Halle: „Amadigi di Gaula“, Georg Friedrich Händel

Amadigi di Gaula ist die fünfte Oper aus Händels Londoner Zeit, wo sie 1715 uraufgeführt wurde. Sie zählt eher zu den Randwerken des Komponisten, wird nur selten gespielt und kann sich daher kaum der Popularität anderer Schöpfungen des Komponisten erfreuen. In Halle wurde sie bislang nur einmal gezeigt (1963), so sah man der Neuproduktion zur Eröffnung der diesjährigen Festspiele mit Spannung entgegen.

© Anna Kolata

Inszeniert hat die Stellvertretende Intendantin der Oper Halle, Louisa Proske, die im Vorjahr als Regisseurin des Serse hervorgetreten war. Die Geschichte um Liebe, Eifersucht und Mord rückt sie mit ihrem Ausstatter Kaspar Glarner in die Gegenwart. Das Reich der Zauberin Melissa, zentrale Figur der Handlung, ist ein Raum mit einer Vielzahl von Computerservern, ein Rechenzentrum, wo gelegentlich eine Drohne herumschwirrt und die Figuren in barocken Kostümen agieren. Aus diesem Kontrast zwischen Historie und Moderne resultiert ein reizvoller Kontrast in der Aufführung. Zudem wird diese belebt durch eingeblendete Videos (Jorge Cousineau), zumeist mit Trugbildern oder Gesichtern, die sich in Raster auflösen, und durch Tänzerinnen und Tänzer des Ballett Halle (Choreografie: Michal Sedlacek), die als Entourage der Zauberin in bizarren Fantasy-Kostümen, aber auch zauberhaften Rokoko-Roben agieren.

© Anna Kolata

Wenn am Ende Melissa Selbstmord verübt, da sie den begehrten Ritter Amadigi nicht für sich gewinnen kann, weil  dieser Oriana liebt, versinkt ihr Zauberreich. Die Szene wechselt zum Hallenser Marktplatz, wo Fußballfans mit Bierkästen, junge Frauen mit Kinderwagen und Einkaufstüten, ein schwules Paar und spielende Kinder zu sehen sind. Als Orianas Onkel Orgando, der als Deus ex machina das Ende aller Prüfungen verkündet, agiert Händel auf seinem Sockel höchstpersönlich. Deulrim Jo ist mit ihrem dünnen Sopran der Schwachpunkt der Besetzung. Überhaupt ist diese finale Idee des Regieteams ein Ärgernis, sah man doch schon in vielen Inszenierungen Stimmen von Göttern, Geistern und Orakeln personifiziert als den Komponisten. Die Tänzer finden sich in heutiger Alltagskleidung ein und auch Amadigi wechselt vom historischen Kostüm in ein modernes Outfit. Der polnische Countertenor Rafal Tomkiewicz sorgt jedoch mit seiner letzten Arie „Sento la gioia“ für einen bravourösen musikalischen Schlusspunkt. Schon bei seinem Auftritt mit „Notte amica dei riposi“ hatte er mit der sanften Stimme aufhorchen lassen, im Folgenden „Non sa temere questo mio petto“ seine Kompetenz im virtuosen Ziergesang bewiesen und in der großen Klage „Sussurate, onde vezzose“ durch starken Ausdruck für Ergriffenheit gesorgt. Mit der Zauberin Melissa hat er im 2. Akt ein Duett („Crudel, tu non farai“), in dem sich die Stimmen perfekt verschlingen. Franziska Krötenheerdt ist der optische Mittelpunkt der Aufführung dank ihrer spektakulären Barockroben in Schwarz, Rot und Weiß, aber auch ihrer intensiven Darstellung der Figur. Ihr farbiger, expressiver Sopran gestaltet deren Soli eindringlich, beginnend mit dem klagenden „Ah! spietato! e non tiu muore“ über das triumphierend rasende „Io godo, scherzo, e rido“ bis zum stockenden, tragischen „Addio, crudo Amadigi“.

© Anna Kolata

Auch mit seiner geliebten Oriana hat Amadigi ein Duett -„Cangia al fine il tuo riogore“ im 3. Akt. Serafina Starke bietet mit ihrem lieblichen, klaren Sopran einen schönen stimmlichen Kontrast zur Zauberin. In „Gioie, venite in sen“ lässt sie feine Koloraturen hören, in „Oh caro mio tesor“ sichere Spitzentöne. Das energisch-entschlossene „Ti pentirai, crudel!“ und das resolute „Affannami“ mit heraus geschleuderten exponierten Noten zeigen aber auch ihre Fähigkeit zur dramatischen Attacke. Das Solistenquintett komplettiert Yulia Sokolik als Prinz Dardano, der gleichfalls in Oriana verliebt ist und von seinem Nebenbuhler Amadigi getötet wird. Die Mezzosopranistin profiliert mit ihrer androgyn herben Stimme die Partie en travestie sehr glaubhaft. Gleich ihr Auftritt mit „Pugnero contro del fato“, vom Orchester mit heftigen Akkorden eingeleitet, überzeugt in der energischen Anlage, „Agitato il cor mi sento“ in der resoluten Tongebung und den beherzten Koloraturen. Und der Partie fällt im 2. Akt das Solo „Pena tiranna“ zu, welches an Almirenas berühmte Arie „Lascia ch´io pianga“ aus dem 1711 uraufgeführten Rinaldo erinnert. Sokolik sang das mit bestechender Kultur. Als L´ombre, Dardanos Geist, kann die Sängerin in „Han´ penetrato i detti tuoi“ mit fahlen, klirrenden, erstarrten Tönen ganz andere Akzente setzen.

Am Pult des Händelfestspielorchesters Halle fächert Dani Espasa die Musik in ihrer opulenten Vielfalt beeindruckend auf. Er gibt den Gefühlen breiten Raum, lässt sie schweben und ausschwingen, sorgt aber ebenso für rhythmische Energie und aggressive Affekte. Auch in der 2. Aufführung am 26. Mai war die Begeisterung des Publikums groß.

Bernd Hoppe, 29. Mai 2024


Amadigi di Gaula
Georg Friedrich Händel

Händelfestspiele Halle

2. Aufführung am 26. Mai. 2024
Premiere am 24. Mai 2024

Inszenierung: Louisa Proske
Musikalische Leitung: Dani Espasa
Händelfestspielorchester

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