regiearbeit wieder ausgesprochen gut gefallen.

Eine gute Leistung erbrachte Pietari Inkinen am Pult. Zusammen mit dem bestens disponierten Bayreuther Festspielorchester erzeugte er einen ebenmäßig dahinfließenden, recht differenzierten und nuancenreichen Klangteppich. Zu laut wurde es selbst bei den dramatischen Passagen nie. Inkinen setzte vielmehr, wo es ging, auf eine weiche, leise und diffizile Tongebung. Darüber hinaus wartete er mit einer vielschichtigen Farbpallette auf.

© Enrico Nawrath

Mit den gesanglichen Leistungen konnte man fast durchweg zufrieden sein. Catherine Foster gab mit profundem hochdramatischem Sopran und einer recht psychologischen Ausdeutung ihrer Partie eine erstklassige Brünnhilde. Sie sang schön auf Linie und wartete mit zahlreichen Nuancen auf. Das war eine phantastische Leistung! Stimmstark, nichtsdestotrotz aber sehr differenziert und oft auch schön leise legte Tomasz Konieczny den Wotan an. Mit bravourösem jugendlich-dramatischem Sopran, imposanten Höhenflügen und einer sonoren Alt-Lage überzeugte Elisabeth Teige als Sieglinde. Eine wunderbare italienische Technik nennt Georg Zeppenfelds  Hundingsein Eigen. Darstellerisch lege er ihn fast zu sympathisch an. Mit vollem, rundem Mezzosopran gab Christa Mayer eine erstklassige Fricka. Demgegenüber fiel der nur über dünnes, überhaupt nicht solide im Körper verankertes Tenor-Material verfügende Klaus Florian Vogt in der Partie des Siegmund ab. Diese Rolle verlangt ein gutes dunkles Bariton-Fundament, das dem äußerst hell timbrierten Sänger gänzlich abgeht. Fast nur Gutes vernahm man von dem aus Kelly God (Gerhilde), Brit-Tone Müllertz (Ortlinde), Claire Barnett-Jones (Waltraute), Christa Mayer (Schwertleite), Daniela Köhler (Helmwige), Stephanie Houtzeel (Siegrune), Marie Henriette Reinhold ( Grimgerde) und Simone Schröder (Rossweisse) bestehenden Ensemble der kleinen Walküren. Die stumme Rolle des Grane spielte Igor Schwab.

Ludwig Steinbach, 23. August 2023


„Die Walküre“
Richard Wagner

Bayreuther Festspiele 2023

Premiere: 27. Juli 2023
Besuchte Aufführung: 22. August 2023

Inszenierung: Valentin Schwarz
Musikalische Leitung: Pietari Inkinen
Orchester der Bayreuther Festspiele