13. August 2018
Krieg der Herzen vor nachtschwarzer Kulisse
Kaum hebt sich der Vorhang im frisch renovierten Bayreuther Festspielhaus, wird auch schon klar: Katharina Wagners Wiederinszenierung von „Tristan und Isolde“ ist kein Zaubertrank für romantische Gemüter. Auch in ihrer diesjährigen Regie vermeidet die 40-Jährige jede Gefühlsduselei und stellt statt dessen einen klar femininistischen Ansatz in den Vordergrund. Dabei erstickt jeder zarte Gedanke im Keim. Vor allem Isoldes traditioneller Vereinigungstod mit ihrem Lover fällt einer kalten Ratio zum Opfer. Todes- und Liebestrank sind gestrichen, so als wolle man alles „Überflüssige“ vermeiden. Nicht jeder kann sich damit anfreunden – und so erntet Wagners Urenkelin nach dem letzten Vorhang mal wieder ein, zwei laute Buh-Rufe aus dem Publikum. Nicht zum ersten Mal erweist sich damit, dass die reinen Wagnerianer ihre Regie-Eingebungen nur schwer verdauen können. Wer weiß – vielleicht tritt die Regisseurin deswegen bevorzugt im Pulk vor die Zuschauerränge, als der letzte Vorhang dieser Inszenierung gefallen ist.
Dass die Liebe zwischen Tristan (stimmlich wieder überzeugend: Stephen Gould) und Isolde (routinierte Wagner-Interpretin: Petra Lang) in Oberfranken derzeit chancenlos ist, wird bereits mit dem ersten Bühnenbild (Frank Philipp Schlößmann/ Matthias Lippert) überdeutlich.
Düster-melancholisch ragen sich ineinanderschlingende Treppengänge empor. Ein Minimalismus, der an den zwangsnüchternen Bauhausstil der 1920er Jahre erinnert und so gar nichts Erlösendes hat. Als Dreingabe bewegt sich diese in sich verhakte Konstruktion auch noch wie ein schwankendes Schiff – so abgründig, melancholisch und unsicher wie das Schicksal der handelnden Personen. Isolde wie Tristan sind, wie man weiß, eigentlich als tragische Helden in einer Welt gedacht, die von Beginn an gegen ihre Liebe steht. Sie wollen vernünftig handeln und taumeln doch ihrem unendlich starken Gefühl nach. Diese Problematik im frühmittelalterlichen Stoff lässt die Regisseurin allerdings eher links liegen. Sie ernennt die ihrem Gatten Marke (gereifter, vielschichtiger Bass: René Pape) untreue Isolde lieber zu einer toughen Vorkämpferin des Feminismus. So entscheidet diese sich ganz bewusst dafür, ihrem Gatten König Marke untreu zu werden. Und für eine mehr als unsichere Zukunft mit dem coolen Ritter Tristan, der für Abenteuer und Aufbruch steht. Von großen Gefühlen ist nicht nur das Bühnenbild meist meilenweit entfernt. Gefühlsduselei, schwülstiges Herzbeben: Fehlanzeige. Wie um ihrer unsicheren Existenz mehr Halt zu verleihen, klammern sich die Protagonisten am kalten Treppengeländer fest.
Einzig in der Farbwahl der Kostüme (Thomas Kaiser) leuchtet ein wenig Lebendigkeit auf. Hier dominieren satte gelb, grün, blaue Töne, und durchbrechen damit das Trostlos-Schwarze des Hintergrunds – der sich im zweiten Aufzug vom Treppenhaus auch noch in eine Art aalglatte, nicht zu überwindende Folterkammer wandelt. Herr dieser käfigartigen Hölle ohne funktionierenden Fluchtweg: Der bös gehörnte König Marke, welcher in dieser Oper ja tatsächlich allen Grund für Rache hat.
Die Kälte des Raums wird auch hier nur durch die Wärme der Stimmen und Instrumente wohltätig gebrochen. Ein bisschen aufkeimende Romantik auch im Bühnenbild wünschte sich wohl so mancher der Zuschauer. Statt dessen wurde die Schwere dieser Aufführung konsequent weiter gedacht. Vor einem wieder nachtschwarzen Background verstricken sich Richard Wagners Figuren in eine immer drastischere Ausweglosigkeit. Fast scheint es so, als ob sie diese sogar selber suchten: Als dramatische Untermalung einer Beziehung, die nicht sein soll, und die ihnen von einem wütenden König, der Gesellschaft oder wem auch immer verwehrt bleibt.
Entsprechend schließen sich beengende, eiserne Schranken um die Handelnden, denen damit jeder Spielraum genommen wird. Tristan müht sich um einen letzten Rest Heimeligkeit, indem er an der Wand notdürftig ein Zelt um sich herum errichtet. Dieses Provisorium wird von ihm mit Hilfe von blinkenden Leuchtsternen ein wenig aufgehübscht. Vergebens: Die karge Hütte bricht haltlos in sich zusammen, und damit nimmt das harte Schicksal endgültig seinen Lauf. Ein gewisser sado-masochistischer Einschlag ist an dieser Stelle nicht zu leugnen. Die Verzweiflung des Liebespaars steigert sich endlich so dramatisch, dass beide sich freiwillig Schlingen um den Hals legen: Wenn schon verzweifelt, dann richtig. Vielleicht zeigt sich darin aber auch nur eine Trotzreaktion, um den unvermeidlichen eigenen Untergang wenigstens selbst in die Hand zu nehmen.
Fans von Bühnen-Projektionen durften sich über die Einblendung Isoldes in Dreiecke freuen, die nach kurzer Zeit wieder von der Wand verschwanden, um nur knapp daneben wieder aufzutauchen. Dieser – wenn auch nicht nagelneue – Regieeinfall lockerte die meist düstere Inszenierung angenehm auf. In diesen Einspielungen wurde die klare, nüchterne Sichtweise auf die tragische Liebesstory ebenfalls beibehalten. Am Ende schleppt König Marke seine Braut wider willen von deren verhindertem, toten Liebhaber weg. Überdies werden Tristans Männer gemeuchelt, hilflose Opfer auch sie. Nebeneinander ausgestreckt liegen sie auf dem Bayreuther Bühnenboden.
Wie gut, dass Christian Thielemann als bewährter Festspielhaus-Dirigent es erneut wagt, der szenischen Depression warme Töne entgegenzusetzen. Man kann dies als Bruch zwischen äußerer Form und Musik empfinden. Oder aber als sinnvolle Spannung, welche ein Abgleiten dieses „Tristan“ in die Beliebigkeit verhindert. Thielemann trat zum Abschluss des Abends allein vor den Vorhang des nun angenehm klimatisierten Festspielhauses, und wurde vom Publikum für die sinnlichen Orchesterklänge mit reichem Applaus belohnt.
Daniela Egert 15.9.2018
Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath