Buchkritik: „Cosima Wagner – Ein widersprüchliches Leben“ – Sabine Zurmühl

Eine farbliche Leitmotivik durchzieht Sabine Zurmühls Biographie über Cosima Wagner, nämlich ein Wasserblau. Dieses Blau fällt zuerst ins Auge und zwar strahlt es aus Cosimas eigenen Augen vom Titelbild mit dem berühmten Portrait von Franz von Lenbach aus dem Jahre 1870. Im Layout des ganzen Buches von den Seitenzahlen und Kapitelüberschriften über die Anmerkungsziffern bis zum Lesebändchen wird dies Wasserblau immer wieder aufgegriffen.

Einerseits unterstreicht dieser Aspekt den bibliophilen Anspruch des Buches mit seinen qualitätvollen Abbildungen, andererseits drängt sich das Thema Leitmotivik ohnehin auf, wenn man ein Buch über „die Frau von Richard Wagner“ schreiben will. Womit wir mitten im Thema wären: Ist Cosima Wagner, geb. Liszt, in erster Ehe verheiratete von Bülow, dazu verdammt, wie so viele Künstlergattinnen, immer nur über den dominanten Ehemann definiert zu werden? Die Autorin thematisiert das gleich in dem „Vorstellung“ genannten Eingangskapitel, indem sie anführt, daß Frauen oft auf den Vornamen reduziert werden: „In einer Biografie über Richard Wagner würde kein Biograf fortwährend von »Richard« schreiben. Mit Frauen wird aber gern verfahren wie mit Kindern, der Vorname genügt“ (S. 13).

In der Tat entwirft Sabine Zurmühl mit diesem Buch die differenzierte Lebensbeschreibung einer Frau, die mehr als nur des „Meisters“ Gralshüterin, antisemitische Nervensäge und anstrengende, humorlose „Gattin“ bzw. „Witwe von“ war. Daher das Adjektiv „widersprüchlich“ bereits im Untertitel.

Zum Judenhaß gleich vorweg: So etwas ist nicht entschuldbar, zu keiner Zeit. Und als „salonfähig“ sollte auch in der Retrospektive solch eine Haltung niemals relativiert werden. Es gab immer kluge Köpfe, die den Haß auf Minderheiten als die mörderische Dummheit entlarvten, die sie stets war. Darüber gibt es in dem Buch ein ganzes Kapitel, eine unter 33 „Annäherungen“, die wie die Facetten eines geschliffenen Steins die unterschiedlichen Aspekte zu Entwicklung, Familie und Wegbegleitern sowie Eigenschaften dieser Frau beleuchten.

Das Widersprüchliche liegt schon im Bild der Dienerin von Kunst und Gatte, die andererseits selbstbewußt fordern konnte und ihrer Empfindlichkeit streitbar Ausdruck gab. Dann ist es die Wahrnehmung der anderen, die entweder die Nonne in ihr sahen oder eben aufgrund ihrer körperlichen Zurückhaltung einen erotisch faszinierenden tiefen Brunnen in ihr vermuteten. Ihr hoher moralischer, religiös begründeter Anspruch und der über sechs Jahre mit Leidenschaft betriebene und mit der Empfängnis dreier Kinder zweifelhaft gesegnete Ehebruch ist gerade im 19. Jahrhundert an Widersprüchlichkeit kaum zu überbieten.

Ein wesentlicher Verdienst dieser Biographie ist die Überbrückung ausgewalzter Stereotypen durch genaues Hinsehen und der Darstellung eines „Gleichgewichts der Kräfte“ (S. 11), was die Ehe mit Wagner angeht. Im Gegensatz zu den beiden anderen prägenden Männern in ihrem Leben, nämlich dem Vater, der sie übersah und dem ersten Ehemann Hans von Bülow, der eher die Tochter des verehrten Liszt heiratete als diese Frau um ihrer Einzigartigkeit willen, befanden sich Richard und Cosima offenbar tatsächlich auf Augenhöhe.

Allerdings beschränkte sich ihr aufmerksamer Blick nicht auf den genialen Komponisten-Gatten, der nicht nur körperlich, sondern auch menschlich klein war; sie pflegte intensiv Freundschaften und Korrespondenzen, um sich über menschliche und vor allem künstlerische Gesichtspunkte auszutauschen, wie die Autorin belegt.

Sicherlich ist Sabine Zurmühls Darstellung feministisch geprägt und wird dadurch ein Stück mehr von Wagner weg auf Cosima selbst zugeschnitten. Das ist zu begrüßen, ebenso wie eine moderne Beschreibung ihrer Aktivitäten. In einem Interview hat die Autorin Cosima Wagner einmal als „einmalige Netzwerkerin für das Wagnerwerk“ bezeichnet, was nicht nur die Ehefrau als Dienerin und der Sache untergeordnete Priesterin beschreibt – hier wird deutlich, daß Richard Wagner auf seine Gattin angewiesen war, emotional und im praktischen Leben.

Cosima Wagner hätte sich nicht als „emanzipierte Frau“ bezeichnet, war es aber faktisch nach Zurmühl durch den Kontakt mit freidenkenden Frauen, ihrem leidenschaftlichen Einsatz für das, was ihr wichtig war, und in ihrem Eigensinn, der sich bald zum Starrsinn entwickeln sollte. Krampfhafte Authentizität kann auch anstrengend sein.

Cosima Wagner war stets um Haltung bemüht, wovon zahlreiche Photographien zeugen. Sabine Zurmühl vermißt hier das Lächeln und eine weibliche Freiheit, Emotionen zu zeigen; da dürfte die Autorin aber tatsächlich das Kind ihrer heutigen Zeit sein, denn niemand lächelte auf den wohlarrangierten Photographien des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. Und so blieb eben nur das auf den Bildern sichtbar, was auch die Herren auf dem seinerzeit neuen Medium nach außen kehrten: „Repräsentanz, Status, Würde“ (S. 145).

In der Rezeption dessen, was diese Frau ausmachte, geht es vielen ebenso wie mit der Wahrnehmung von Richard Wagner und man denkt an das oft zitierte aber so treffende Bonmot von Leonard Bernstein, “Ich hasse ihn, aber auf Knien!“

Wie so oft sind nicht die weitesten Ausprägungen der Amplitude einer Schwingung das Wesentliche, sondern der Bogen, der sich zwischen den Extrempunkten spannt. Zwischen voreiliger Ablehnung und kritikloser Begeisterung sollte sich immer wieder das aufmerksame und sachlich bestimmte Interesse auf das richten, was Leben und Werk von Menschen in allen Abstufungen ausmacht.

Im Falle der Wagners ist das so wie beim Besuch des Grünen Hügels: Die beiden Büsten von Arno Breker von Cosima und Richard atmen in ihrer glatten, idealisierten Ästhetik den Geist des Faschismus. Man mag die beiden Kunstwerke als scheußlich empfinden, aber die Musik spielt drinnen. Und daran hat Cosima großen Verdienst.

Andreas Ströbl, 7. Juni 2023


Sabine Zurmühl, Cosima Wagner – Ein widersprüchliches Leben.

Böhlau-Verlag, Wien und Köln 2022,

360 S., zahlreiche farbige und s-w Abb.,

€ 40,00, ISBN: 978-3-205-21501-1