Buchkritik: „Antiziganismus in Oper und Operette“

Anlässlich der Premieren von „Carmen“ und „Der Troubadour“ wurde 2021 am Nürnberger Staatstheater das Symposion „Antiziganimus in Oper und Operette“ veranstaltet. Statt im Einzelnen auf die Thesen der sieben Beiträger einzugehen, möchte ich im Folgenden nur einigen Aussagen, die im Bändchen zum Druck befördert wurden, einige andere entgegenstellen, die ich im Netz und mehreren Büchern gefunden habe. Die Zitate, die natürlich ausnahmslos aus ihren Zusammenhängen gerissen werden mussten, könnten für sich selbst sprechen.

Frank Reuter, S. 51:

„Die Fremdbezeichnung ‚Zigeuner‘ wird hier im Sinne einer Imagination und eines gesellschaftlichen Konstrukts verstanden […] Als stigmatisierende Objektkategorie ist dieser Terminus von den emanzipatorischen Selbstbezeichnungen ‚Sinti‘ und ‚Roma‘ grundsätzlich zu unterscheiden.“

Martin Woker: „… dass viele der Angehörigen dieser Minderheit sich selbst als Zigeuner bezeichnen. Den Plural ihrer Eigenbezeichnung, Roma, kennen sie allenfalls vom Hörensagen, aber weder die männliche Form Singular (Rom) noch die weibliche Form (Romni) ist ihnen geläufig.“

In: Neue Zürcher Zeitung, 8.10. 2013 (https://www.nzz.ch/feuilleton/medien/roma-sinti-zigeuner-ld.817668)

Clemens Risi, S. 75:

„Auf die Tafel [in der Inszenierung des „Troubadour“] schreibt ein Soldat zwei Wörter, die ich nicht in kompletter Schreibug wiederholen möchte, da ich durch das Wiederholen womöglich Antiziganismus performativ aktualisieren würde.“

Herta Müller, Literaturnobelpreisträgerin: „Ich bin mit dem Wort ‚Roma‘ nach Rumänien gefahren, habe es in den Gesprächen anfangs benutzt und bin damit überall auf Unverständnis gestoßen. ‚Das Wort ist scheinheilig‘, hat man mir gesagt, ‚wir sind Zigeuner, und das Wort ist gut, wenn man uns gut behandelt.‘“

In: Martin Weber: „Das generische Maskulinum hat ausgedient“, Interview mit Petra Gerster, in: Merkur, 16.11. 2021: https://www.merkur.de/lokales/leserbriefe/fernsehen-medien/farblos-und-todlangweilig-91124379.html

Verena Lehmann, S. 85:

„Es gibt manchmal auch Meinungen von Sinti und Roma, etwa zu Filmen oder Büchern, die ich verstörend finde.“

Tibor Rácz: „Für mich ist die Antwort eindeutig: Ich bin Zigeuner. Und ich bin nicht damit einverstanden, dass der Begriff ‚Zigeuner‘ ein mit Klischees und Vorurteilen belastetes Schimpf- und Schmähwort ist. Und gleichzeitig finde ich es schwierig, dass einige meiner Bekannten mich nicht ‚Zigeuner‘ nennen. Mit dem Gebrauch politisch korrekter Begriffe stellt sich nicht unmittelbar Respekt ein. Und die alltägliche Diskriminierung wird nicht dadurch geringer, dass man die Bezeichnungen ‚Sinti‘ und ‚Roma‘ benutzt.“

In: taz, 15.4. 2015.

Kirsten von Hagen, S. 11:

„Insbesondere am Carmen-Mythos lassen sich sowohl Zuschreibungen und Konstruktionsmuster aufzeigen […] Insbesondere an dieser Figue lässt sich verdeutlichen, wie bestimmte Heterostereotype zur Darstellung einer Figur instrumentalisiert werden…“

Teresa Berganza war eine der größten Carmen-Interpretinnen. In ihrem Text „Meine Carmen“ schilderte sie ihre Erfahrungen mit der Figur: „Auf der Bühne setze ich mich vollkommen in ihre Lage […] Daß sie Zigeunerin ist, das heißt vaterlandslos, wurzellos, ist von großer Bedeutung, denn das trägt dazu bei, die Allgemeingültigkeit von Carmens heldischen Zügen hervortreten zu lassen. […] Carmens Spanien ist das Spanien der Zigeuner. […] Die Zigeunerin ist eine Künstlerin.“

In: Bizet: Carmen. Der Opernführer. Taufkirchen, o.J., S. 214-217.

Isolde Schmid-Reiter, S. 45

„‘Der Zigeunerbaron‘, der zum zweitgrößten Bühnentriumph des Komponisten geworden war, ist [in der Spielzeit 2018/19] nur mit 3 Inszenierungen und insgesamt 35 Aufführungen vertreten […] – im Gegensatz zu der Saison 1998/99 mit 278  Aufführungen in 17 Inszenierungen.“

Daniel Hess: „Nach meinem Verständnis befördern Museen das Verstehen von Welt. […] Besonders reizvoll scheint mir, dass Kultur nie monokausal ist, sondern widersprüchlich und vieldeutig. Sie arbeitet mit Metaphern und Symbolen und ist daher auch missverständlich. Kultur lässt sich mit faktenbasierter Evidenz allein nicht begreifen.“

In: kultur leben 2/2022

Schluss:

Georg Holzer, S. 91:

„Wir können nicht unsere privaten Schwierigkeiten auf die Kunst übertragen, damit lähmen wir die Kunst.“

Herbert Rosendorfer: „Niemand findet in Italien etwas dabei, die Zingari Zingari zu nennen. Nur wir machen einen Affenzirkus um Wörter wie Zigeuner und Neger und scheißen vor lauter ‚political correctness‘ in jede Hose, die man uns hinhält.“

Tiefste Provinz, in: H.R.: Sotto Voce. Bemerkungen zur Musik. Köthen 2012.

Frank Piontek, 30. Mai 2023


Antiziginasimus in Oper und Operette

Musiktheater im Dialog XI

96 Seiten. 17Abbildungen

Staatstheater Nürnberg, 2023