Frankfurt: „A Midsummer Night’s Dream“, Benjamin Britten

Vorstellung am 16. Mai 2022 (Premiere am 11. Mai 2022)

Shakespeare-Glück im Bockenheimer Depot

Als vor einigen Jahren der Frankfurter Intendant Bernd Loebe in einem Interview gefragt wurde, wann denn in der Reihe der musterhaft gelungenen Britten-Produktionen an seinem Haus der Midsummer night’s dream folge, gab er sich skeptisch. Er habe noch keine überzeugende Produktion dieses Werkes gesehen und zweifle an dessen Bühnenwirksamkeit. Womöglich aber finde sich ein Regisseur, der ihn vom Gegenteil überzeuge.

Nachdem wir uns zuletzt die Produktion des Stücks an der Deutschen Oper Berlin angesehen hatten (immerhin in der Regie von Ted Huffman, dem Frankfurt einen fabelhaften Rinaldo verdankt, und der in der kommenden Saison hier eine neue Zauberflöte szenisch verantwortet) hatten auch wir Zweifel. Die radikalen Kürzungen, die Britten in Shakespeares Komödie vorgenommen hatte, erschienen uns recht willkürlich, die Handwerkerszenen wirkten übergewichtig neben den übrigen Erzählsträngen. Trotz der Raffungen durch das Libretto gab es szenische Längen, und die Musik wirkte stellenweise so ausgedünnt, daß die Zuschauer sich im großen Saal des Opernhauses beim Anblick der riesigen Weiten einer nahezu völlig leeren Bühne recht verloren vorkamen.

Es ist daher ein großes Glück, daß Bernd Loebe in Brigitte Fassbaender nun die Regisseurin gefunden hat, die ihn von den Qualitäten dieses Stückes überzeugen konnte. Im Bockenheimer Depot hat sie sich von Christoph Fischer auf beweglichen Bühnenelementen einen Zauberwald in Weiß und Rot bauen lassen, dessen Farben von den phantasievollen Kostümen aufgegriffen werden, welche Anna-Sophie Lienbacher für die Feenwelt ersonnen hat. Die Atmosphäre des Verwunschenen, Geheimnisvollen, die so erzeugt wird, findet ihre Entsprechung in den Streicherglissandi, mit denen Britten den Wald charakterisiert. Hier erweist sich das Bockenheimer Depot einmal mehr als idealer Aufführungsort für Kammeropern. Britten hat seinen Midsummer night’s dream für das Festival in Aldeburgh geschrieben. Der Uraufführungsort faßte nur 300 Zuschauer – genau so viele wie das Bockenheimer Depot. Es entsteht eine Intimität und eine unmittelbare Verbindung zwischen Bühne und Publikum, welche sich auf großen Bühnen nicht einstellen will. Die Feinheiten des schlanken Orchestersatzes, die in einem großen Opernhaus karg und blutleer wirken können, entfalten hier eine besondere Suggestivkraft.

Das Vergnügen an den Rüpelsszenen ist hier so groß und der Zauber der Feenszenen so bestrickend, daß auch die von Britten vorgenommene Szenenauswahl dadurch geradezu zwingend wirkt. Alle Bedenken zur Bühnentauglichkeit des Werkes sind wie weggeblasen. Fassbaender gelingt mit einem Ensemble junger, ungemein spielfreudiger Sänger ein heiter-gelöstes Satyrspiel, das ganz auf Shakespeares gewitzten Text vertraut. Daß dabei die Handwerkerszenen deftiger ausfallen als die Verwirrspiele der sich im Wald verirrenden Liebespaare, ist ganz im Sinne der Vorlage. An einer Stelle steigert Fassbaender den Spaß in Richtung Klamauk: Wo bei Shakespeare der Handwerker Bottom („Zettel“ in der Schlegel-Tieck-Übersetzung) durch Zauber einen Eselskopf erhält, was bei Shakespeare zu Wortspielen mit den Bedeutungen von „Ass“ führt (wörtlich: Esel, übertragen: Dummkopf), nutzt sie mit der auch einem deutschen Publikum geläufigen weiteren Wortbedeutung von „Ass“: Arsch. Und so erscheint Zettel hier tatsächlich als „Arsch mit Ohren“. In den Übertiteln wird „Ass“ dann auch konsequent mit „Arsch“ übersetzt.

