Esa ist es müßig zu überlegen, ob jemand den Namen Salieri heute noch kennen würde, wäre seine Person nicht von einst bis jetzt mit Mozarts Tod in Zusammenhang gebracht? Ein Name dann nur unter den zahllosen begabten und einst erfolgreichen Komponisten des 18. Jahrhunderts, dessen reiches Schaffen sich nicht in der lebendigen Gegenwart der Opernbühnen und Konzertsäle findet…

Geboren 1750 in der Republik Venedig, gestorben vor zweihundert Jahren 1825 in Wien – und es scheint, als ob die Musikwelt heute so richtig das schlechte Gewissen packte. Einerseits deshalb, ihn nur als neidischen und intriganten „Gegner Mozarts “ (vielleicht sogar sein Mörder!) verleumdet, andererseits mehr noch ihn als großen Komponisten und einflußreichste Persönlichkeit des Wiener Musiklebens seiner Zeit verkannt zu haben.
Darum wohl hat man 2025 zum Salieri-Jahr ausgerufen, und Jürgen Partaj, Direktor der Wiener Hofmusikkapelle (mit der Salieri eng verbunden war), hat als dessen Intendant nicht nur ein reiches Programm aufgestellt, sondern auch ein Buch initiiert, das von dem Wiener Professor für Musikwissenschaft Markus Böggemann herausgegeben wurde.
Es wird als „Lesebuch“ bezeichnet, da es in Einzelartikeln von Wiener Musikwissenschaftlern Spezialthemen behandelt. Die deklarierte Intention des schmalen Bandes besteht darin, die „Neuentdeckung eines Verkannten“ zu präsentieren.
Der Verkannte ist jedenfalls ein Unterschätzter in vieler Hinsicht. Er hüpfte gewiss nicht so spektakulär durch die Wiener Kulturszene wie es zehn Jahre lang der um sechs Jahre jüngere Mozart tat, den Salieri dann um 34 Jahre überlebte, was ihm (der eben 74 wurde und nicht 35), eine ungleich längere Schaffensspanne bescherte. Er nützte dieses Zeit und arbeitete in bemerkenswerter Kontinuität in vielen Bereichen.
Salieri kam schon 1766 als Teenager von Venedig nach Wien, als Musiktalent entdeckt von Florian Leopold Gaßmann, der sich um ihn kümmerte und ihn förderte, und er blieb, mit nur kurzen Unterbrechungen in Italien und Paris, auch bis zu seinem Lebensende hier, in der Gunst der Kaiser Joseph II., Leopold II. und auch Franz II./I,, für den er noch die musikalische Ausgestaltung des Wiener Kongresses übernahm.
Davor hatte er das Wiener Musikleben in vieler Hinsicht mitgestaltet – als Hofkapellmeister, Präses der Tonkünstler-Societät und Gründungsmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde, in deren Rahmen er eine Singschule etablierte. Dass sich da im Lauf der Jahre und Jahrzehnte Netzwerke knüpften, die dann auch Neid und Widerstand erregten, war unvermeidlich, wenn jemand so erfolgreich war. Und dabei war noch gar nicht vom dem Komponisten Salieri die Rede, der Opern, religiöser Musik und Kammermusik gewissermaßen en masse, aber mit Qualität schuf.
Vor allem aber war er als Lehrer außerordentlich, immerhin haben Beethoven und Schubert von diesem Unterricht profitiert. Dass er junge Frauen zu außerordentlichen Sängerinnen ausbildete (er hatte allerdings auch zahlreiche männliche Schüler), das wird in einem eigenen Kapitel des Buches ausführlich behandelt, wobei man grundsätzlich versucht hat, die Wissenschaftlichkeit nicht über die Lesbarkeit siegen zu lassen.
Das Kapitel über seine Gesangsschüler zeigt auch, wie Salieri agierte. Schon in jungen Jahren, als 24jähriger, übernahm er nach dem Tod seines Gönners Gaßmann die Ausbildung von dessen zwei Töchtern Maria Anna und Therese, die als Koloratursopranistinnen etwa in der Rolle der Königin der Nacht Furore machten. Therese, die nach ihrer Heirat auch unter dem Namen Rosenbaum-Gassmann auftrat (sie hatte den Haydn-Freund Rosenbaum geheiratet, dessen Tagebücher zu den wichtigsten Zeugnissen der Epoche zählen), galt als eine der besten Sängerinnen ihrer Zeit (was man ja auch dem Lehrer verdankt).
Zu besonderer Berühmtheit gelangte auch Salieris Schülerin Caterina Cavalieri, nicht zuletzt, weil Mozart ihrer „geläufigen Gurgel“ die Konstanze auf den Leib (bzw. in die Stimme) komponiert hatte. Salieri sorgte für seine Schüler für Auftrittsmöglichkeiten, veranstaltete mit ihnen Konzerte in Adelshäusern und blieb mit ihnen in Kontakt, wenn sie erfolgreich in die Welt zogen. Das vermochten sie auch, weil er sich nicht nur um ihre stimmlichen, sondern auch um die darstellerischen Qualitäten kümmerte.
Betrachtet man darüber hinaus noch eine schier endlose Liste seiner Werke, steht man vor einem Mann mit ungeheurem Fleiß, der zu seinen Lebzeiten verdientermaßen eine herausragende Stellung im Wiener Musikleben einnahm, Dass er als Komponist zu Unrecht vergessen ist, will das „Lesebuch“ ebenso klar machen wie eine Umdeutung seines Charakters, der nicht länger als italienischer Finster Mann am Wiener Hof gelten soll.
Vorurteile kleben bekanntlich fest. Es steht zu hoffen, dass der 200, Todestag, der auch noch andere Publikationen zu Salieri hervorbrachte, nachhaltig an der Rehabilitierung des „Verkannten“ gearbeitet hat, der halb hochmütig, halb skeptisch vom Cover des Buches zu blicken scheint.
Renate Wagner 12. Juli 2025
Antonio Salieri“
Neuentdeckung eines Verkannten
Hg. Markus Böggemann
Vorwort von: Jürgen Partaj; Beiträge von: Tina Breckwoldt; Judith Kopecky; Scott L. Edwards; Benedikt Lodes; Patrick Boenke; Christoph Meier; Markus Böggemann