CD: „Prometheus“, Carl Orff

Der vorliegenden, bei dem Label Orfeo erschienenen CD von Carl Orffs Prometheus liegen Live-Aufnahmen des Bayerischen Rundfunks vom 1. und 2. Oktober 1975 aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz zugrunde. Aufgezeichnet wurden zwei konzertante Aufführungen, die zu Ehren des 80. Geburtstages von Orff stattfanden. Von allen Veranstaltungen, die in München zu dem runden Geburtstag des Komponisten ausgerichtet wurden, galten diese beiden als die großartigsten. Aber das ist auch kein Wunder, denn bei dem am 24. März 1968 an der Stuttgarter Staatsoper erfolgreich aus der Taufe gehobenen Werk handelt es sich um ein echtes Meisterwerk. Hier haben wir es mit einer echten Rarität zu tun. Indes ist die Einordnung des Prometheus schwierig. Um eine Oper im eigentlichen Sinne handelt es sich hierbei nicht. Ein Oratorium scheidet ebenfalls aus und auch die Bezeichnung als Schauspiel mit Musik trifft den Kern nicht. Strenggenommen haben wir es hier mit einer ganz eigenen Art hochkarätigen Musiktheaters zu tun, das auf den ersten Blick sehr ungewöhnlich anmutet, aber dennoch stark unter die Haut geht. Der Zuhörer gerät in einen ungemein intensiven und dramatischen Sog, der ihn nicht mehr loslässt. In regem Wechsel lösen sich gesungene und gesprochene Stellen ab. Neben dem Singen kommt hier dem Deklamieren eine hohe Bedeutung zu. Und alles das geschieht in Anlehnung an das gleichnamige Stück des Aischylos in altgriechischer Sprache. Dem recht informativen Booklet ist zu entnehmen, dass Orff mit dieser Vorgehensweise keineswegs den Anspruch eines Bildungstheaters für Eingeweihte verband, sondern nur die Konsequenzen aus der mythischen Sprachgewalt des Aischylos zog.

Die Entscheidung Orffs war gut. Die altgriechische Sprache gibt dem Ganzen, sowohl gesungenen als auch deklamierten Passagen, einen ungemein starken, eindringlichen Ausdruck, der für diese Art des Musiktheaters typisch ist. Es ging Orff letztlich darum, den Geist des antiken Theaters zu erfassen, indem er ihn mit durchaus modernen Mitteln erneut heraufbeschwor, und zwar mit dem Ziel, ihn neu und für unsere Zeit zu interpretieren (Booklet). Das ist Orff voll und ganz gelungen. Seine Intention ist in jeder Beziehung aufgegangen. Die Wirkung des Prometheus ist sogar noch stärker als die seiner Vorgängerwerke aus Orffs Feder Antigone und Oedipus. Besonders beindruckend sind die voll ausgesungenen Prophezeihungen des an den Felsen geschmiedeten Titelhelden sowie die Chöre, die hier nur Frauen anvertraut sind. Diese atmen enorme Intensität und führen den Zuhörer etwas abseits von einer normalen Oper zu einer neuen Form des Musiktheaters, für die Orff Pate gestanden hat. Obwohl das Orchester mit dem fulminanten Schlagwerk, zu dem sich nur noch Blasinstrumente und Kontrabässe gesellen, nicht sehr ausgeprägt ist, sind die Ausbrüche desselben dennoch gewaltig. Das ist in erster Linie Verdienst des Schlagwerks. Der Klangteppich besteht des Öfteren nur aus Geräuschen, aus denen sich erst allmählich der volle musikalische Ton entwickelt. Die orchestralen Zwischenspiele sind weniger ausgeprägt als man es bei der Oper gewohnt ist, untermalen aber die einzelnen Vorgänge dennoch ganz vorzüglich. Das Ausloten der diversen und recht ungewöhnlichen musikalischen Strukturen gelingt Rafael Kubelik aufs Beste. Unter seiner bewährten Leitung wächst das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks über sich selbst hinaus. Der Dirigent setzt auf einen markanten, rhythmisch prägnanten und oft geradezu gewalttätig anmutenden Klang, der zu dem Inhalt des Werkes hervorragend korrespondiert.

Die Sänger stellen sich ganz in den Dienst dieses großartigen Stückes. Hier ist an erster Stelle Roland Hermann zu nennen, dem auf eindrucksvolle Weise der Beweis gelingt, dass man auch einer modernen Partie wie dem Prometheus mit einer phantastischen Italienischen Technik Herr werden kann. Der Spagat zwischen ausdrucksstarkem Singen und pathetischem Deklamieren gelingt seinem schönen Bariton grandios. Colette Lorand wartet auf ihre Art mit einem sehr vielschichtigen Rollenportrait der Io Inachis auf. Ihr Gesang ist sehr differenziert, entbehrt aber der nötigen Körperstütze, was ein erhebliches Manko ist. Als Chorführerinnen nehmen Erika Rüggeberg, Isolde Mitternacht und Julia Falk für sich ein. Die Sänger Fritz Uhl (Hermes), Kieth Engen (Okeanos), Josef Greindl (Kratos) und Heinz Cramer (Hephaistos) müssen hier nur lautstark deklamieren. Gesang hat ihnen Orff nicht zugedacht. Gefällig schneidet der Frauenchor des Bayerischen Rundfunks ab.

Fazit: Eine interessante Aufnahme eines ungewöhnlichen Werkes, deren Anschaffung durchaus zu empfehlen ist.

Ludwig Steinbach, 4. Juni 2023


CD: „Prometheus“

Carl Orff

Musikalische Leitung: Rafael Kubelik.

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

ORFEO

Best.Nr.: C240012

2 CDs