Barnaby Rea (Bottom), Theo Lebow (Snout) und Brian Michael Moore (Flute) sowie im Hintergrund Magnús Baldvinsson (Quince)

Aus der Riege der ausnahmslos vorzüglichen Sänger ist besonders das Feen-Herrscherpaar hervorzuheben. Ihm verlangt Britten im Kontrast zum Konversationston der übrigen Partien kunstvolle Melismen und Verzierungen ab. Kateryna Kasper als Tytania kann dabei wieder ihren Ausnahmerang als technisch brillanter Sopran mit blühendem, lyrischem Ton beweisen, dem sie in dieser Partie sehr geschickt auch giftige und zickige Nuancen abzugewinnen weiß. Ihr zur Seite steht mit Cameron Shahbazi ein geradezu idealer Oberon. Der junge Sänger verfügt über einen in allen Lagen runden, weich fließenden und außerordentlich klangschönen Countertenor. Selten hört man in diesem Fach eine Stimme, die derart unangestrengt und selbstverständlich wirkt. Bei Shahbazi klingt nichts nach veredeltem Falsett. Auch sind die typischen Registerbrüche beim Wechsel von hoher und tiefer Lage nicht zu hören. Vielmehr ist ein männlicher Mezzosopran aus einem Guß zu erleben mit einem angenehmen, natürlichen Vibrato und einem wunderbaren, schwebenden Piano, das auch bei hohen Tönen nicht dünn oder scharf klingt. Dieser Waldgeist hat etwas zugleich Verführerisches und Gefährliches, was Shahbazi nicht nur musikalisch, sondern auch mit enormer darstellerischer Präsenz herausarbeitet.

Cameron Shahbazi (Oberon)

Aus der wunderbaren Handwerkertruppe sollen hier nur Barnaby Rea als Bottom und Brian Michael Moore als Flute besonders hervorgehoben werden. Das ehemalige Ensemblemitglied Rea kostet die aufgeblasene Derbheit seiner Figur weidlich aus, daß es eine Lust ist. Moore, der mit seinem attraktiven und technisch vorzüglichen Tenor immer noch auf adäquate Verwendungen im Frankfurter Ensemble warten muß, widmet sich mit Hingabe der Darstellung eines verunsicherten Mauerblümchens und zieht beim ungelenken Geschlechterrollentausch zum Rüpelspiel eine sehenswerte Show ab.

Brian Michael Moore (Flute) und Barnaby Rea (Bottom; liegend)

Wie in allen Aufführungen des Sommernachtstraums kommt dem Waldgeist Puck eine herausragende Rolle als Conférencier und Verwirrung stiftender Kobold zu. Britten hat dessen Textanteil nicht vertont, sondern einer Sprechrolle anvertraut. In Frankfurt ist sie mit dem Schauspieler Frank Albrecht besetzt, der sich mit idiomatischem Englisch vorzüglich in die Sängerschar einfügt und mit markanter Stimme Akzente setzt.

Frank Albrecht (Puck)

Neben dem unter der Leitung von Geoffrey Paterson atmosphärisch aufspielenden Orchester überzeugt besonders der Kinderchor, dem Britten als Elfenvolk eine prominente Rolle zugedacht hat. Klar und sauber werden die Herausforderungen der Partitur von den jugendlichen Sängerinnen und Sängern gemeistert, lebendig und engagiert ist ihr Spiel.

Intendant Loebe hat angedeutet, daß städtische Etatkürzungen künftig zu vermehrten Wiederaufnahmen im Bockenheimer Depot führen könnten. Auf ein Wiedersehen mit dieser Produktion würde ein begeistertes Publikum sich freuen.

Michael Demel / 28. Mai 2022

© Bilder: Monika Rittershaus