Bayreuth: „Lohengrin“

Stromschläge vor stahlblauer Kulisse

18. August 2019

Bayreuth bescherte dem musikverliebten Publikum mit „Lohengrin“ dieses Jahr erneut eine zutiefst blaue Stunde. Sogar die Handschuhe der Mitwirkenden erstrahlen in kaltem Blau, eine Lawine aus Frost verbreitete sich so auf der Bühne. Nur selten tropfte etwas knalliges orange in die Kulisse der Festspiele. Blau ist darüber hinaus ja die Farbe der Romantik als Symbol für Sehnsüchte sowie für das ersehnte, persönliche Glück. In „Lohngrin“ verewigte Richard Wagner seine eigene Interpretation eines romantischen Mittelalters. Die kühle Farbe, in der thematisch die Verzweiflung der handelnden Hauptfiguren anklingt, passt auch gut zum „kalten“ Verrat, ein Grundthema dieser Oper. Diese eimerweise Verwendung des blauen Farbtons ist bekanntlich der Inspiration von Rosa Loy sowie ihrem Mann Neo Rauch zu verdanken. Der weltbekannte Maler aus Leipzig erträumt gern seine Motive, ein Umstand, der optimal zur Traum- und Sagenwelt der Wagner`schen Phantasiewelten passt.

Bereits 2018 transferiete Neo Rauch die „Lohengrin“-Szenerie in die wohlhabenden Niederlande des 17. Jahrhunderts – auch deutlich abzulesen an den Kostümen der Mitwirkenden, für die das Paar aus Sachsen ebenfalls verantwortlich zeichnete. „Das war eine Eingebung, die mir angesichts eines Delfter Porzellantellers kam“, wie Rauch letztes Jahr gegenüber dem Sender SWR2 erklärte. „Und aus dieser Situation heraus hat sich dann das ganze Geschehen entwickelt. Das hat die Bilder evoziert, diese Bläue, die dann letzten Endes auf der Bühne zur Geltung kommt.“ Wie der Künstler hinzufügte, gebe es eine innere Verbindung zwischen kunstvoll gesetzten Tönen und der Malerei, worauf er mit seiner Gestaltung des Wagner-Werks verweisen wollte: „Es ist einfach schön, zu erleben, wie Musik unterschwellig wirkt und Farben heraufbeschwört.“ Eine Art von Synergie also – die beiden Künste sollen voneinander profitieren. Für Rauch und seine Frau war der Auftrag für „Lohengrin“ letztes Jahr ein Novum: Nie zuvor hatten sie ein Bühnenbild verwantworlich gestaltet, eine gewaltige Herausforderung also.

Die auffallende Blaupause war natürlich nicht die einzige Inspiration, mit der dieses und letztes Jahr in Bayreuth der „Lohengrin“ insziniert wurde. Man drapierte auf den Bühnenbrettern im Festspielhaus auch ein stillgelegtes E-Werk, eine – natürlich blau gehaltene – Trafo-Station und drückte Hauptdarsteller Piotr Beczala (im zweiten Jahr der Bayreuther Ritter und Parzifal-Sohn) einen Blitz in die Rechte. Viel Kritik war in den Medien 2018 an der Arbeit des israelisch-amerikanischen Regisseurs Yuval Sharon geübt. Fast einhellig hieß es, seine Personenführung sei viel zu statuarisch, es gebe wenig Bewegung und viel Stagnation. Hier wurde mittlerweile an dieser und jener Stelle gefeilt, um den Aufführungen mehr Dynamik zu verleihen. Auf diese Weise harmonierte die Bühnenregie nun besser mit dem Strom-Symbol, welches sich durch diesen „Lohengrin“ zieht.

Vielleicht soll dies eine historisch kundige Anspielung darauf sein, dass 1853, drei Jahre nach der Uraufführung des „Lohengrin“ in Weimar, der ungarische Priester Anyos Jedlik das dynamoelektrische Prinzip entdeckte hatte – damit waren übrigens wichtige Grundlagen für die Gewinnung von Strom gelegt, auf welche Werner von Siemens wenig später zurückgreifen konnte. Eine Oper „unter Strom“, sozusagen, mehrfach schlug eine gut sichtbare elektische Ladung ein. Fast wie im Zirkus wirkte es, dass sich die beiden Duellanten Telramund und Lohengrin in der Luft duellierten. Auch die Fesselung der weiblichen Protagonistinnen an Elektroleiter hatte fast eine komische Komponente.

Insgesamt gab es für die traditionellen Wagnerianer wenig Ausgeflipptes zu verkraften – sicher auch ein Grund dafür, dass die Aufführung mit einem warmen Applaus-Regen und zahlreichen „Bravo“-Rufen bedacht wurde. Protagonist Piotr Beczala schlug sich stimmlich wacker, vor allem die für Anna Netrebko eingesprungene Annette Dasch überzeugte mit reinen, kristallklaren Klängen. Lediglich in den Höhen ist eine gewisse Anstrengung erkennbar. Auffallend ist durchwegs die Dramatik, welche sie der Figur der Elsa verleiht. Ihre Gegenspielerin Ortrud (Elena Pankratova) dominiert optisch das Geschehen – diese Bühnenpräsenz ist beeindruckend. Schließlich stellt sie eine Hexe dar, deren Herz voller Rachegelüste ist. Als stimmlich fast durchgehend perfekter Telramund ersang sich Tomasz Konieczny verdientermaßen den Beifall der wie immer voll besetzten Zuschauerränge. Vokalisch ergänzt wurde. Georg Zeppenfeld verlieh der Person des Königs eine bewegliche Aura – im Gegensatz zum teils wie festgefroren wirkenden Hauptdarsteller Lohengrin. Als die vier Elden traten Michael Gniffke, Tansel Akzeybek, Marek Reichert und Timo Riihonen auf, ergänzt durch Kitty de Geus, Cornelia Ragg, Maria Schlestein sowie Annette Gutjahr als Edelknaben und -damen. Des weiteren übernehm Egils Silins den Part des Heerrufers – erwähnenswert ist der durchtrianierte Baßbariton des 57-jährigen Letten.

Muss man die Klangführung durch den mit Ehrungen zu Recht überhäuften Christian Thielemann noch extra hervorheben? Der 1959 in Berlin geborene Dirigent bringt eine jahrzehntelange Opernerfahrung mit, sein Ruf im Orchestergraben ist einwandfrei. Fans können sich längst an einer reichen Auswahl an CDs sowie DVDs bedienen, auf denen der Maestro beweist, dass er die Großen der internationen klassischen Musik zu interpretieren weiß. Der Partitur des „Lohengrin“ verlieh Christian Thielemann nun genau die Schärfe und Dramatik, welche diesem Werk gebührt. Wie gewohnt erfreute er durch eine präzise Führung ab der ersten Note; der sturierte Bratschist tauchte die blaue Hölle des Bayreuther Bühenbilds teils in sanfte, teils in drastische Klänge. Mit dem nun zum zweiten Mal von Sharon interpretierten „Lohengrin“ – ein ja dem Versepos „Parzifal“ Wolfram von Eschenbachs entlehnter Mittelalter-Stoff – stand Thielemann bei allen zehn, in Bayreuth aufgeführten Wagner-Opern am Dirigenten-Pult. Ein großartiges, für beide Seiten sehr positives Jubiläum – bisher gelang diese Besonderheit nur Felix Mottl vor mehr als 100 Jahren. Hoffentlich dürfen wir diese ätherischen Klänge noch möglichst oft genießen.

Daniela Eggert 4.9.2019

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